Mittwoch, 17. April 2024

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Proteste im Iran
"Die intellektuelle Schicht ist ganz massiv betroffen"

Die Islamwissenschaftlerin und Journalistin Katajun Amirpur ist soeben von einer Iranreise zurückgekehrt. Von Demonstrationen in der Hauptstadt Teheran habe sie in den letzten Tagen nichts mehr mitbekommen, sagte sie im Dlf. Die Iraner seien derzeit in erster Linie mit dem alltäglichen Überleben beschäftigt.

Katajun Amirpur im Gespräch mit Anja Reinhardt | 08.01.2018
    Die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur
    "Der Staat hat im kulturellen Bereich ganz massiv gekürzt", sagt Katajun Amirpur. (picture alliance / dpa/ Hermann Josef Wöstmann)
    Anja Reinhardt: Es war auch eine Frage der Zeit, bis im Iran die Bevölkerung, vor allem die arme, aufbegehrt. Nach dem Atomabkommen sollte eigentlich alles besser werden, das Land sich öffnen und die Bevölkerung von den Geldern durch Exporte profitieren. Stattdessen gibt es eine hohe Arbeitslosigkeit, explodierende Lebensmittelpreise und Korruption. Dagegen protestieren nun seit mehr als einer Woche vor allem junge Menschen im Iran, mehr als 1.000 sind festgenommen worden, 18 Menschen kamen nach offiziellen Angaben zu Tode. Gestern erklärten die Revolutionsgarden die Aufstände für beendet, mindestens 70 Inhaftierte wurden außerdem wieder freigelassen. Die Islamwissenschaftlerin und Journalistin Katajun Amirpur kommt gerade aus dem Iran, ich konnte vor der Sendung mit ihr sprechen und wollte zunächst einmal von ihr wissen, wo sie war und wie sie die Lage vor Ort erlebt hat.
    Katajun Amirpur: Ich war in Teheran jetzt die letzten fünf Tage. Teheran ist ein riesengroßer Moloch. Es ist eine 18-Millionen-Stadt. Und in Teheran habe ich in den letzten fünf Tagen nichts mehr mitbekommen von Demonstrationen. Man hörte dann hier und dort noch vereinzelt, dass sich kleine Grüppchen gebildet haben und dort vielleicht noch Protestrufe zu hören waren, aber das war nichts, was man wirklich im Straßenbild in irgendeiner Art und Weise noch gesehen hätte.
    "Mit dem alltäglichen Überleben beschäftigt"
    Reinhardt: Vor einem dreiviertel Jahr haben Sie anlässlich der Wahlen im Iran gesagt, dass es einen Reformzug gäbe, der von den Intellektuellen, den Frauen, den Studierenden aufs Gleis gesetzt worden sei. Wo sind denn die Intellektuellen heute?
    Amirpur: Nun ja, die Intellektuellen sind natürlich immer noch für Reformen und versuchen, sich in dem Maße mit den Möglichkeiten, die sie haben, dafür einzusetzen. Aber man muss auch sehen, dass die iranische Mittelschicht (und die Intellektuellen kommen aus dieser Mittelschicht) wirklich in erster Linie mit dem alltäglichen Überleben beschäftigt sind, weil es ihnen finanziell so schlecht geht. Wenn wir zum Beispiel Universitätsprofessoren nehmen: Deren Gehälter sind in den letzten zwei Jahren um 10 bis 15 Prozent gekürzt worden. Die haben einfach wirklich auch schon in dieser Mittelschicht wahnsinnige Probleme, ihren Alltag bestreiten zu können. Das gilt für Intellektuelle, für Schriftsteller, für bildende Künstler in auch ganz hohem Maße. Durch die Sanktionen zum einen, aber natürlich auch durch die hausgemachten Probleme, durch Korruption und Misswirtschaft, ist natürlich auch diese intellektuelle Schicht ganz massiv betroffen und kann in dem Sinne nicht mehr so sehr das Zugpferd sein, wie es eine Mittelschicht, eine intellektuelle Schicht sein müsste.
    Reinhardt: Ist es denn so, dass die iranische Gesellschaft sehr gespalten ist, in Jung und Alt, in Traditionalisten und Modernisierer, oder vielleicht auch in wirtschaftliche und kulturelle Klassen?
    Amirpur: In dem Sinne würde ich nicht unbedingt von einer Spaltung sprechen. Was man tatsächlich hat, ist eine sehr große soziale Spaltung von Menschen, die sehr profitieren von diesem System. Es gibt eine doch recht sehr, sehr reiche Klasse an Menschen, aber es gibt auch eine immer größere Schicht von sehr, sehr armen Menschen, Menschen, die unter der Armutsgrenze leben. Das ist die größte Spaltung, die man beobachten kann.
    "Der Staat hat im kulturellen Bereich ganz massiv gekürzt"
    Reinhardt: Aber trotzdem würde ich gerne noch mal zu den Kulturschaffenden und Kulturinstitutionen kommen, inwiefern da Kritik möglich ist. Ein Bild, das wir vom Iran haben, ist auch geprägt durch den iranischen Film. Was ist denn da im Moment möglich?
    Amirpur: Inhaltlich ist noch recht viel möglich. Wenn man sich anschaut, was in den letzten Jahren da produziert worden ist, ein Film beispielsweise wie "Foruschande" von Asghar Farhadi, der auch in der iranischen Gesellschaft sehr stark diskutiert worden ist, der sehr große soziale, gesellschaftliche Kritik übt, ist in Iran gezeigt worden. Die Leute sind ins Kino geströmt, die Leute haben darüber diskutiert. So was ist durchaus möglich. Aber es gibt natürlich auch in diesen Bereichen ganz massive Kürzungen. Jetzt ist die Philharmonie geschlossen worden in Teheran, weil es keine staatlichen Gelder mehr dafür gab. Das Fajr-Filmfestival, was im Februar stattfindet, was wirklich ein sehr großes Filmfestival immer war (und Sie haben es eben selber angesprochen: iranischer Film war immer ein Exportschlager; im iranischen Film ist wahnsinnig viel passiert), bei diesem Festival werden jetzt die Anfangszeremonien nicht stattfinden können, weil Gelder fehlen. Alle möglichen öffentlichen Screenings können nicht stattfinden, weil Gelder fehlen. Der Staat ist hingegangen und hat dann auch in diesem kulturellen Bereich ganz massiv gekürzt.
    Man sagt natürlich, das liegt alles am Boykott Amerikas. Das sind alles die Feinde Irans schuld. Das ist zum Teil sogar richtig. Aber es sind natürlich auch sehr viele hausgemachte Probleme beziehungsweise Investitionen, die getätigt werden in anderen Bereichen und wo sie nicht in den kulturellen Bereich reinkommen, weil man andere Prioritäten setzt. Aber das ist schlicht sehr spürbar, was im kulturellen Bereich auch gerade an Geldern abgezogen wird oder einfach nicht mehr vorhanden ist, nicht mehr investiert wird.
    Mittelschicht will keinen Arabischen Frühling
    Reinhardt: Nun sind die Proteste angeblich zu Ende. Die Bilder, die uns hier erreicht haben, die sehen doch sehr ähnlich aus wie die Bilder des Arabischen Frühlings, die wir 2011 gesehen haben. Ist das eine Art Arabischer Frühling, ein Persischer Frühling?
    Amirpur: Nun ja, es war ja auch im Arabischen Frühling so: Tatsächlich sind die Aufstände an den Lebensmittelpreisen eskaliert. Das ist insofern in Iran tatsächlich sehr ähnlich gewesen. Es fängt an bei Lebensmitteln, die teuer werden, bei Subventionen, die nicht mehr stattfinden für Brot und Benzin beispielsweise, weswegen die Menschen auf die Straße gehen. Und dann kommt das eine zum anderen. Andere Protestrufe wurden laut, die sich dann gegen das ganze Regime gerichtet haben und zum Umsturz des ganzen Regimes aufgerufen haben. Insofern kann man schon von gewissen Parallelen sprechen. Aber was man natürlich auch ganz klar sagen muss: Ich glaube, dass sich viele Iraner auch wirkliche Sorgen machen, dass diese Parallele zu groß sei. Viele Iraner sehen und sagen, was aus den arabischen Revolutionen, mit dem Arabischen Frühling geworden ist, nämlich dass viele Länder im Chaos versinken inzwischen, und deswegen ist man zum Teil auch sehr zurückhaltend, auch gerade in der Mittelschicht, und sagt, das wollen wir nun nicht haben. Es ist immerhin noch eine Errungenschaft, dass Iran stabil ist, dass in Iran Frieden herrscht, und wir möchten deswegen lieber den Weg von langsamen Reformen gehen. Viele sehen da tatsächlich auch noch eine Möglichkeit und ein Potenzial, dass es mit diesen langsamen Reformen funktionieren könnte.
    Reinhardt: … Sagt die Islamwissenschaftlerin und Journalistin Katajun Amirpur zu den zumindest in Teheran beendeten Protesten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.