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Provinzposse um UNESCO-Titel

Sie hätte in einem Atemzug mit dem Ayers Rock in Australien genannt werden können: die Karstlandschaft Südharz. Die UNESCO wollte die einzigartige Gipsfelsenlandschaft in ein Biosphärenreservat umwandeln. Doch der Bürgermeister der Gemeinde Südharz stellt sich quer.

Von Christoph Richter | 05.04.2013
    Weiße, schroff abfallende Gipsfelsen, riesige Höhlen. Wildkatzen und schwarze Störche. Idyllische mittelalterliche Dörfer, in denen die Menschen heidnische Bräuche leben. Eine fast mystische Gegend, das ist die Karstlandschaft Südharz. Die liegt auf halber Strecke zwischen Halle und Göttingen und steht wegen ihrer Einmaligkeit schon seit 1927 unter besonderem Schutz. Jetzt sollte ein UNESCO-Biosphärenreservat draus werden. Und hätte in einer Reihe mit dem australischen Ayers Rock stehen können. Hätte. Ist aber nicht.

    Denn der Bürgermeister der sachsen-anhaltischen Verbandsgemeinde Südharz stellte sich quer. Für die Anerkennung wäre aber die Zustimmung der gesamten Region nötig gewesen, damit ist das Projekt UNESCO-Biosphärenreservat Südharz gestorben. Die pensionierte Lehrerin Renate Blume aus Questenberg versteht die Welt nicht mehr:

    "Da gibt es sehr unschöne Sachen. Dass die, die den Mut haben, was dagegen zu sagen, dass die bedroht werden."

    CDU-Bürgermeister Ralf Rettig winkt ab. Er träumt stattdessen von rauchenden Fabriken, kreischenden Sägewerken, staubigen Gipsfabriken. Damit das mal Wirklichkeit wird, hat er gegen das Vorhaben UNESCO-Biosphärenreservat Karstlandschaft Südharz gestimmt.

    "Speziell können Einschränkungen für die Landwirtschaft kommen. Das heißt Gülle-Verbot, Dünger-Verbot, Spritzverbot. Die Landwirtschaft hätte wirtschaftliche Nachteile, die Gemeinde könnte sich nicht weiterentwickeln."

    Unterstützung bekommt der frühere LPG-Schlosser Ralf Rettig von der örtlichen Industrie- und Handelskammer in Sangerhausen.

    "Auch ein Titel Biosphärenreservat wird nicht in Scharen Touristen anlocken. Das kann niemand nachweisen,"

    … so IHK-Sprecher Frank Lehmann. Christdemokrat Hermann Onko Aeikens, Sachsen-Anhalts Umweltminister, schüttelt den Kopf:

    "Wir haben sehr viele Gespräche mit Herrn Rettig geführt, wir haben uns intensiv bemüht, wir haben versucht, mit einem Vertrag auf die Bedenken der Gemeinde einzugehen. Aber wenn immer neue Forderungen gestellt werden und wenn ich Dinge unterschreiben soll, dich ich verantwortungsbewusst nicht unterschreiben kann, dann ist eine Situation entstanden, in der wir nicht weiterkommen."

    Wenn der UNESCO-Titel gekommen wäre, dann hätte nur die sogenannte Kernzone - die im Südharz aber lediglich drei bis vier Prozent der Flächen ausgemacht hätte - nicht mehr wirtschaftlich genutzt werden dürfen. Nur dort hätte man alles so lassen müssen, wie es Mutter Natur einst geschaffen hat. Auf dem übrigen Gebiet wäre aber fast alles möglich gewesen. Denn da soll der Mensch geradezu leben und arbeiten, seinen Bedürfnissen und Traditionen nachgehen. Genau das ist das Besondere des Konzepts eines UNESCO-Biosphärenreservats, das den Menschen und die Natur in direkten Zusammenhang bringt.

    Der ganze Kampf eines sachsen-anhaltischen Dorfes um das Pro und Kontra des etwa 30.000 Hektar kleinen UNESCO-Biosphärenreservats Südharz hat etwas von einer Provinzposse. Es handelt letztlich von einem Bürgermeister, der einen ganz persönlichen Rachefeldzug gegen Naturschützer führt, vermutet Holger Piegert, Chef der Reservatsverwaltung Karstlandschaft Südharz:

    "Die Leute haben viel zu viel Angst, dass wir irgendwelche Verordnungen machen könnten. Das ist aber Sache der Länder, des Bundes, der EU. Sondern wir sind ja einfach dazu da, die Kommunen auch zu unterstützen in ihrer freiwilligen Arbeit. Insbesondere in der Tourismus-Entwicklung oder Landschaftspflege."

    Seit der Gründung des Landes Sachsen-Anhalt sind sich alle im Landtag vertretenen Parteien einig, das Südharzer Gipskarstgebiet in ein Biosphärenreservat mit UNESCO-Status umzuwandeln. Doch das ist nun erst mal passé, um aus der weithin unbekannten, aber einzigartigen Landschaft bestehend aus 200 Höhlen ein Gebiet mit weltweiter Strahlkraft zu machen. Noch gibt es die Möglichkeit eines Bürgerbegehrens bzw. einer Bürgerbefragung. Doch ob das passiert, ist derzeit mehr als fraglich.

    Mehr auf dradio.de:

    Rasende Reiselust - Frank Fischer: "Die Südharzreise", Sukultur Verlag
    Im Bann der Dunkelheit - Eine Lange Nacht über Höhlen und Karstlandschaften