Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Proteste gegen Regierung in Rumänien
Großdemonstration in Bukarest angekündigt

Seit Wochen halten Massenproteste in der rumänischen Hauptstadt das ganze Land in Atem. Sie richteten sich zunächst gegen die Lockerung von Anti-Korruptionsgesetzen, schnell forderten die Demonstranten auch den Rücktritt der Regierung. Doch die hält sich hartnäckig. Am Wochenende wollen wieder Tausende auf die Straße gehen.

Von Ralf Borchard | 24.02.2017
    In einer großen Menschenmenge schwenkt ein Demonstrant die rumänische Flagge.
    Seit Wochen protestieren zum Teil hunderttausende Menschen in der rumänischen Hauptstadt Bukarest gegen die sozial-liberale Regierung. (ANDREI PUNGOVSCHI, AFP)
    Ein harter Kern von Demonstranten fordert immer noch täglich den Rücktritt der Regierung. Für kommenden Sonntag wird in sozialen Netzwerken wieder zu einer Großdemonstration in Bukarest aufgerufen, diesmal wollen die Demonstranten mit blauen Papierstücken und dem Licht ihrer Handys eine riesige EU-Flagge bilden. Doch alle treibt die Frage um: Wie viele werden noch kommen, hält die Energie oder verpufft der Protest in den nächsten Wochen? Darauf setzen die regierenden Sozialdemokraten unter Parteichef Liviu Dragnea. Der Bukarester Politikwissenschaftler Ioan Stanomir meint:
    "Als Realist sage ich, es steht für Rumänien auf des Messers Schneide. Wenn die Zivilgesellschaft zum Schweigen gebracht wird, dann wird das ein langes Schweigen sein – ein Schweigen, das Rumänien nicht mehr wie eine Demokratie, sondern wie eine Pseudodemokratie aussehen lassen würde."
    Keine klassische sozialdemokratische Partei
    Präsident Klaus Iohannis hat ein Referendum zur Korruptionsbekämpfung angekündigt – ohne dass der Termin und die genaue Fragestellung bisher feststehen. Kann ein Referendum mehr Rechtsstaatlichkeit, eine entschiedene Korruptionsbekämpfung sichern?
    Stanomir bleibt skeptisch:
    "Genauso wie die Politiker der Regierungskoalition es fertig bringen, die Forderungen von bis zu einer halben Million Demonstranten zu ignorieren, werden sie auch ein Referendum ignorieren. Uns erwartet ein politischer Langzeitkrieg. Es wird sehr viel Zeit erfordern, eine niemals reformierte Partei wie die rumänischen Sozialdemokraten zu verändern. Man muss verstehen, dass wir es hierzulande nicht mit einer klassischen sozialdemokratischen Partei, sondern mit einer Oligarchen-Partei zu tun haben, die von ihrer kommunistischen Vorgänger-Partei nicht nur die antidemokratischen Strukturen, sondern vor allem die antidemokratische Verhaltensweise geerbt hat."
    Stanomir, Professor für Politikwissenschaft, Publizist und Buchautor, sieht auch die Europäische Union in der Pflicht:
    "Die EU sollte den Kopf nicht mehr in den Sand stecken und so tun, als ob Geschehnisse an ihrer Peripherie nicht so wichtig sind. Gerade die Parteienfamilie der europäischen Sozialdemokraten sollte den Genossen der rumänischen PSD klipp und klar sagen, dass ihre Rechtsverdrehungen und Entgleisungen nicht tolerierbar sind.
    Mich wundert es sehr, dass europäische Sozialdemokraten einerseits – zu Recht – Donald Trump heftig kritisieren, andererseits aber nur sehr spärliche Kritik an den Machthabern in Bukarest üben. Das, was die Bukarester Regierung anrichtet, ist für unsere Demokratie weitaus gefährlicher als das, was Präsident Trump in den USA versucht. Trump tritt gegen einen gefestigten Rechtsstaat an. Der rumänische Rechtsstaat ist aber erst dabei, sich schrittweise zu entwickeln."
    Aussitzen der Proteste würde auch der EU schaden
    Sollte die jetzige Regierung die Proteste aussitzen können, würde das nicht nur Rumänien, sondern auch der EU dauerhaft schaden, meint Stanomir.
    "Wir wünschen uns keine russischen Zustände. Wir Rumänen haben uns dafür entschieden, Teil des euro-atlantischen Raums zu sein, in dem es keinen Unterschied zwischen Worten und Taten gibt. Wenn wir aber den Rechtsstaat respektieren, dann respektieren wir das Recht der Menschen auf ein Leben in Anstand, ohne die Gefahr, von den eigenen Mitbürgern und sogar dem Staat selbst bestohlen zu werden."