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Prozess um 71 Tote in Kühllaster
Staatsanwalt fordert lebenslänglich

Im Prozess um die 71 toten Flüchtlinge in einem Kühllaster soll heute das Urteil verkündet werden. Die Staatsanwaltschaft forderte für die vier Hauptangeklagten lebenslange Freiheitsstrafen wegen Mordes. Die Menschen waren während der Fahrt in dem Lkw qualvoll erstickt.

Von Andrea Beer | 14.06.2018
    Der Lkw, in dem 71 tote Flüchtlinge entdeckt wurden, steht am 27. August 2015 auf der A4 zwischen Parndorf and Neusiedl in Österreich. Die Flüchtlinge sind laut Polizeiberichten erstickt.
    71 Menschen erstickten 2015 während der Fahrt in diesem Kühllaster. (APA)
    26. August 2015. Am Morgen kurz nach halb sechs steigen 59 Männer, acht Frauen und vier Kinder nahe der serbisch-ungarischen Grenze in einen Kühllaster. Die Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, dem Iran und dem Irak wollen nach Westeuropa. Die Polizei wertet später letzte SMS und Handynachrichten aus, auch den Anruf dieses Irakers:
    "Wenn wir Deutschland glücklich erreichen, kostet es 1.600, bis Österreich 1.400 Euro. Wenn sie uns in Ungarn erwischen, bekommen wir unser Geld zurück"
    Schon kurz nach der Abfahrt fangen die Menschen an zu klopfen und zu schreien. Die Luft wird knapp, es ist eng und dunkel und die Türen lassen sich von innen nicht öffnen. Rund drei Stunden später sind die 71 Menschen qualvoll erstickt. Der Syrer Yussef Chaikh hat in dem LKW seinen Bruder und dessen Familie verloren. Zum Prozessauftakt sagte er dem ARD Studio Wien:
    "Ich möchte die Wahrheit wissen. Denn ich glaube da ist doch noch etwas, was keiner weiß. Mein Leben ist seit ihrem Tod nur noch Stress."
    Staatsanwalt fordert lebenslange Freiheitsstrafen
    In seinem Schlussplädoyer forderte Staatsanwalt Gabor Schmidt für die vier wegen Mordes Hauptangeklagten lebenslange Freiheitsstrafen. Den 31-jährigen Afghanen Lahoo S. hält er für den Kopf der Gruppe. Dieser war anerkannter Flüchtling, ein Status, der ihm entzogen wurde. Er spricht Paschtu, Serbisch, Ungarisch und Englisch und schockierte zum Prozessauftakt mit Lächeln und Provokationen im Gerichtssaal. Im Prozessverlauf bekannte er sich der Schlepperei für schuldig, nicht aber des Mordes.
    In seinem Schlusswort vor Gericht bat Lahoo S. um Verzeihung. Falls er freikomme, wolle er der Menschheit helfen. Die Staatsanwaltschaft ist davon nicht überzeugt. Der 31-Jährige habe dem bulgarischen Fahrer des LKW ausdrücklich befohlen, nicht anzuhalten, als dieser per Handy von den Schreien der erstickenden Menschen berichtet habe. Schon einen Tag nach dem tödlichen 26. August 2015 habe der Afghane sogar eine nächste Flüchtlingsfahrt geplant, so Staatsanwalt Gabor Schmidt. Als Beleg nennt er ein Gespräch des Afghanen mit einem 30-jährigen Bulgaren.
    "Das Gespräch bestätigt, dass den beiden Hauptangeklagten bewusst war, dass Leute gestorben sind, und sie haben anfangen für den 27. August zwei Transporte zu organisieren. Ein anderes Gespräch zeigt, dass der Zweitangeklagte wusste, dass die Migranten gestorben sind, weil sie keine Luft bekamen."
    Angeklagte schoben sich gegenseitig die Schuld zu
    Der Fahrer des Kühl-LKW, die Insassen der Begleitautos, der Autokäufer und Anwerber von Schleppergehilfen oder der afghanische Kopf der Gruppe. Im ein Jahr lang dauernden Prozess schoben sich die Angeklagten gegenseitig die Schuld zu. Ein 52-jähriger Bulgare belastete den Hauptangeklagten Lahoo S. Dieser sei zu gierig geworden und habe immer mehr Menschen in die Autos gequetscht. Mit dem Menschenschmuggel hat Lahoo S. laut Anklage 300.000 Euro verdient. Die 71 Toten von Parndorf sind eine von rund 25 Schlepperfahrten, die den Angeklagten vorgeworfen werden. Ungarische Ermittler hatten die Gruppe schon knapp zwei Wochen im Visier gehabt und deren Handys abgehört auch am Todestag der 71 Menschen. Das brachte den Ermittlern den Vorwurf ein, möglicherweise nicht alles getan zu haben, um Leben zu retten. An einem Prozesstag im Januar las Richter Janos Jaadi abgehörte Telefonate des 26.August 2015 vor.
    'Aber hämmern sie? - "Ja, sie haben an der Tankstelle heftig gehämmert." - "Ich denke, dass die Leute nicht nur Wasser möchten, Samsun. Es gibt keine Luft." - "Es ist zu warm. Der Fahrer sagt, dass viele sagen: 'please, please!'"
    Fahrer bekam vor Gericht einen Weinkrampf
    Er habe nur die Befehle seiner Bosse befolgt, sagte der 27 jährige Bulgare aus, der den Kühllaster gelenkt hatte. Vor Gericht bekam er einmal einen Weinkrampf. Er habe große Angst vor dem Hauptangeklagten Lahoo S. gehabt und sei unter Anspannung gestanden, da er trotz der Todesschreie nicht habe anhalten dürfen. Geht es nach der Staatsanwaltschaft, muss auch der bulgarische Fahrer lebenslang ohne vorzeitige Entlassung ins Gefängnis.
    Sein Verteidiger hingegen beantragte, den Mordvorwurf fallen zu lassen und den Fahrer des Kühllasters wegen Gefährdung des Straßenverkehrs zu belangen. Auch die Verteidiger der anderen Angeklagten forderten milde Strafen oder Freisprüche. Das Urteil in Kecskemet soll am frühen Nachmittag verkündet werden.