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Proteste im Iran
"Das ganze System der Islamischen Republik wird kritisiert"

Die Proteste seien ein Appell an alle Fraktionen des iranischen Regimes, mit ihrem Großmachtgetue aufzuhören und sich um die inländischen Probleme zu kümmern, sagte der Politologe Ali Fathollah-Nejad im Dlf. Die Demonstrationen richteten sich gegen Armut und Korruption, aber auch einen Mangel an Demokratie.

Ali Fathollah-Nejad im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 02.01.2018
    Ali Fathollah-Nejad
    Ali Fathollah-Nejad ist Iran-Experte und Politikwissenschaftler bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (Privat)
    Tobias Armbrüster Ich habe über solche Fragen und was da gerade geschieht im Iran, kurz vor der Sendung mit Ali Fathollah-Nejad gesprochen. Er ist Iran-Experte und Politikwissenschaftler bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, und ich habe ihn zunächst gefragt, welche Route das Land und diese Proteste, welche Route uns da jetzt bevorsteht. Steuert das Land zu auf einen weiteren schwerwiegenden Konflikt, so wie andere Länder in der Region, oder steht das Land tatsächlich kurz vor einer liberalen Öffnung?
    Ali Fathollah-Nejad: Beide Narrative sind nicht so ganz richtig. Es ist auf der einen Seite sicherlich so, dass es schwer vorherzusehen ist, wo die Proteste oder wie sich die Lage weiter entwickeln wird, weil ja diesmal die ganzen Proteste eigentlich von der Arbeiterklasse mehr oder weniger losgetreten worden sind, und flugs wurde es wie ein Waldbrand durch das ganze Land verteilt. Dann haben sich auch viele von der Mittelschicht dazugesellt, Studenten und so weiter. Wie sich die Lage weiter entwickeln wird, hängt von der Repression des Regimes ab. Wir wissen, dass sie sehr viele Machtmittel haben, um sehr starke Repression auszuüben, was ja auch schon passiert ist. Das wird ein wichtiger Faktor sein. Zum anderen die Reaktionen des Regimes – bislang hat das Regime nicht opportun drauf reagieren können. Auch die Ansprache von Präsident Rohani vor Kurzem war ja eher die Drohung, dass man mit solchen Protesten lieber aufhören sollte, als eine Konzession. Das Problem in der islamischen Republik ist, dass es eigentlich nicht reformierbar ist, außer es passiert wirklich innerhalb des Systems etwas, wo man eine klare Richtung in Richtung Reform sehen kann. Aber das ist zurzeit nicht abzusehen, weil nämlich wie gesagt alle Fraktionen innerhalb der Elite im selben Boot des Regimeüberlebens der Islamischen Republik sitzen. Also ist die Lage sehr schwer vorhersehbar.
    Armbrüster: Wie groß ist denn die Gewaltbereitschaft unter den Demonstranten? Wie haben ja inzwischen von mehreren Toten gehört, darunter auch einem getöteten Mitglied der Iranischen Revolutionsgarden.
    "Ein absolut verzerrtes Bild"
    Fathollah-Nejad: Ich glaube, wir haben ein absolut verzerrtes Bild. Vor allen Dingen, was ich so mitbekomme, was auch in den deutschen und auch manch anderen westlichen Medien transportiert wird, als ob es zwei Seiten gäbe, die irgendwie gleichermaßen Gewalt anwenden. Das ist sicherlich nicht der Fall. Es ist so, dass es sicherlich auch unter den Demonstranten vielleicht einige Trouble Maker gibt, was aber eher typisch ist, wie alle Demonstrationen überall in der Welt. Auf der anderen Seite ist es so, dass das Gewaltmonopol einzig und allein beim Regime liegt. Wer von der schwächeren Seite quasi den Stärkeren irgendwie malträtiert hat, das ist ein absolut verzerrtes Bild. Und da ist man schon ein bisschen schockiert über manche Berichterstattung.
    Armbrüster: Die Frage ist ja eher, inwieweit schätzen Sie das ein, dass Demonstranten durchaus bereit sind, auf Gewalt zum Beispiel der Revolutionsgarden oder auch der Polizei selbst mit Gewalt zu reagieren, möglicherweise auch in den kommenden Tagen.
    Fathollah-Nejad: Es gab sicherlich Angriffe auf Symbole des Regimes, sei es jetzt Polizei oder sonstige Gebäude. Aber da wir eine krasse Asymmetrie haben zwischen beiden Seiten, kann man sich denken, dass die Demonstrantenseite kaum Möglichkeiten hat, auf die Gewalt des Regimes zu antworten.
    Armbrüster: Wir hören jetzt immer und lesen auch immer in vielen Berichten, in denen es um diese neue Protestbewegung geht – Sie haben sie ja auch schon ein bisschen skizziert –, dass da eigentlich keine politische Führung, keine politische Alternative zu erkennen sei, auch kein Führer, der da irgendwie sich zu erkennen gibt. Stimmt das eigentlich, ist das so eine Masse, die noch ein bisschen gesichtslos ist?
    Fathollah-Nejad: Das ist schon eine Masse, die keine richtigen Führer hat, genauso wie die ganzen Aufstände in der arabischen Welt zum Arabischen Frühling 2010/2011 ja auch keine Führer hatten. Also das ist kein Grund, die Proteste zu diskreditieren. Beispielsweise in Tunesien hat ja auch der Arabische Frühling zu bestimmten Erfolgen geführt. Es ist sicherlich anders als 2009, wo die politische Agenda der Grünen Bewegung eigentlich von der reformistischen Fraktion des iranischen Establishment diktiert wurde, obwohl die Grüne Bewegung an sich vielleicht viel facettenreicher war. Dass es keine politischen Forderungen gibt, das ist ab und zu auch verzerrend. Es gibt ganz sicher politische Forderungen. Man muss sich nur die Slogans anschauen. Wie anfangs gesagt, ist es ganz klar diesmal, dass das gesamte Regime kritisiert wird, und alle Fraktionen auch des Regimes als eine ganze Entität wahrgenommen werden und quasi das ganze System der Islamischen Republik mit der hohen Monopolisierung von politischer und ökonomischer Macht in den Händen sehr weniger, egal ob Reformer, Zentristen oder Konservative, kritisiert werden.
    "Es geht um sozioökonomische und politische Forderungen"
    Armbrüster: Worum geht es den Demonstranten denn vor allem? Tatsächlich um die ökonomische Lage im Land, um zu wenig Geld und steigende Preise, oder geht es tatsächlich auch um eine Öffnung der Gesellschaft?
    Fathollah-Nejad: Es geht um beides. Es geht um sozioökonomische Forderungen, wie Sie angedeutet haben, weil ungefähr die Hälfte der iranischen Bevölkerung am Armutslimit harrt. Aber auch um politische Forderungen, wie ich vorhin gesagt habe. Dass man das ganze System und dessen Mangel an Demokratie, hohe Korruption, all das kritisiert. Im Iran sind die ökonomischen und politischen Forderungen ohnehin eng miteinander verzahnt, und das äußert sich auch ganz klar in den Slogans wieder. Wenn man sich die Slogans anschaut, dann geht es genau um die Forderungen, die wir auch im Arabischen Frühling gehabt haben. Zum einen um soziale Gerechtigkeit, was sehr stark ist. Es geht um die Beseitigung von Armut, und auf der anderen Seite geht es um politische Forderungen, um Demokratie eigentlich, und gegen diktatorische und tyrannische Elemente.
    Armbrüster: Sie haben die Armut im Land angesprochen. Wir wissen gleichzeitig, dass der Iran in vielen Konflikten im arabischen Raum eingreift und dort zum Teil massiv auch militärisch präsent ist. Woher hat der Iran diese Mittel für eine solche, ich sage mal sehr aktive Außenpolitik, wenn gleichzeitig so viele Menschen im Land unter Armut leiden?
    Fathollah-Nejad: Die Mittel hat der Iran, weil es ja ein (unverständlich) - Staat ist und ohnehin über sehr viele Öleinnahmen verfügt. Iran gibt aber im Gegensatz zu anderen Mächten in der Region sehr viel weniger aus. Aber trotzdem hat Iran beispielsweise in Syrien ungefähr zehn Milliarden US-Dollar ausgegeben Schätzungen zufolge. Und die Iraner sehen zusehends die Verbindung zwischen den regionalen Abenteuern der Islamischen Republik, was eigentlich die Priorität Teherans zu sein scheint, und das Vergessen inländischer Probleme, vor allem diese Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Und diese Verbindung wird zusehends hergestellt, von den Protestlern auch, und das ist eigentlich ein Appell an alle Fraktionen des Regimes, mit ihrem Großmachtgetue aufzuhören und sich um die inländischen Probleme zu kümmern. Aber inwieweit das Regime in der Lage ist, wirklich Reformen durchzusetzen, das ist halt sehr schwierig, weil strukturell es kaum Möglichkeiten gibt, innerhalb der Institutionen der Islamischen Republik wirklich Reformen durchzusetzen. Man hat ja auch keine wirklichen Reformen gesehen in den letzten 39 Jahren trotz vieler Versprechungen damals der Chatami- und jetzt der Rohani-Regierung. Und die Menschen sehen durch diese Illusion, was oftmals auch im Westen kolportiert wurde, dass es halt immer (unverständlich) zwischen Gut und Böse gibt in Iran, und ich glaube, das war lange Zeit auch eine falsche Darstellung im Westen, wie man halt auch die iranische Elite gesehen hat. Und die Menschen im Iran sehen durch dieses Dickicht und sehen schon zu Recht, dass alle dort im selben Boot sitzen und alle sehr stark vom Regime profitieren, während die große Mehrheit der Bevölkerung weiterhin leer ausgeht.
    Armbrüster: Sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Ali Fathollah-Nejad, Politikwissenschaftler und Iran-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Ich danke Ihnen vielmals!
    Fathollah-Nejad: Herzlichen Dank, danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.