Freitag, 29. März 2024

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Proteste in Belarus
"Wir müssen als Demokraten Solidarität zeigen"

Die moralische und politische Unterstützung durch den Westen sei für die Demokratiebewegung in Belarus wichtig, sagte Lettlands Präsident Egils Levits im Dlf. Die EU müsse Solidarität zeigen mit denjenigen, die für die Demokratie kämpfen. Zudem müssten gegen namhafte Personen persönliche Sanktionen verhängt werden.

Egils Levits im Gespräch mit Stefan Heinlein | 22.09.2020
Lettlands Präsident Egils Levits besucht ein Wahllokal während der außerordentlichen Parlamentswahlen in Lettland
Proteste in Belarus: Lettlands Präsident Egils Levits fordert persönliche Sanktionen, gegen diejenigen, die für die Wahlfälschung und Repressionen verantwortlich sind. (dpa / Sputnik / Sergey Melkono)
Seit Anfang August gehen die Menschen in Minsk und anderen Städten des Landes jedes Wochenende auf die Straße. Friedlich demonstrieren sie gegen Präsident Lukaschenko und seine umstrittene Wiederwahl. Den Demonstranten gegenüber stehen vermummte Sicherheitskräfte, die mit zunehmend brutaler Gewalt die Proteste in Belarus niederschlagen. Der letzte Diktator Europas scheint entschlossen, seine Macht mit allen Mitteln zu verteidigen. Die Europäische Union versucht, die Demokratie- und Oppositionsbewegung mit Worten und Taten zu unterstützen, doch noch bleibt Lukaschenko an der Macht, auch solange Moskau entschlossen scheint, den Autokraten zu schützen.
Lettlands Präsident Eglis Levits unterstützt die Demokratie-Bewegung in Belarus. Das sei auch die gemeinsame Haltung der EU. Eglis Levits sagte im Dlf: "Wir müssen Flagge zeigen, dass die Demokratie diejenige Staatsform ist, die wir unterstützen, politisch, moralisch. Alles andere wäre heuchlerisch, so Levits. Es gehe nicht, "dass wir für Demokratie eintreten, aber dort, wo es wirklich darauf ankommt, dann einfach als Strauß den Kopf in den Sand stecken." Mit Blick auf mögliche Sanktionen der EU betonte Levits, das seien keine Wirtschaftssanktionen gegen den Staat, sondern persönliche individuelle Sanktionen gegen diejenigen, die für die Fälschung der Wahlen und für die brutalen Repressionen verantwortlich seien.
Zur Person:
Egils Levits wurde1955 in Riga geboren. Gemeinsam mit seiner Familie wurde er 1972 aus der damaligen Sowjetunion nach Deutschland ausgebürgert. Erst 1989 nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist Egils Levits dann in seine Heimat zurückgekehrt. Dort hat er sich an der Demokratiebewegung in Lettland beteiligt.

Das Interview im Wortlaut:
Stefan Heinlein. Herr Präsident Levits, haben Sie, hat die Mehrheit der Letten deshalb ein besonderes Gespür für den Kampf der Menschen in Belarus um Freiheit und Demokratie?
Egils Levits: Ja, natürlich. Wir erinnern uns an die Situation vor über 30 Jahren, wenn wir für die Demokratie und für die Freiheit gekämpft haben, und können sehr gut die Gefühle, die Einstellungen, die Hoffnungen der belarussischen Demokraten nachvollziehen. Ich glaube, das ist durch die Geschichte geprägt, und deshalb ist Lettland einer derjenigen Staaten, der natürlich die Demokratiebewegung unterstützt.
Aber ich muss auch sagen, das ist die gemeinsame Haltung der Europäischen Union. Die Europäische Union hat schon mehrfach in Erklärungen gesagt, dass die Union neue freie und demokratische Wahlen fordert. Zunächst haben Lettland, Estland und Litauen sowie Polen sich auf diese Haltung geeinigt und danach wurde diese Haltung dann auch von der Europäischen Union bestätigt und wurde zu einer gemeinsamen Haltung.
Ich persönlich glaube, das ist selbstverständlich. Wir müssen Solidarität zeigen, als Demokraten Solidarität zeigen mit denjenigen, die für die Demokratie kämpfen.
"Moralische und politische Unterstützung durch den Westen ist wichtig"
Heinlein: Wie wichtig ist denn diese Unterstützung der Demokratiebewegung durch die Europäische Union in Belarus und mit welchen Mitteln sollte sie erfolgen?
Levits: Sie ist sehr wichtig. Ich kann mich nochmals auf unsere eigene Geschichte berufen. Als die Letten für Demokratie und Freiheit gekämpft haben, war die moralische, die politische Unterstützung durch den Westen sehr, sehr wichtig, damit man sieht, dass man nicht alleine ist, dass man für die rechte Sache kämpft und dass es auch die Hoffnung gibt, dass man als Demokrat gewinnen kann. Deshalb glaube ich, dass die europäische Unterstützung für belarussische Demokraten sehr wichtig ist. Erstens: Das ist politische Haltung. Und zweitens haben mehrere Staaten, darunter auch Lettland beschlossen, für die Nichtregierungsorgganisationen, die für Demokratie eintreten, gewisse finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen.
Heinlein: Herr Präsident, gestern wurde ja die belarussische Oppositionsführerin Tichanowskaja von den europäischen Außenministern in Brüssel empfangen. Ist das eine Geste, die Eindruck machen wird auf Lukaschenko, oder ist das eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes, wie es ja in Moskau interpretiert wird?
Levits: Ob das auf Lukaschenko Eindruck macht, das weiß ich nicht. Ich glaube, das stützt auf jeden Fall die Demokratiebewegung in Belarus, und das ist keine Einmischung in dem Sinne, weil die Demokratie, alle demokratischen Staaten, wenn sie unsere Staatsform, unsere Lebensform Demokratie ernst nehmen, müssen auch Solidarität zeigen mit denjenigen, die dafür kämpfen. Das ist selbstverständlich. Sonst würde das heuchlerisch vorkommen, dass wir für Demokratie eintreten, aber dort, wo es wirklich darauf ankommt, dann einfach als Strauß den Kopf in den Sand stecken.
"Wir fordern individuelle Sanktionen, für diejenigen, die für die Fälschung der Wahlen verantwortlich sind"
Heinlein: Was ist denn der richtige Umgang aus Ihrer Sicht, aus Sicht Lettlands mit Lukaschenko? Druck, Sanktionen oder ein Dialog, ein Runder Tisch, der ja auch gefordert wird?
Levits: Sanktionen sind vorgeschlagen. Gestern haben die Außenminister der Union sich nicht darauf einigen können. Sie haben sich im Prinzip geeinigt, dass solche Sanktionen erforderlich sind, aber wegen einer anderen Frage, der Frage der Zuspitzung der Beziehungen zwischen Griechenland, Zypern und der Türkei, wurde das zurückgestellt. Ich glaube, das ist der richtige Umgang. Wir müssen Flagge zeigen, würde ich sagen, dass die Demokratie diejenige Staatsform ist, die wir unterstützen, politisch, moralisch und soweit es geht. Die Sanktionen – ich muss betonen -, das sind keine Sanktionen, Wirtschaftssanktionen gegen den Staat, die wir fordern, sondern persönliche individuelle Sanktionen gegen diejenigen, die für die Fälschung der Wahlen und für die brutalen Repressionen verantwortlich sind. Das sind namhaft bekannte Personen und gegen diejenigen müssen Sanktionen verhängt werden.
Heinlein: Da vermute ich, dass Sie dann die Idee des deutschen Außenministers, die er gestern in Brüssel geäußert hat, nämlich persönliche Sanktionen gegen Lukaschenko zu prüfen, für einen richtigen Weg halten?
Levits: Genau! Genau das haben wir schon vor drei Wochen gefordert und wir sind mit der Bundesrepublik Deutschland völlig einer Meinung in dieser Frage.
"Am Ende siegt die Vernunft und die politische Haltung"
Heinlein: Sind Sie dennoch enttäuscht, dass Brüssel, dass die Europäische Union wegen dieses Vetos aus Zypern es bislang nicht geschafft hat, gemeinsam Sanktionen gegenüber Belarus zu verhängen?
Levits: Ja. Wissen Sie, als langjähriger Mitarbeiter der Europäischen Union weiß ich, wie schwierig die Entscheidungen zustande kommen. Ich weiß, dass es schwierig ist, aber ich glaube, am Ende siegt die Vernunft und auch die richtige politische Haltung. Ich glaube, dass es gestern zu keiner Einigung kam, bedeutet nicht, dass es nicht bald zu einer Einigung kommt.
Heinlein: Herr Präsident Levits, rund ein Viertel der rund zwei Millionen Einwohner Ihres Landes gehört zur russischen Minderheit. Wie sehr muss eine Regierung, wie sehr muss ein Präsident in Lettland diese Tatsache einfließen lassen in Ihr Verhalten gegenüber Moskau?
Levits: Alle Bürger sind gleichberechtigt und wir haben nicht nur die russische Minderheit; wir haben auch andere Minderheiten. Aber als Staatsbürger Lettlands sind alle Bürger gleich. Wir haben eine gemeinsame Staatssprache, das ist die lettische Sprache, und die allermeisten Bürger, egal ob sie zu einer Minderheit gehören oder zu der lettischen Mehrheitsnation, die unterstützen unsere Staatsform der Demokratie und da sehe ich keine besonderen Probleme. In unserer Beziehung mit Russland, die auch Minderheiten kennt, ist diese Frage nicht relevant.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.