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Psalmvertonungen
Klangvolle Gebete

Psalmen spielen sowohl im jüdischen als auch im christlichen Gottesdienst eine wichtige Rolle und stehen für eine jahrtausendealte gemeinsame religiöse Tradition. Diese spiegelt die jetzt erschienene CD 'Psalmus' mit dem Deutschen Kammerchor unter der Leitung von Michael Alber wider – mit spannendem Repertoire.

Von Klaus Gehrke | 03.04.2015
    Ein Kruzifix in Oberschwaben
    Besonders Psalmen zur Kreuzigung Jesu haben viele Komponisten zu Vertonungen angeregt. (M. C. Hurek / dpa / picture alliance)
    "Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut und sprach: 'Eli, Eli, lama asabthani?' Das ist 'Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?'" So schildert der Evangelist Matthäus im Neuen Testament die Verzweiflung des Gekreuzigten angesichts seines nahen Todes. Diese drückt sich im Zitat des ersten Verses aus Psalm 22 besonders stark aus; gerade diese Verzweiflung über die Gottesferne hat viele Komponisten zu Vertonungen inspiriert; beispielsweise griff Felix Mendelssohn Bartholdy ihn 1844 für seine drei Motetten für Chor a cappella op. 78 auf.
    Uralte Liedtradition
    Die überaus große Zahl von Psalmvertonungen in der Vokalmusik erklärt sich aus den Psalmen selbst: denn viele von ihnen waren ursprünglich religiöse Lieder. Einige wurden vermutlich bereits im 7. Jahrhundert vor Christus von jüdischen Geistlichen verfasst. Das Buch der Psalmen im Alten Testament der Bibel beinhaltet 150 Klage-, Lob-, Bitt- und Danktexte. Zu Letzteren gehört der Psalm 140 'Ich liebe, weil erhöret der Herr'; er ist auf der CD in einer Vertonung von Joseph Gabriel Rheinberger vertreten.
    Rheinberger hatte großen Einfluss auf die Entwicklung der katholischen Kirchenmusik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Gleiche galt im Bereich der Synagogenmusik für den Berliner Komponisten und Kantor Louis Lewandowski. Er griff die musikalischen Reformansätze seines älteren Wiener Kollegen Salomon Sulzer auf und führte unter anderem die Orgel als Begleitinstrument im Gotteshaus an der Oranienstraße ein. Diesem Vorbild sollten mehrere Synagogen in Deutschland folgen. Stilistisch sind Lewandowskis Kompositionen, wie beispielsweise die Vertonung des 130. Psalms, von den Werken Felix Mendelssohn Bartholdys beeinflusst.
    Erneuerer jüdischer Traditionen
    Sowohl Lewandowski als auch sein großes Vorbild, der Wiener Kantor Salomon Sulzer, lebten in einer Zeit, die von den Auswirkungen der Aufklärung geprägt war. Diese hatte schon in den christlichen Kirchen für Veränderungen gesorgt und wurde von vielen gläubigen Intellektuellen und Philosophen aufgegriffen. Moses Mendelssohn, der Großvater von Felix Mendelssohn, setzte sich für eine Lockerung der starren traditionellen Riten im jüdischen Gottesdienst sowie eine 'bürgerlichere' sakrale Musik ein. Salomon Sulzer versuchte, die musikalische Ästhetik des Katholizismus in die Synagoge zu holen und verfasste zwei Gesangssammlungen, die die jüdische Liturgie nachhaltig reformierten. 1824 beauftragte der erst 20-jährige Kantor der Synagoge im österreichischen Hohenems Franz Schubert mit der Vertonung des 92. Psalms für Chor a cappella - in hebräischer Sprache.
    Flexibles Vokalensemble
    Der 2001 von 16 Berufssängerinnen und -sängern gegründete Deutsche Kammerchor hat sich mit einem breit gefächerten Repertoire vom Barock bis zur zeitgenössischen Musik sowie überaus versierten Interpretationen einen internationalen Namen gemacht; darüber hinaus arbeitet er mit vielen bedeutenden Dirigenten und Orchestern zusammen. Seine hohe künstlerische Qualität zeigt das Vokalensemble unter der Leitung von Michael Alber auch in der jetzt erschienenen CD; besonders interessant ist die Kombination von christlichen und jüdischen Psalmvertonungen, die einen Bogen von Schubert bis zum 1960 geborenen Komponisten und Pianisten Gilead Mishory schlägt. Dessen 2014 vollendeter Wasserpsalm bildet mit gut 23 Minuten einen Schwerpunkt. In dem dreisätzigen Werk sind unterschiedliche Textstellen aus den Psalmen zusammengestellt, die das Element Wasser entweder als Bedrängung, idyllische Ruhe oder als schöpferische Kraft Gottes thematisieren.
    Interessante Kompositionen
    Neben Gilead Mishorys Wasserpsalm haben der Deutsche Kammerchor und Michael Alber auch eine der wohl bekanntesten Psalmvertonungen des 20. Jahrhunderts aufgenommen: Arnold Schönbergs 'De profundis' op. 50b für Chor a cappella, seine letzte vollendete Komposition, die 1950 entstand. Die meisten anderen der auf der CD eingespielten Werke dürften dagegen nur wenigen bekannt sein; das gilt übrigens auch für solche Komponisten wie Alfred Rose, der ab 1883 als Chordirigent an der Neuen Synagoge in Hannover tätig war. Dennoch setzen sie höchst eindrucksvoll Klage, Bitte, Lob und Dank, die aus den Psalmen sprechen, in bewegende Musik um.
    Die Neue Platte:
    Psalmus
    Deutscher Kammerchor, Michael Alber
    Christophorus