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Frankreich
Der Protest der "Gelbwesten-Frauen"

Seit Monaten demonstrieren in Frankreich die "Gelbwesten". Unter den Demonstrierenden sind auch die sogenannten "Gelbwesten-Frauen", die den Aufstand prägen. Auch ihnen gehen die Reformvorschläge Emmanuel Macrons nicht weit genug. Daher wollen sie vorerst weiter auf die Straßen ziehen.

Von Christiane Kaess | 02.05.2019
"Sexuelle Gewalt, soziale Gewalt – der gleiche Kampf gegen das Kapital!" ist auf dem Banner der Gelbwesten-Frauen in Paris zu lesen, Christina Kaess. Podium Mai 2019
Die Gelbwesten-Frauen gehen auf die Straße (Deutschlandradio / Christiane Kaess)
Vor dem imposanten Rathaus des elften Pariser Bezirks im Osten der Stadt blickt Cherifa etwas sorgenvoll auf die etwa 40 Versammelten in gelben Signaljacken. Die dunkelhaarige Frau mittleren Alters glaubt, die Gewalt der vergangenen Demonstrationen mache es schwieriger, die Gelbwesten zu mobilisieren.
"Ich merke, dass es eine derartige Unterdrückung gibt. Die Leute bekommen Angst. Bei einer Demo wurden wir von der Polizei angegriffen. Man hat uns umzingelt, wir konnten nicht einmal raus. Man besprüht uns mit Gas. Das ist dramatisch, was hier passiert."
Cherifa glaubt nicht, dass die von Präsident Macron angekündigten Reformen vor einer Woche die Protestbewegung überzeugt haben.
"Gar nicht – er hat es ja gemacht wie immer – er hat überhaupt nicht auf unsere Forderungen geantwortet. Er will bis zum Ende seines Mandats bleiben und einfach seine kapitalistische Politik fortsetzen."
Anderen Frauen helfen
An diesem Vormittag wollen sich die "Femmes Gilets Jaunes" wie sie sich nennen, also die Gelbwesten-Frauen, solidarisch zeigen mit Bewohnerinnen einer Sozialeinrichtung in der Nähe. Der Institution werfen sie vor, Frauen, die eigentlich vor Gewalt geflohen sind – sei es aus Ländern, in denen Krieg herrscht, vor Prostitution oder gewalttätigen Ehemännern - in der Einrichtung ebenfalls zu unterdrücken und sich nicht um ihre Belange zu kümmern. Oriane, Mitte 30, die roten Haare streng nach hinten gekämmt, hat zusammen mit Cherifa die Gelbwesten-Frauengruppe gegründet und spricht aus eigener Erfahrung.
"Als ich in dem Frauenhaus angekommen bin, hat man mir gesagt, ich müsse zwei Jahre auf eine richtige Wohnung warten. Aber ich war 7 Jahre dort. Weil sie nichts für einen tun. Ich hatte das Privileg, das Französisch meine Muttersprache ist. Ich konnte mir helfen. Aber es gibt dort Leute, die für 20 oder 24 Jahre in provisorischen Unterkünften wohnen."
Sie selbst hat davor auf der Straße gelebt, erzählt Oriane, habe Prostitution ertragen – so sagt sie. Aber auch in der Sozialeinrichtung gebe es Gewalt, vor allem seitdem man dort auch Männer aufnimmt. Seit zwei Jahren ist Oriane weg von dort und hat heute eine Wohnung und einen Job in einer Druckerei. Zwar in einem prekären Arbeitsverhältnis, meint sie, aber es gehe ihr nun viel besser. Jetzt will sie den anderen Frauen helfen. Die haben sich mittlerweile in einem Kreis auf dem Platz vor dem historischen Gebäude des Rathauses aufgestellt. Oriane greift entschlossen zu einem Megaphone:
Die Frauen würden ab jetzt zweimal die Woche Lärm vor dem Rathaus machen, ruft Oriane in Richtung des Sitzes des Bezirks-Bürgermeisters von der sozialistischen Partei.
"Das ist nicht normal! Sie sind Gewählte der Linken! Wir haben Ihnen Briefe geschrieben und jeden Fall dieser Frauen erklärt! Wir haben die Schnauze voll! Wir lassen Sie nicht mehr in Ruhe bis die Frauen aus dieser Einrichtung würdevoll woanders untergebracht werden!"
Nicht von Macron überzeugt
Etwa 30 Meter weiter schlendern aus der gläsernen Eingangstür des Rathauses die Gäste einer Hochzeitsgesellschaft. Sie sind festlich gekleidet und lachen der Braut in einem schicken kurzen weißen Kleid und dem Bräutigam im dunklen Anzug zu. Eine Sektflasche knallt und kleine goldene Konfettischnipsel fliegen zu den Frauen der Gelbwesten hinüber. Die wollen jetzt auch näher ans Rathaus.
"Sexuelle Gewalt, soziale Gewalt – der gleiche Kampf gegen das Kapital!", skandieren die Frauen und tragen ein Plakat vor sich her. Ihr Protest-Slogan prangt in großen rosa Buchstaben prangt. Zwei grauhaarige Männer laufen auch mit. Sie gehören zu einer lokalen Gelbwesten-Gruppe im Pariser Süden, erzählen Pierre-Jacques und Luc, und sie wollen die Frauen unterstützen. Die beiden Lehrer diskutieren über die Wut der Demonstranten auf den Kundgebungen der vergangenen Wochen. Sie können sie nachvollziehen.
"Zuerst ist da ja eine Gewalt der Gesellschaft - durch Elend, soziale Unsicherheit und mangelnde Zukunftsperspektiven. Und das empört die Menschen!"
Auch Luc lässt sich von Emmanuel Macron nicht überzeugen. Von dessen Vorgänger, Francois Hollande, hielt er allerdings auch nicht mehr.
"Sagen wir, er war vielleicht lustiger."
Kein Empfang beim Bürgermeister
Aber die Gelbwesten als alternative neue Partei? Pierre-Jacques schüttelt den Kopf.
"Ich sehen die Gelbwesten eher als Gegenbewegung zur Macht. Es gibt durch sie ja schon kleine Veränderungen. Und man sieht hier heute: die Bewegung gibt den Leuten eine Möglichkeit, sich zu organisieren, miteinander zu diskutieren. Das ist neu und das sollte man unterstützen. Mehr als die politischen Parteien."
Unterdessen ist ein Sicherheitsmann aus dem Rathaus gekommen. Er will, dass die Gelbwesten-Frauen Platz machen für die nächste Hochzeitsgesellschaft.
"Kann ich etwa heiraten?" – hält ihm Oriane entgegen. "Ich bin 35, habe kein Kind – und warum? Weil meine Lebensumstände prekär sind! Respektieren Sie uns einfach!" Noch während der Sicherheitsmann versucht, sich Gehör zu verschaffen, fangen zwei andere junge Frauen an, in das Megaphon zu singen.
"Herr Bürgermeister!" - schmettern die Beiden - "hören Sie uns an – uns die prekären Frauen – die Frauen im Krieg !"
Der Sicherheitsmann gibt auf und geht kopfschüttelnd ins Rathaus zurück. Der Bürgermeister hat die Frauen an diesem Tag nicht mehr empfangen. Aber sie wollen ja wieder kommen.