Freitag, 29. März 2024

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Provenienzforschung
"Es gibt noch Lücken, die durchaus bedenklich sind"

Die Galerie des 20. Jahrhunderts sollte den Berlinern direkt nach dem Zweiten Weltkrieg zeitgenössische Kunst wieder zugänglich machen. Die Frage, woher die dort gezeigten Werke stammten, lasse sich heute vielfach nicht mehr gänzlich klären, sagte Petra Winter, die Leiterin des Zentralarchivs der Staatlichen Museen zu Berlin, im DLF. Bei der Herkunftsforschung habe es aber auch eine Überraschung gegeben.

Petra Winter im Gespräch | 16.03.2016
    Klare Kante: Die Neue Nationalgalerie von Ludwig Mies van der Rohe in Berlin.
    Die Neue Nationalgalerie in Berlin. (dpa / picture alliance / Jörg Carstensen)
    Maja Ellmenreich: Jetzt geht es bei uns um eine Sammlung, die es als eigenständige Sammlung gar nicht mehr gibt: Die Galerie des 20. Jahrhunderts in Berlin. Der Name verrät es schon: In ihr fand sich moderne, zeitgenössische Kunst, und zwar hatte man mit der Sammlungstätigkeit bereits unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg angefangen, noch im Herbst 1945. So schnell wie möglich wollte man den Berlinern wieder Gelegenheit geben, überhaupt zeitgenössische Kunst sehen zu können. Die Galerie des 20. Jahrhunderts also auch ein Zeichen der Freiheit nach den Jahren des Nationalsozialismus und des Verbotes sogenannter entarteter Kunst.
    Woher aber stammten die Werke dieser Sammlung, die Ende der 1960er-Jahre unter anderem in der Sammlung der Neuen Nationalgalerie in Berlin aufging? In einem beeindruckend umfangreichen Provenienz-Forschungsprojekt wurde dieser Frage im Fall von rund 500 Kunstwerken nachgegangen und nicht zuletzt natürlich im Hinblick auch auf einen möglichen NS-verfolgungsbedingten Entzug, wie das offiziell heißt. Heute werden die Forschungsergebnisse in Berlin präsentiert, unter anderem von der Provenienz-Forscherin Petra Winter. Sie ist Leiterin des Zentralarchivs der Staatlichen Museen zu Berlin. An sie die Frage: Gab es schon vorher Verdachtsfälle? Hatte man im einen oder anderen Fall vielleicht bereits vermutet, dass ein Kunstwerk etwa einer jüdischen Familie vor 1945 abgepresst worden war?
    "Es gibt noch Lücken, die durchaus bedenklich sind"
    Petra Winter: Ja, die Verdachtsfälle gab es, und es gab Anfragen zu dem Bestand, sozusagen Auskunftsersuchen, wie das dann formuliert wird, und es war uns klar, weil die klassische Moderne so ein bisschen naturgemäß immer im Fokus der NS-Raubkunst steht, dass wir uns diesem Bestand einfach dringend widmen müssen. Und deswegen schon 2009 die Initiative, 2010 ging das Projekt los, diese Werke zu untersuchen.
    Ellmenreich: Wie viele der 500 Werke der ehemaligen Galerie des 20. Jahrhunderts gelten denn nach neuestem Forschungsstand als NS-Raubkunst?
    Winter: Das ist tatsächlich überraschend. Wirklich nur zwei Werke von Schmidt-Rottluff, die bereits 2012 restituiert wurden vom Land Berlin, und drei Werke in dem Bestand sind bereits vor '68 in Vereinbarungen zwischen Magistrat und den Erben entschädigt worden. Die sind also im Bestand der Galerie geblieben. Man muss aber sagen, dass wir natürlich einige Werke - um die 30 - dabei haben, wo zwar wahnsinnig umfangreich recherchiert wurde, die wir als ausrecherchiert betrachten, im Moment keine weiteren Rechercheansätze sehen, die aber Lücken haben, die durchaus bedenklich sind, wo man aber nach jetzigem Zeitpunkt einfach nichts weiter dazu sagen kann. Deswegen stehen die bei Lost Art und sind jetzt auf der Webseite zur Galerie des 20. Jahrhunderts sehr ausführlich mit Quellenliteratur, Provenienzen sowieso und auch einem erläuternden Text, der, glaube ich, auch die Schwierigkeit, die bei solchen Recherchen entstehen können, deutlich macht.
    Ellmenreich: Was genau für Schwierigkeiten sind das? Bedenklich klingt jetzt ja ganz schön geheimnisvoll.
    "Oft gibt die Recherche im Moment nichts weiter her"
    Winter: Bedenklich heißt, dass einfach in der Provenienz Lücken sind, die einfach einen großen Zeitraum umfassen, wo aber wirklich die Recherche im Moment nichts weiter hergibt, so salopp ausgedrückt. Das ist die eine Schwierigkeit. Das andere ist, dass man Werke dabei hat - davon haben wir ungefähr 120, das ist eine recht große Zahl -, die einfach aufgrund ihrer Gattung sehr schwierig zu recherchieren sind. Das sind zum Beispiel druckgrafische Werke in höheren Auflagen oder Güsse in höheren Auflagen, Skulpturen, oder Werke, wo einfach schwierig festzustellen ist die Werkidentität. Das meint, ob dieses Werk, was sich bei uns befindet, zum Beispiel eine Picasso-Zeichnung, die "Bärtiger Mann" heißt, von dem Picasso ja etliche gemalt hat, ob genau diese Zeichnung, die wir haben, diejenige ist, die eventuell einem jüdischen Sammler entzogen wurde, oder eine andere. Das ist oft gar nicht feststellbar, weil die Quellen einfach so wenig aussagekräftig sind oder die Datierung schwer nachzuweisen ist.
    Ellmenreich: Das heißt, da kommt die Provenienzforschung an ihre Grenzen? Da wird es keine Aufklärung geben?
    Winter: Da wird es vielleicht noch Aufklärung geben, wenn jetzt alles online steht und sich andere Forscher beteiligen können, oder auch Erben, die Kunstwerke suchen oder vermissen et cetera einfach jetzt wirklich beitragen zu der Forschung. Das ist uns wichtig.
    Ellmenreich: Was konnte man aus Ihrem Projekt vielleicht auch lernen über den Umgang damals mit zeitgenössischer Kunst gleich nach dem Kriegsende? Wurde die Herkunft überhaupt hinterfragt? War das überhaupt eine Frage, die man sich gestellt hat?
    Nur wenige Werke mit einem ganz harten Verdacht
    Winter: Das ist eine gute Frage. Das haben wir uns unterwegs im Projekt auch oft gefragt. Es gibt manchmal in den Akten Bemerkungen, die Adolf Jannasch macht, die darauf schließen lassen, als wüsste er, aus welcher Sammlung das Werk ursprünglich vielleicht kam. Es gibt auch manchmal Akten, Nachweise, wo wir den Eindruck haben, er hat dann doch von dem einen oder anderen Werk, mal so ausgedrückt, die Finger gelassen, weil er wusste, wo es herkam. Aber im Endeffekt können wir das eigentlich nicht belegen, weil wir so wenige Werke finden konnten, wo tatsächlich ein ganz harter Verdacht auf einen verfolgungsbedingten Entzug vorliegt. Das ist auch ein bisschen die Krux daran. Ansonsten kann man sagen, dass vor allem Jannasch sich ja sehr eingesetzt hat für die damals lebenden Künstler und es ihm ganz wichtig war, auch Künstler zu unterstützen, die den Krieg in welcher Form auch immer überstanden haben, die ihr Atelier verloren hatten, die keine Materialien hatten, und denen wieder die Chance zu geben, mit Unterstützungskäufen künstlerisch auf die Beine zu helfen. Ganz im Gegensatz zu Justi, also nicht im Gegensatz, aber Justi, der ja für die Museumsseite stand, der einfach sein Kronprinzen-Palais wieder aufbauen wollte und mehr den Schwerpunkt auf die vormals verfemten Künstler legen wollte.
    Ellmenreich: Adolf Jannasch und Ludwig Justi, zwei Protagonisten der Berliner Nachkriegs-Museumslandschaft. Herzlichen Dank an Petra Winter, die Leiterin des Zentralarchivs der Staatlichen Museen zu Berlin. Wir sprachen über das Provenienz-Forschungsprojekt der ehemaligen Galerie des 20. Jahrhunderts.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.