Donnerstag, 25. April 2024

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Psycho in Barcelona

Lange bevor unser Außenminister zum legendären "Marsch durch die Institutionen" aufbrach, war er, neben Taxifahrer und Übersetzter, auch Buchhändler. Über die Brille hinweg, als hätte er ein Leben lang nichts als Bücher empfohlen, schwärmte Joschka Fischer im ZDF über das Buch eines bisher unbekannten Spaniers. Seit dem ist Der Schatten des Windes – ein satter sechshundert Seiten Schmöker – hierzulande ein Bestseller. Unbekümmert vermischt darin der 39jährige Autor populäre Genres. Dabei ist ihm ein süffiger Mix aus Detektiv und Abenteuergeschichte, Liebesmärchen und Schelmenroman gelungen. Schauplatz der Handlung ist ein düsteres, nebeliges Barcelona – wie aus einem alten Edgar-Wallace-Film. Mit seinem berühmten Landsmann Javier Marías teilt Carlos Ruiz Zafón nicht nur den märchenhaften Erfolg im Ausland, sondern auch das Faible für britische Spukgeschichten. In Zafóns erdichtetem Barcelona steht gleich neben den Ramblas das Haus aus Alfred Hitchcocks "Psycho". Woher rührt diese Vorliebe für Nebel und lange Schatten?

Evita Bauer | 12.01.2004
    Diese gothic novel Stimmung gehört zu meiner ganz eigenen Welt. Das war schon immer so. Seit meiner Kindheit habe ich geheimnisvolle Geschichten erfunden. Ich habe 11 Jahre auf einer Schule verbracht, die wie ein englisches Spukschloß aussah. In meiner Erinnerung ist vor allem diese Kulisse zurückgeblieben. Für mich war es ein Glück, in dieser Umgebung aufzuwachsen. Ich liebte den Ort, er war faszinierend (...) Manchmal verforme und verwandele ihn. Dann wird meine alte Schule zu einem verzauberten Schloß wie in "Der Schatten des Windes".

    Mit diesem Buch ist Zafón nun selbst aus dem Schatten getreten – obwohl es bereits sein fünftes ist. Das erste, "Der Fürst des Nebels", erschien in Spanien vor zehn Jahren und erhielt einen Preis für Jugendliteratur. Das ermutigte den inzwischen nach LA umgesiedelten Autor zu weiteren Geschichten für junge Leser. Vom ersten Titel an - und der kalifornischen Sonne zum Trotz - blieb der Schriftsteller seiner Schwäche für trübes Wetter treu.

    Weshalb zog es Carlos Ruiz Zafón von seiner Heimat am Mittelmeer in den sonnigen Süden der USA und nicht ins schottische Hochmoor?

    Ich verließ Barcelona, weil ich Abstand zu meinen Wurzeln brauchte.(...). Ich wollte schreiben. Es war für mich eine Herausforderung, alle Sicherheiten zurückzulassen und einfach ins Kalte zu springen – aber nur so lernt man eben Schwimmen. In L.A hatte ich einen Freund, der als Drehbuchautor arbeitete (...) und mich drängte, für ihn Geschichten zu erfinden. Das gab mir ein gewisses Einkommen und machte mir das Schreiben möglich.

    Erst vor zwei Jahren wechselte Zafón vom Jugendbuch zur Belletristik. Bei Presse und Literaturjurys fand "Der Schatten des Windes" kaum Beachtung. Nicht einmal den hauseigenen Verlagspreis, den "Premio Planeta", erhielt der dort erschiene Roman. Der Schatten des Windes ist ein Publikumserfolg. Nur durch Mund-zu-Mund Propaganda bahnte sich der Roman den Weg in die spanischen Bestsellerlisten. Hier behauptet sich der Schmöker seit 60 Wochen.
    Michi Straußfeld, Suhrkamps literarische Agentin, schleppte das spanische Zafón-Fieber nach Deutschland ein. Auch bei uns wurde der Roman des in Barcelona geborenen Autors rasch ein Verkaufshit. Wie einst bei Marías findet das zunächst unbeachtete Buch jetzt Aufmerksamkeit in den großen Tageszeitungen der Halbinsel.

    Es gibt eine spanische Tageszeitung, die den Roman 2 ½ Jahre lang einfach ignorierte. Das ist eine eigenartige, folkloristische Geschichte, die niemand versteht. "El País" hat das Buch erst erwähnt, als es nicht mehr totzuschweigen war, daß allein in Deutschland über 100.000 Exemplare verkauft wurden. Darüber wurde dann berichtet. Davor erschien nichts. Ich wurde auch interviewt , aber das Gespräch wurde nicht veröffentlicht – angeblich weil der Journalist miserable Arbeit geleistet hatte. Alles sehr merkwürdig. Eher macht das Feuilleton von El País Harakiri, als den Roman zu besprechen – sollen sie doch! Inzwischen ist es egal.

    Obwohl Zafón im Roman seiner Heimatstadt Barcelona ein literarisches Denkmal setzt – so wie vor ihm Juan Marsé und Eduardo Mendoza - zog es ihn bereits früh von dort weg. Nach eigener Aussage, gab es für ihn nur zwei Arten, die Welt zu sehen: das organisierte Verbrechen und die Werbung. Er wurde Werbeboss. Weshalb der Wechsel von der lukrativen Werbebranche zur Literatur?

    Ich habe in der Werbebranche sehr jung angefangen. Für mich war es immer eine Übergangslösung, um meinen Lebensunterhalt zu sichern. Ich hätte auch etwas völlig anderes machen könne. Zum Glück, oder vielleicht auch nicht, war ich ziemlich erfolgreich in der Branche, ich habe sehr gut verdient und eine Menge Erfahrungen gesammelt... Aber es war immer klar, daß es ein Job auf Zeit sein würde.

    Der Schatten des Windes ist auch die Geschichte einer literarischen Initiation – wer oder was führte Ruiz Zafón zur Literatur?
    In dieser Hinsicht gab es kein Schlüsselerlebnis, auch kein Umfeld oder Elternhaus, die eine Neigung geweckt hätten. Eher das Gegenteil war der Fall. Für mich war Literatur und auch Kino immer das Reich der Fantasie. In meiner Kindheit war es für mich sehr wichtig, denn es war meine Flucht vor der Wirklichkeit. Ohne diese Welt der Fantasie, der Geschichten und Romanfiguren hätte ich nicht überlebt. Es war ein Grundbedürfnis für mich. Im Grunde gibt es für mich keine Alternative zum Schreiben.

    Im Roman führt der Vater den 10jährigen Daniel Sempere in die Welt der Literatur. Hier – im "Friedhof der vergessenen Bücher" – bekannter als Jorge Luis Borges gespenstische "Bibliothek von Babel" - entdeckt der junge Held ein Buch, das ihn nicht mehr losläßt. Es ist das letzte Exemplar von einem vergessenen Dichter - einem postmodernen Verschnitt aus "Phantom der Oper" und dem Klischee des poète maudit, des verfemten Poeten. Zafóns Hauptfigur gerät in den Bann dieses geheimnisvollen Autors. Im grauen Barcelona der Nachkriegszeit stöbert der Heranwachsende dessen Spur auf. Ein alter Gauner hilft bei den Ermittlungen. Die Suche nach dem mysteriösen Schriftsteller wird für den jungen Daniel nicht nur zur Reise in die spanische Vergangenheit, sondern auch zur Tour de force durch sämtliche Gesellschaftsschichten: Wie in einem Figurentheater führt Zafón dem Leser vom katalanischen Geldadel bis zum zahnlosen Bettler immer neues Erzählpersonal vor. Jede Figur lüftet ein wenig mehr das Rätsel um den verschollenen Schriftsteller – damit hält Zafón die Leser in Atem, vertraut aber leider nicht auf ihre Fantasie. Am Ende werden alle Karten aufgedeckt und vom schönen Spuk bleibt nur eine rührselige Schmonzette zurück – großzügig angereichert mit Zitaten aus der Literatur des 19. Jahrhunderts. Für dieses Erbe steht im Roman die Feder Victor Hugos. Daneben gibt es zu viele Kruzifixe, rasende Väter entehrter Töchter und düstere Prunkvillen, auf denen ein Fluch lastet. - Espana oculta eben, mit einem Schuß gothic novel.

    Carlos Ruiz Zafón
    Der Schatten des Windes
    Insel, 544 S., EUR 24,90