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Protestsongs

Zum 150. Todestag von Heinrich Heine hat das Berliner Literaturhaus den Star der finnischen Underground-Szene, Mauri Numminen, eingeladen, das Ereignis musikalisch zu begleiten. Was der Jazzer und Chansonier am Ende vorgelegt hat, ist schwer rubrizierbar. Schubertlied, Barjazz, Ambient und Techno, Minimalismus, finnische Tango und klassisches Streichquartett sind bei ihm zu einem höchst eigenwilligen Crossover vereint, das den charakteristischen Sprechgesang Numminens trägt, illustriert, auch kontrastiert.

Von Frank Kämpfer | 19.11.2006
    Im Folgenden gilt die Aufmerksamkeit aber zunächst dem klar verständlich gesungenen, weil politisch gemeinten Wort: Ingrid Schmithüsen interpretiert Lieder Johanna Kinkels, Mauri Numminen vertont und singt Heinrich Heine, Hanns Eisler erinnert sich an Bertold Brecht.

    " Musikbeispiel: Johanna Kinkel, Demokratenlied "

    Im praktischen Einsatz für die Demokratisierung kulminiert beider Leben. Gottfried Kinkel, ein Protestant im Rheinischen, Teilnehmer am pfälzisch-badischen Aufstand 1848/49, geht dafür ins Gefängnis - Johanna Kinkel, die vermeintliche Drahtzieherin linker Gesinnung, lässt Carl Schurz ihren Mann aus der Festung befreien. Sie emigriert mit dem Gatten nach London, ernährt die Familie und - komponiert. Er schreibt zahlreiche Verse, sie vertont sie in der ihr eigenen, anti-romantischen Kargheit - funktional, frei von Zierrat, vom Gestus her klar. Eine in Vielem rebellische Biographie prägt das Leben der politischsten deutschen Komponistin, die das 19. Jahrhundert hervorgebracht hat. Mit Mitte Zwanzig erzwingt sie in ihrer katholischen Bonner Familie, in Berlin Musik zu studieren - sie kämpft gegen eine ihr aufgezwungene Ehe, sie heiratet (Jacob Burkhard und Emanuel Geibel sind die Trauzeugen) einen Revolutionär. Sie spielt Klavier in Fanny Mendelssohn-Hensels Salon, sie lässt in Bonn Opern aufführen, sie konvertiert, zieht vier Kinder groß und geht gemeinsam mit Gottfried Kinkel durch die Träume und Realitäten der 1848er Revolution.

    Mit Ingrid Schmithüsen hat sich eine eher unklassische Interpretin für die Wiederentdeckung engagiert. Die von ihr mitkonzipierte CD spannt einen biographischen Bogen, versammelt Kindergedichte, italienische, schottische und provencialische Lieder, die eigene Reisen erinnern; Chamisso-, Heine- und Goethe-Vertonungen über die rheinische Heimat. Eher wie ein Chansonprogramm denn wie ein romantischer Abend, so wirkt erfreulicherweise, was auf der Platte erklingt: Ingrid Schmithüsen setzt auf Schlichtheit und gut verständliche Texte, Pianist Thomas Palm sorgt für Leichtigkeit und Transparenz. Er spielt ein historisches Fortipiano der Marke Érard; ein ähnliches schenkte Gottfried Kinkel Johanna zum 40. Geburtstag. - Hier als zweiter Hör-Eindruck ein heure eher nationalistisch anmutender Freiheitsgesang, der 1842 entstand: Wohlauf, ihr Candioten op. 18 Nr.3.

    " Musikbeispiel: Johanna Kinkel, Vorüberfahrt "

    Klavierlieder von Johanna Kinkel - von Ingrid Schmithüsen (Sopran) und Thomas Palm (Klavier) neu eingespielt bei cpo - in Zusammenarbeit mit dem Westdeutschen Rundfunk.

    Singulär auch die folgende Produktion. Der Auftrag dazu kam vom Berliner Literaturhaus und er bestand in einem Programm zum 150sten Todestag von Heinrich Heine. Was Mauri Numminen, Star der finnischen Underground-Szene am Ende vorgelegt hat, ist schwer rubrizierbar. Der Jazzer und Chansonier nämlich hat für den musikalischen Rahmen diverse Stile gemischt. Schubertlied, Barjazz, Ambient und Techno, Minimalismus, finnischer Tango und klassisches Streichquartett sind zu einem höchst eigenwilligen Crossover vereint, das den charakteristischen Sprechgesang Numminens trägt, illustriert, auch kontrastiert.

    Zwölf Heine-Gedichte hat der Finne seiner Platte zu Grunde gelegt - auf den ersten Blick kreist diese ums Trinken, um Liebe und Hass. Subtileres Hören zeigt an, dass Heine wie Numinen auf ein sinnvolles Dasein im Heute abzielen - auf ein Lebenskonzept, das politische Wachheit, soziales Engagement und die Genüsse der Sinne aus männlicher Sicht voneinander nicht trennt. Heine serviert diese Empfehlung mit der ihm eigenen Ironie, die falschen Frömmlern, ideologischen Spießern die Masken abzieht. Bei Numminen schwankt der ästhetische Boden schlechthin; der präzis konzipierten Melange der zitierten musikalischen Marken fehlt absichtsvoll jeder Ernst, jede Eindeutigkeit. Subtiler Humor, der einen aufschrecken lässt, kann impulshaft dem komplexen Begleitsound entspringen, derweil - und das gehört zur Substanz dieser 14teiligen Suite - derweil der Sänger-Sprecher-Darsteller den Finger in politische Wunden zu legen und im nächsten Moment über die Unbill des Leben zu trösten vermag.

    " Musikbeispiel: Mauri Numminen, Der Tannhäuser "

    Mauri Numminen singt Heinrich Heine - Streichquartett und Vibrafon wurden in den Finnvox Studios eingespielt, Gesang, Klavier und Electronics im Studio Jouni Korhonen. Erschienen ist diese Neuproduktion im September diesen Jahres bei TRIKONT in München.

    Auch das dritte neue Album, das ich Ihnen heute morgen anspiele, will einen literarischen Jubilar des Jahres 2006 in musikalischem Kontext darstellen. Hanns Eisler erinnert sich an Bertold Brecht:

    " CD Berlin Classic 0017962BC, LC 06203 "

    Die Anekdote scheint Talkshowreif, für die Spaßgesellschaft bestens geeignet. Der Komponist Hanns Eisler hat sie - zugespitzt zweifellos - in Verhältnissen wieder gegeben, die eher un-heiter waren, in es genau zu bedenken galt, was man über Brecht zwei Jahre nach dessen Tod und in Ostberlin öffentlich sprach.

    Eisler äußerte sich viel und sehr klug über Brecht - seine berühmten, in Radio und Buch veröffentlichen Gespräche mit Hans Bunge und Nathan Notowicz haben ostdeutsche Musikgeschichte geprägt. Peter Deeg hat die Tondokumente der späten 50er Jahre einer Art Wort-Musik-Hörbuch zu Grunde gelegt, das aus Anlass des 50sten Todestags Brechts gemeinsamen Wegen des Autors und des Musikers nachgeht. Eisler erinnert an die politisch zum Zerreißen gespannte Situation im Berlin der frühen 30er Jahre, an die Exilstationen, an Leben und Arbeit Mitte der 40er in Kalifornien und an die erste Zeit in der Ex-DDR. Zugeordnet sind 21 Eisler'sche Vertonungen - reizvolle Lieder und Songs in heute kaum mehr bekannten ost-deutschen Aufnahmen aus den Archiven.

    Die Beschränkung auf die historischen O-Töne Eislers schließt gegenwärtige Erkenntnisse aus - die Dokumente entwerfen aus heutiger Sicht jedoch erstaunliche Horizonte. Was Eisler zu Brecht sagt, gesagt hat mit Vorsicht, wirkt wohl anekdotisch, doch fern vieler Klischees. Ein Brecht-Bild entsteht, das wie gewohnt einen dialektischen Denker in den Mittelpunkt rückt, einen Menschen - und das ist heute schon wieder fast subversiv - einen Menschen mit einem sehr komplexen und vitalen Verständnis von Welt, Politik, Kunst und Natur. - Hier Ekkehard Schall mit der "Ballade von der Billigung der Welt":

    " Musikbeispiel: Hanns Eisler, Ballade von der Billigung der Welt "

    "Der Brecht und ich. Hanns Eisler in Gesprächen und Liedern". Das von Peter Deeg zusammengestellte Hörbuch erschien im Sommer beim Hamburger Label Berlin Classics.

    CD 1:
    Titel: Klavierlieder von Johanna Kinkel
    Solisten: Ingrid Schmithüsen, Sopran
    Thomas Palm, Klavier
    Label: cpo
    Labelcode: LC 08492
    Bestellnr.: 777 140-2

    CD 2:
    Titel: Mauri Numminen singt Heinrich Heine
    Label: Trikont
    Labelcode: LC 04270
    Bestellnr.: US-0357

    CD 3:
    Titel: Der Brecht und ich. Hanns Eisler in Gesprächen und Liedern
    Label: Berlin Classic
    Labelcode: LC 06203
    Bestellnr.: 0017962BC