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Provinz ist überall

In seinem einzigen Roman zeigt sich Hans Adler weniger als Epiker der langen Strecke denn als pointierter Satiriker. Und die Philister, die Adler so plastisch und lebensnah karikiert, amüsieren auch heute noch.

Von Katrin Hillgruber | 19.04.2010
    Wunderbar böse, bitter wahrhaftig, operettenhaft lustig und glänzend erzählt: Das ist das Urteil der Darmstädter Jury über Hans Adlers Roman "Das Städtchen", das sie im Dezember zum Buch des Monats wählte.

    Hans Adler, 1880 in Wien als Johann Nepomuk Heinrich Adler geboren, wurde zunächst Jurist. Unter seinem Künstlernamen Hans Adler debütierte er aber schon früh mit satirischen Gedichten. 1920 erschien die Sammlung "Affentheater", die kein Geringerer als Kurt Tucholsky zusammenstellte. Nach dem "Anschluss" Österreichs an Hitler-Deutschland sah sich der Textdichter als vermeintlicher Jude zunehmend Schikanen ausgesetzt. Er starb 1958 bei einem Autounfall. "Das Städtchen", Hans Adlers einziger Roman aus dem Jahr 1926, ist nun in einer Neuausgabe wiederzuentdecken.

    Hier müssen satte Menschen friedlich wohnen
    Mit runden Köpfen, denen man vertraut.
    Es riecht nach saurem Bier und braunem Kraut,
    Nach fett und fromm gewordenen Matronen.


    So lautet die erste Strophe aus Hans Adlers Gedicht "Das Städtchen". An dem gleichnamigen Roman, seinem einzigen, arbeitete der Jurist und Textdichter ganze acht Jahre lang. "Das Städtchen" erschien 1926 und wurde mit dem Künstlerpreis der Stadt Wien ausgezeichnet. Schon zuvor waren Zeitgenossen wie Kurt Tucholsky oder Klabund auf das satirische Talent des Verwaltungsjuristen aufmerksam geworden. Als 16-jähriger Internatszögling hatte Johann Nepomuk Heinrich Adler der Zeitschrift "Simplicissimus" ein Gedicht namens "Ode an den Cognac" geschickt. Der Text wurde prompt gedruckt, doch der Ärger bei den Benediktinern war groß. Bereits mit 35 wurde Adler wegen eines Lungenleidens pensioniert. Das ließ ihm Zeit, unsterbliche Wiener Lieder wie "Draußen in Sievering blüht wieder der Flieder" und Operettentexte zu kreieren. Zeitweise war er auch Direktor einer Filmgesellschaft.

    Als sogenannter Konzeptpraktikant hatte Hans Adler nach seinem Jurastudium ab 1906 in Sankt Pölten bei Wien gearbeitet. Dabei gewann er offenbar tiefe Einblicke in das gesellschaftliche Leben dieser Provinzstadt gegen Ende der k.u.k.-Monarchie. "Hier müssen satte Menschen friedlich wohnen": Es ist der satirische Blick von außen, durch die hell erleuchteten Fenster, der die Perspektive des Romans auf reizvolle Weise bestimmt. Immer wieder lässt der allwissende Erzähler seine Figuren in überheizte Wohn- und Amtsstuben blicken, oder er lässt sie aus dem Haus auf die Straße treten. So entstehen zahllose Schilderungen der Übergangssituation von drinnen nach draußen und umgekehrt. Wer von einem heimlichen Stelldichein kommt, nimmt auf der Straße zwangsläufig ein anderes, unverdächtiges Gesicht an. Ständig werden Garderoben überprüft, Krägen hochgeschlagen oder Schirme aufgespannt.

    Die Seitengassen duckten sich still und tückisch in die Dämmerung, und die wenigen friedsamen Passanten, die irgendwelche bürgerlichen Verrichtungen ins Freie zwangen, boten keinen Anlass zu außergewöhnlichen Maßnahmen. Mit beschleunigten Schritten strebten sie ihren Zielen zu und sahen beleidigt nach den beleuchteten Fenstern, hinter denen sie Trockenheit, Wärme und familiäre Gerüche vermuten konnten. Fast alle tauschten mit dem Wachmann Gugurell einen freundlichen Gruß und hatten bei seinem Anblick eine deutlich betonte Empfindung von Sicherheit und wohltuendem Bevormundetsein.

    Das namenlose "Städtchen", dessen unseliges geheimes Treiben hier geschildert wird, liegt an der Bahnstrecke Wien-Paris. Selbstherrlich regiert der Bürgermeister Knetsch, ein Kapitalist und Schürzenjäger, wie er im Buche steht. Tagsüber verführt er seine wechselnden Sekretärinnen, abends zeigt er sich mit Frau und Tochter im Stadttheater.

    Es wimmelt nur so von Menschen mit künstlerischen Ambitionen. Sie alle, die Zeichner, Soubretten und offenherzigen Schauspielerinnen, streben nach Höherem und treten doch auf der Stelle, darunter ein amerikanischer Tenor, der hier gestrandet ist. Das tragischste Beispiel für die schädliche Bindekraft des "Städtchens" ist der Zeichenlehrer Titus Quitek. Dieser Name klingt nicht nur nach einem rechtschaffenen Meerschweinchen, Quitek ist tatsächlich die einzige ehrliche Haut vor Ort. Immer hatte sich der akademisch ausgebildete Maler nach Paris fortgeträumt und blieb doch Zeichenlehrer am örtlichen Realgymnasium.

    Titus Quitek wird auf schmerzhafte Weise mit seinen gescheiterten Lebensplänen konfrontiert, als er seinem Jugendfreund Baron von Seylatz wiederbegegnet. Für Seylatz stellt das "Städtchen" nichts weiter als eine Stufe seiner Karriereleiter dar. Der Hobbymusiker denkt sich auch nichts dabei, Quiteks minderjährige Ziehtochter zu verführen. Quitek aber, der in wilder Ehe lebt und fortgesetzt dem Alkohol zuspricht, endet tragisch.

    Die Entlassung Titus Quiteks war Tatsache geworden und bildete das Tagesgespräch. Mit beleidigender Fassung hatte die Witwe Sintekorn die Nachricht aufgenommen und lächelte eisig, wenn er hilflos Türen ins Schloss schmetterte, dass es staubte. Die runden Hände über den Leib gekreuzt, freute sie sich auf die Stunde, da er die Miete nicht mehr würde zahlen können.

    Auch in seinem einzigen Roman zeigte sich Hans Adler weniger als Epiker der langen Strecke denn als pointierter Satiriker. Verdienstvollerweise hat der Düsseldorfer Lilienfeld-Verlag dieses kakanische Kleinod wiederentdeckt und in einer bibliophilen Ausgabe neu zugänglich gemacht. Denn die Philister, die Hans Adler so plastisch und lebensnah karikierte, amüsieren auch heute noch. Mag das Reich des österreichisch-ungarischen Doppeladlers auch untergegangen sein: Provinz ist bekanntlich überall, und so ist und bleibt das "Städtchen" ein unvergänglicher Prototyp.

    Hans Adler: Das Städtchen. Roman. Mit einem Nachwort von Werner Wintersteiner.
    Lilienfeld Verlag (Lilienfeldiana Band 6), Düsseldorf 2009. 333 Seiten, 21,90 Euro.