CD-Box "Sensational Sweet"

Glam-Rock für Kadett-Fahrer

The Sweet auf "The Final Tour"
Sweet auf "The Final Tour" © picture alliance / dpa / Andreas Weihs
Von Holger Hettinger · 18.12.2017
Mit David Bowie oder T-Rex konnte Sweet nicht mithalten, dennoch wurde die Band zu einer der erfolgreichsten Glam-Rock-Gruppen der 70er-Jahre. Nun ist eine Box mit neun Alben von Sweet herausgekommen: die sind absolut hörenswert.
Wiederbegegnungen mit Klängen aus der eigenen Jugend sind manchmal riskant – was macht das mit dem Selbstbild, wenn die Stücke, die einem früher wahnsinnig viel bedeutet haben, beim Wiederhören banal wirken? Wie schaut man auf die glorreiche Zeit von einst, wenn sich die Musik-Heroen jener Jahre beim Wiederhören als substanzlose Luftpumpen herausstellen? Ich muss gestehen: genau solche Aspekte sind es, die mir signalisieren: Lass die Nostalgie-Truhe besser verschlossen.

Große Geste, nix dahinter?

Vor diesem Hintergrund war es völlig gefahrlos, mich der Musik der britischen Formation "Sweet" auszusetzen: Die fand ich in meiner Jugend nämlich furchtbar aufgesetzt – "Sweet" lieferte den Soundtrack für Frank und Adrian, jene Nachbarsjungen, die Opel Kadett fuhren, furchtbar verspoilert und aufgerüscht, und unter der Motorhaube wimmerte das kleine 40-PS-Motörchen in Basismotorisierung. "Sweet" bedienten sich bei ihren Fernsehauftritten immer der ganz großen Geste, Glam-Rock, klar – aber an die geheimnisvolle, abgründige Aura eines David Bowie kamen sie nicht heran, oder an die geschliffene Energie der fein gedrechselten Song-Kunstwerke von T-Rex. "Sweet", so schien es mir damals, war eine Gruppe, die zwar laut war, aber irgendwo substanzlos war. Das Make-Up zu schrill, die Plateauschuhe zu hoch. Der 1,0-Liter-Kadett des Glam-Rock. Große Geste, nix dahinter.

Musikdrama in mehreren Akten

Akt 1: das Drama des begabten Kindes. Mir war nicht klar, dass Brian Connolly, Mick Tucker, Steve Priest und Andy Scott gerade mal 20 Jahre alt waren, als sie ihr Debütalbum "How Funny Sweet Co-co can be" veröffentlichten. Und: dass sie eben nicht Musik-Marionetten an den Fäde des erfolgreichen Produzenten-Duos Nicky Chinn und Mike Chapman waren – knapp die Hälfte der Songs ihres Debütalbums haben die "Sweet"-Musiker selbst geschrieben. Beim Wiederhören klingt das Debütalbum aus dem Jahr gewaltig frisch, originell instrumentiert, und die Songs ergeben einen effektvollen Bogen vom unbeschwerten "Co-Co" bis zu dem Deep-Purple-artigen Brodeln von "Done me wrong all right"

Akt 2: die Reife. Erstaunlich, wie abgeklärt das dritte Album "Give us a wink" doch klingt, wie virtuos die Musiker mit Zitaten spielen – und wie sich die Texte ins Desillusioniert-Zynische drehen.
Akt 3 ist eigentlich ein Rückgriff und erdet vieles von dem, was "Sweet" später so virtuos aufgefächert hat. Eine CD mit Radio-Konzerten der BBC legt nämlich die Wurzeln der englischen Gruppe frei. Mit einem Medley aus Hits der Formation "The Who" treten Sweet zu einem Radio-Konzert 1971 an – ein ziemlich direkter Hinweis auf die Rhythm-and-Blues-Wurzeln der Glam-Rocker, auf die Erdigkeit ihrer Ressourcen, aber auch auf die Ernsthaftigkeit ihrer Attitüde – die mir damals, Ende der 1970er durch die Extraportion Schminke gar nicht aufgefallen ist. Muss man gehört haben? Absolut!

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