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Proteste gegen isländische Regierung
"Als hätte man einen Alkoholiker in der Familie"

Die Panama-Papers haben in Island nicht nur eine Regierungskrise ausgelöst, auch das Vertrauen ist dahin. Inzwischen will jeder Zweite, dass es so schnell wie möglich Neuwahlen gibt. Die Enthüllungen über Briefkastenfirmen und enge Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft treibt Tausende Menschen seit Tagen auf die Straße. Vor allem auch, weil es der Regierung an Instinkt mangelt.

Von Philipp Boerger | 14.04.2016
    Sie sehen eine große Menschenmenge vor dem Parlament in Reykjavík.
    Die Isländer wollen Neuwahlen - Demonstration vor dem Parlament in Reykjavík. (picture-alliance / dpa / Birgir Por Hardarson)
    "Unfähige Regierung! Unfähige Regierung!" rufen die Demonstranten seit Tagen jeden Nachmittag auf der Wiese vor dem Parlament. Protestansprachen werden gehalten, manchmal auch Spottlieder gesungen. Sie demonstrieren weiter – auch wenn vergangene Woche der isländische Premierminister zurückgetreten ist, das Kabinett umgebildet wurde, und angeblich sollen im Herbst Neuwahlen anstehen.
    "Wir vertrauen der korrupten Regierung nicht mehr. Sie hat ihre Versprechen so oft gebrochen. Wir wollen jetzt Neuwahlen." Sagt eine Demonstrantin, und ein Mann neben ihr fügt hinzu:
    "Die Regierung hat kein Datum für Neuwahlen festgelegt. Die können ja auch wieder verschoben werden." Würdelos finde er das, wie die derzeitige Regierung versuche, an der Macht zu bleiben, sagt Jón Gnarr, ein bekannter Komiker und Autor. Er war von 2010 bis 2014 Bürgermeister von Reykjavík.
    "Diese Regierungsumbildung ist ein Witz"
    "Es ist, als hättest Du einen Alkoholiker in der Familie, der endlich mit dem Trinken aufhören muss, weil das die ganze Familie kaputt macht. Und der Alkoholiker sagt, ja, ihr habt recht, in einem Monat höre ich auf. Diese Regierungsumbildung ist ein Witz: ein paar neue Leute, aber die gleichen Strippenzieher. Wir nennen die Regierung jetzt die 'Pizza-Regierung'. Die haben ernsthaft Pizza bestellt, als sie ihre Krisensitzung hatten."
    Das grundsätzliche Problem seines Landes seien aber nicht allein instinktlose Politiker, sagt Ex-Bürgermeister Jón Gnarr. Es gebe zu enge Verflechtungen in die Wirtschaft. Das hat im vergangenen Jahr auch Transparency International festgestellt. Island ist demnach das korrupteste Land unter den fünf skandinavischen Staaten.
    "Die Korruption hier ist schon speziell. Man bevorzugt sich gegenseitig. Nepotismus. Das gehört auch zu Island."
    Nichts dazugelernt
    Der frühere isländische Außenminister Jón Baldvin Hannibalsson beobachtet die Proteste vor dem Parlament aus einem Café heraus. Auch er glaubt, die Regierungskrise und die Proteste werden nicht so schnell zu Ende gehen. Sein Land habe aus der vergangenen Krise vor sieben Jahre offenbar nichts gelernt.
    "Ich bin überzeugt, dass sich der Skandal um die Panama-Papers ausweitet. 600 Isländer oder Firmen sollen Offshore-Konten haben. Auch wenn wir die Namen noch nicht kennen, ist klar: Es sind die Großunternehmer. Sie finanzieren die Regierungsparteien, sie nehmen Einfluss auf die politische Linie, sie sind Teil der meisten Netzwerke."
    Einer der wichtigsten Wirtschaftszweige ist seit jeher die Fischerei. In den 80-er Jahren hat die Regierung die Betriebe privatisiert und feste Fangquoten festgelegt. Das hat einige Unternehmer und Familien sehr reich gemacht, sagt Hannibalsson.
    Piratenpartei als Alternative
    "Einige Menschen wurden so reich und mächtig, dass sie seitdem alles steuern: die Parteien, aber auch die meisten Medien. Diese Cliquenwirtschaft ist die Ursache der Korruption hier."
    Inzwischen erscheint vielen die Piratenpartei als echte Alternative. Sie liegt in den Umfragen derzeit bei 30 bis 40 Prozent. Die Fehler der deutschen Piraten wollen die isländischen vermeiden. Man sei keine Internetpartei und es würden auch viele Frauen mitmachen, die Diskussionskultur sei eine andere und es gebe klare Verhaltensregeln. Parteimitglied Tjark Nielsson sagt auf einer Diskussionsveranstaltung:
    "Viele von uns sind Amateure. Aber schlechter als die etablierten Parteien können wir es doch auch nicht machen. Und Island braucht neue politische Denkansätze."
    Bislang möchte die in Teilen neuaufgestellte isländische Regierung weitermachen. Für kommenden Samstag wurde die nächste Großkundgebung vor dem Parlament angemeldet.