Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Prozessfinanzierer
"Uns interessieren Klagen von mindestens 20 Millionen Dollar"

Sie finanzieren klagewilligen Verbrauchern Schadensersatzprozesse und lassen sich im Erfolgsfall kräftig am erstrittenen Geld beteiligen. Das Geschäftsmodell der Prozessfinanzierer wurde im Zuge des Skandals um manipulierte Diesel-Abgaswerte auch in Deutschland bekannt. Die großen Firmen der Branche sitzen in den USA.

Von Heike Wipperfürth | 24.11.2017
    Symbolfoto Anwaltskosten
    Prozesse gegen Firmen kosten einen Haufen Geld. Weil aber zum Teil noch viel mehr dabei zu holen ist, finanzieren Firmen wie Lake Whillans sie klagewilligen Verbrauchern - und teilen sich im Erfolgsfall mit diesen die erstrittenen Millionen. (imago)
    Boaz Weinstein sitzt in einem kargen Konferenzzimmer unweit des New Yorker Rockefeller Centers und beschreibt die exotische Geldanlagen, in die er investiert:
    "Streitigkeiten zwischen Unternehmen wie Vertragsverletzung, Verletzung von Betriebs-und Geschäftsgeheimnissen ..."
    Kurze dunkle Haare, offener Hemdkragen, Dreitagebart: Der Chef von Lake Whillans, einem mehr als 100 Millionen Dollar schweren Prozessfinanzierer, ist eine jugendliche Erscheinung. Und der Schreck der Konzerne in der ganzen Welt. Er finanziert Gerichtsprozesse gegen betuchte Unternehmen, um hohe Renditen zu verdienen.
    Geschäft mit hohem finanziellen Risiko
    Verliert der Kläger, ist das Geld futsch. Gewinnt er, kassiert Lake Whillans bis zu 40 Prozent der Entschädigungszahlung – und bekommt das ausgelegte Geld zurück. Ein lukratives Geschäft in den USA, wo Klagesummen oft schwindelerregend sein können.
    Anders als der US-Rivale Burford Capital, der der US-Kanzlei Hausfeld einen zweistelligen Millionen-Betrag zur Verfügung gestellt hat, um eine Sammelklage wegen "Dieselgate" gegen Volkswagen in Deutschland zu finanzieren, ist Lake Whillans noch nicht in der Bundesrepublik tätig. Und konzentriert sich auf ein ganz besonderes Klientel: geschädigte Firmen.
    "Uns interessieren Klagen um mindestens 20 Millionen Dollar"
    Bei der Auswahl der Verfahren ist Lake Whillans aber ebenso unbescheiden wie Burford:
    "Uns interessieren Klagen mit realistischen Entschädigungssummen von mindestens 20 Millionen Dollar. Wir überprüfen die Klage, den Kläger und den Rechtsanwalt."
    "Ein Krebsgeschwür in unserem Justizsystem"- so beschimpft die mächtige US-Handelskammer die rund drei Milliarden Dollar schwere Prozessfinanzierungsbranche in den USA. Und wirft ihr vor: Sie sei unreguliert. Es gebe keine Veröffentlichungspflicht für die Finanzierung der Gerichtsklagen. So konnte der Trump-nahe Tech-Milliardär und gebürtige Deutsche Peter Thiel aus Ärger über die Berichterstattung heimlich einen Prozess finanzieren, der das US-Online-Magazin "Gawker" in die Insolvenz trieb.
    "Wir schließen finanzielle Lücke zwischen Kläger und Kanzlei"
    Doch dass Prozessfinanzierer "neue Gerichtsverfahren anregen" und "Gerichte in Kasinos umwandelt", wie die Kammer behauptet, kann Weinstein so nicht nachvollziehen. Erst durch sein Eingreifen können Geschädigte oft auf ihr Recht vor Gericht pochen, sagt er.
    "Um einen Prozess gegen eine andere Firma zu führen, brauchen Firmen zwischen drei bis neun Millionen Dollar – oder mehr. Vielen geschädigten Unternehmen steht so viel Geld nicht zur Verfügung. Wir sind da, um die finanzielle Lücke zwischen Kläger und Kanzlei zu schließen."
    Boaz Weinstein ist ein Columbia-Law-School-Absolvent und kennt auch die klassische Juristerei. In seinen Dreißigern arbeitete er als Rechtsanwalt in New Yorker Großkanzleien und prozessierte erfolgreich gegen Großbanken wie Bank of America.
    "Wir fordern 15 bis 40 Prozent der Rückzahlungsansprüche"
    2011 wechselte er zu einem Prozessfinanzierer, um nur zwei Jahre später gemeinsam mit einem Partner eine eigene Firma zu gründen: Lake Whillans - benannt nach einem unteriridischen See unter der Eisdecke des Südpols, in dem Forscher Leben entdeckten.
    Auch die vier Jahre alte Firma mit sechs Mitarbeitern scheint prächtig zu gedeihen: In ihrem Portfolio befinden sich inzwischen rund 40 Gerichtsklagen, die Lake Whillans mit zwei bis zehn Millionen Dollar finanziert. Und im Februar hat die Universität von Michigan der Firma 50 Millionen Dollar gegeben, um sie in Klagen zu investieren. Klagegründe? Die bleiben geheim. Aber nicht die hohe Rendite:
    "Wir verlangen, dass das Kapital, das wir investiert haben, zurückbezahlt wird. Und wir fordern 15 bis 40 Prozent der Rückzahlungsansprüche."
    "Sie beurteilen Gerichtsprozesse aus kaufmännischer Sicht"
    Ein lukratives Geschäft für kühle Köpfe, sagt Stephen Gillers, ein Juraprofessor an der New York Universität.
    "Sie beurteilen Gerichtsprozesse aus kaufmännischer Sicht. Sie fragen sich, wie groß das Risiko ist, dass die Klage nichts bringt. Wie lang kann der Prozess dauern? Wie groß ist das Risiko, dass die andere Seite in die Berufung geht?"
    Die Nachfrage nach Prozessfinanzierung wächst, doch Lake Whillans akzeptiert nur fünf Prozent der Bewerber, die sich die Firma genauer angeschaut hat, sagt Weinstein. Software-Unternehmen wie Business Logic zum Beispiel. Es hat Morningstar wegen Vertragsbruch verklagt, weil die Ratingagentur angeblich ein von ihr entwickeltes Software System ohne ihre Genehmigung verkaufte, und erhielt eine Vergleichszahlung in der Höhe von 61 Millionen Dollar.
    Auch Lake Whillans ist schon mal hereingefallen
    Boaz Weinstein weiß: Die Prozessfinanzierung ist keineswegs eine ungefährliche Strategie. Schon vor zwei Jahren beschloss der Rivale Juridica Investments nach mehreren Gerichtspleiten, keine neuen Verfahren mehr zu finanzieren. Auch Lake Whillans hat schon böse Überraschungen erlebt:
    "Eine Jury entschied, eine Schadensersatzzahlung von der beschuldigten Firma zu fordern. Diese war geringer als das Geld, das wir in die Klage investiert haben. Damit hatten wir nicht gerechnet."
    Neuer Trend in der Branche: auf Masse setzen
    Dennoch macht Weinstein munter weiter und verfolgt einen neuen Trend in der Branche: Die Finanzierung vieler Klagen auf einmal.
    "Eine Kanzlei hatte hunderte von Vertragsbruchfällen angenommen. Wir übernehmen die Kosten und erhalten eine Erfolgsbeteiligung an den Fällen."
    Boaz Weinstein sagt voraus, dass seine in den Kinderschuhen steckende Branche noch viel tiefer ins internationale Justizsystem eindringen wird. Von dieser Entwicklung zu profitieren – das hat er sich zum Ziel gesetzt.