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Psychische Erkrankungen und Kriminalität

Der Kleingärtner, der seine Nachbarn erschlug, der Jugendliche der Amok lief, auch manche Familientragöde lässt den Verdacht aufkommen, dass die Täter an einer seelischen Erkrankung gelitten hätten. Tatsächlich nehmen seit Jahren psychische Erkrankungen zu. Woher kommt das und bedeutet das, dass die Wahrscheinlichkeit Opfer eines psychisch kranken Täters zu werden, steigt?

Von Carl-Josef Kutzbach | 31.03.2009
    Psychische Erkrankungen, von der Melancholie, die manches Kunstwerk hervor brachte, über die Depression bis zur Manie, dem Wahn, erlebt im Laufe seines Lebens etwa jeder Sechste. Allerdings ist der Begriff "Geisteskrankheit" fragwürdig, da die Forschung immer deutlicher erkennt, dass es auch genetische und biologische, ja sogar kulturellen Faktoren gibt, die solche Krankheiten und ihre Heilung bestimmen.

    Privatdozent Dr. Klaus Kronmüller, kümmert sich als Oberarzt in der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg vor allem um Depressive. Steckt hinter den steigenden Zahlen wirklich eine Zunahme an Krankheiten, oder nur eine verbesserte Diagnose?

    "Zu vermuten ist Beides. Man kann davon ausgehen, dass bestimmte Erkrankungen tatsächlich im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte häufiger geworden sind. Insbesondere auch die affektiven Störungen. Aber der Effekt ist auch zurück zu führen auf eine zunehmende Verbesserung im Primärmedizinischen Bereich."

    "Affektive Störungen" sind Störungen des Gefühlsleben. Darauf gehen heute Hausärzte besser ein und auch Patienten trauen sich eher ihr Leiden zuzugeben.

    Bedeutet die Zunahme psychischer Erkrankungen, dass die Gefahr wächst Opfer eines psychisch kranken Täters zu werden?

    "Das ist schwierig zu sagen. Wir haben es ja heute im Kongress gehört, dass es dieses Phänomen des Amoklaufes so früher auch nicht gab. Dennoch sind diese Gewalttaten ja doch sehr selten und im Vergleich mit der Häufigkeit von psychischen Erkrankungen gar nicht repräsentativ dafür, so dass man das natürlich nicht genau sagen kann, weil das natürlich sehr seltene Ereignisse sind, die aber sehr viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen."

    Wegen der geringen Zahl lässt sich statistisch keine gesicherte Aussage machen. Gesichert ist, dass die meisten Depressiven eher sich selbst gefährden:

    "Das Hauptproblem bei affektiven Erkrankungen ist aber nach wie vor die hohe Rate an Gewalttaten, die die Patienten gegen sich selber richten, also sprich die hohe Rate an Suizidversuchen und auch vollendeten Suiziden."

    Bei beidem, Amok und Suizid, gilt, dass es um so weniger Nachfolgetaten gibt, je weniger darüber berichtet wird. Es sterben mehr Menschen durch Suizid, als im Straßenverkehr.

    Ein verwandtes Krankheitsbild, das neuerdings oft erwähnt wird, ist die bipolare Störung. Klaus Kronmüller:

    "Bipolare Störung meint, dass diese Patienten nicht nur an Depressionen erkrankt sind, die immer wieder kommen, sondern in bestimmten Zeitabschnitten auch manische Symptome haben. Das ist in einem gewissen Sinne das Spiegelbild der Depression mit einer Stimmungssteigerung, mit einer Antriebsvermehrung; die Patienten haben das Gefühl, dass sie nicht mehr schlafen müssen und trotzdem leistungsfähig sind, eine Denkbeschleunigung und solche Symptome."

    Da Bipolare - Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt - auf Anerkennung Wert legen, begehen sie keine Gewaltdelikte.

    Man weiß heute, dass ein gutes soziales Netzwerk den Ausbruch mancher Krankheit verhindert, oder rasch Hilfe holt. Fehlt dagegen die Zeit für Gefühle, gegenseitiges Wahrnehmen und die Pflege von Beziehungen, wird es kritisch.
    "Die Zeit allein ist es nicht - sicher auch -, sondern die Qualität der Beziehung. Grad durch die modernen Techniken, wie Internet verbringen wir sehr viel mehr Zeit im Kontakt, aber die Qualität der Beziehung ändert sich und man weiß, dass es gar nicht unbedingt auf die Dauer des Kontaktes nur ankommt, sondern auf die Qualität. Und letztlich ist aber so, dass man auch eine gewisse Zeit natürlich braucht, damit sich auch eine Qualität herstellen kann."