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Antisemitismus-Prävention
Diskriminierung schon auf dem Schulhof stoppen

Wo ist die Grenze zwischen Kritik an israelischer Politik und Ressentiments gegen Juden? Darüber soll an hessischen Schulen im Projekt „Antisemitis- was?“ aufgeklärt werden. Das Land reagiert damit auf die Zunahme antisemitischer Vorfälle. Auch wenn die Inhalte spielerisch vermittelt werden – für die jüdische Community ist die Lage ernst.

Von Ludger Fittkau | 18.03.2019
Der Spruch "Gegen jeden Antisemitismus!" prangt an einer Toilettenwand der Philipps-Universität in Marburg.
In 36 Workshops lernen Schüler und Lehrer, Formen des Antisemitismus zu erkennen. Das Land Hessen investiert dafür drei Jahre lang eine sechsstellige Summe. (picture alliance / dpa/ Arne Dedert)
Der in Israel aufgewachsene promovierte Erziehungswissenschaftler Meron Mendel leitet die Anne-Frank-Bildungsstätte in Frankfurt am Main. Die Einrichtung ist auf Antidiskriminierungsprojekte verschiedener Art spezialisiert. Dort erfährt man in den letzten Jahren von einer größer werdenden Anzahl antisemitischer Vorfälle auch an Schulen. Das habe auch etwas damit zu tun, dass die Alternative für Deutschland (AfD) im Bundestag und auch in Hessen inzwischen eine starke Fraktion stellt, glaubt Mendel. Er macht dies an einem Beispiel aus dem Schulalltag deutlich, von dem er vor ein paar Wochen in der Bildungsstätte erfuhr:
"Ein Jugendlicher, der ständig ein Hakenkreuz in sein Klassenbuch gemalt hat. Die Lehrerin war sehr empört und verwundert und der Fall ist an uns weitergeleitet worden. Ich war persönlich im Gespräch mit diesem Jungen. Und was kommt raus? Die Eltern sind gerade im Scheidungsprozess, der Vater ist glühendes AfD-Mitglied, die Mutter ist genau das Gegenteil. Das arme Kind ist zwischen die beiden Eltern geraten und in seiner Verzweiflung, als Hilferuf hat er diese Aktion gemacht. Das zeigt einfach, wie die Gesellschaft in die Schule durchdringt."
Rollenspiele zeigen Grenzen auf
Im neuen Antisemitismusprojekt sollen Situationen auf dem Schulhof zum Ausgangspunkt spielerischer Aktionen in den Klassen werden. Mit Rollenspielen soll etwa die heikle Grenze gefunden werden zwischen legitimer Kritik an der Politik der israelischen Regierung und allgemeinen Ressentiments gegen Juden. Dabei rücken auch hessische Integrationsklassen in den Blick, in denen Flüchtlingskinder unterrichtet werden. Denn zum Beispiel syrische oder irakische Kinder bringen oft schon einen weit verbreiteten Antisemitismus aus ihrem Kulturkreis mit, beobachtet Meron Mendel. Er erzählt von einem Flüchtlingsjungen, der eine Whats App-Gruppe zur Verbreitung seiner antisemitischen Haltung nutzte:
"Infolgedessen an den Tagen danach waren schon zwei Polizeibeamte in der Schule, die auf ihn gewartet haben. Und der Junge war bei uns zum Gespräch und er sagte: Bei uns war das normal, dass man sich so ausdrückt. Ich wusste gar nicht, dass das nicht normal ist. So war es in meinem Heimatland."
Irritation über Antisemitismus
Beirat des neuen Projektes, das sich mit solchen Haltungen auseinandersetzten wird, ist auch ein Experte des Zentralrates der Juden in Deutschland vertreten. Professor Dorin Kiesel aus der Bildungsabteilung des Zentralrates machte jetzt in Frankfurt am Main deutlich, dass viele der rund 100.000 Juden in Deutschland über den wachsenden Antisemitismus hierzulande irritiert sind:
"Aber es ist den Versuch wert, dagegen zu halten. Ansonsten, und das kann man nach der Shoah mit Sicherheit sagen: Heute ist die Sensibilität innerhalb der jüdischen Bevölkerung extrem ausgebildet. Es gibt viele Juden, die sich schon eine Zweitwohnung in Tel Aviv oder in Haifa besorgen. Diese Unsicherheit schien vorbei zu sein, sie ist in gewisser Weise zurückgekehrt, ohne das die Menschen schon wieder auf gepackten Koffern sitzen – aber es gibt eine Irritation".
Problem nicht verdrängen
Der hessische Kultusminister Alexander Lorz forderte jetzt bei der Unterzeichnung des Kooperationsvertrages für das neue Antisemitismusprojekt die 1800 Schulen in Hessen auf, das Problem nicht zu verdrängen:
"Erstens natürlich, weil es eine besonders abscheuliche Form ist, in der sich die Missachtung des einzelnen Menschen und seiner Würde äußert. Zweitens, weil es auch irgendwie ein Indikator ist für gesellschaftliche Entwicklungen ganz generell. Also wenn eine Gesellschaft dabei ist, in Illiberalität oder Missachtung von Menschenwürde abzugleiten, fängt das komischerweise immer mit Antisemitismus an."
Drittens, so Lorz, auch wegen der besonderen Verantwortung, die Deutschland aufgrund seiner Geschichte hat. Auch die Kultusministerkonferenz, so Lorz – der zur Zeit Vorsitzender der KMK ist - werde demnächst über gemeinsame Projekte gegen Antisemitismus an Schulen beraten. Das nun auf den Weg gebrachte Projekt in Hessen soll nur eines unter vielen sein.