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Psychogramm der Tötungslust
Vom Lachen der Killer

In Klaus Theweleits "Das Lachen der Täter: Breivik u.a., Psychogramm der Tötungslust" geht es um die Lust zu töten - nicht gezwungen, nicht befohlen, sondern weil man will. Und es geht um den Körper, um Erfahrungen, darum, was in ihnen gespeichert ist. Dabei hat der Autor eine ganz eigene Sprachform entwickelt.

Von Frank Hertweck | 29.03.2015
    Klaus Theweleit
    Klaus Theweleit (picture alliance / ZB / Karlheinz Schindler)
    1974 veröffentlichte Neil Young eine seiner dunkelsten Platten, "On the beach". Und inmitten dieser Düsterheit befindet sich ein Lied, das so schwarz ist, dass es alles Licht absorbiert: "Revolution Blues." Der brodelnde, gefahrheischende Gedankenstrom von Charles Manson, Sektenführer und Initiator eines furchtbaren Massakers an der schwangeren Schauspielerin Sharon Tate und vier weiteren Personen im Sommer 1969. In Neil Youngs Text geht es um jede Menge Spaß, die Manson am Herumballern hat. Bis ihm das nicht mehr reicht ….
    "Well, I'm a barrel of laughs/with my carbine on/I keep 'em hoppin', /till my ammunition's gone./But I'm still not happy,/I feel like /there's something wrong."
    Darum kommt er auch im neuen Buch von Klaus Theweleit vor, "Das Lachen der Täter: Breivik u.a., Psychogramm der Tötungslust". Das u. a. hat es in sich. Neben Manson versammelt es unbekannte Mörder im Zentralafrika der 90er Jahre, Killerkommandos im Indonesien der 1960er Jahre, die Roten Khmer im Kambodscha zwischen 1975 bis 1979, Mitglieder des Lancashire-Regiments, die 2003 einen jungen Iraker zu Tode gequält haben, Ratko Mladic, verantwortlich für das Massaker in Srebrenica 1995, Killer aus dem Ostkongo 2012, Attentäter, die 2014 ein Massaker an Kindern in Peschawar verübt haben, Todesschwadronen in Guatemala in den 1980er Jahren, Hutu-Killer aus Ruanda 1994, deutsche Soldaten im Zweiten Weltkrieg, quälende Sicherheitsleute in Burbach 2014, die Mörder der Charlie Hebdo-Karikaturisten 2015.
    Was erzählt diese Täterreihe? Es gibt keinen sicheren Ort, es gibt keine sichere Zeit. Was verbindet die Täter? Ein gemeinsamer Tic, sie lachen über ihre Tat, über die, die sie getötet haben, über die, die sie richten sollen. Klaus Theweleit stellt dieses Lachen ins Zentrum seiner Überlegungen. Es bedeutet, die Täter haben Spaß daran, "jede Menge Spaß" wie Neil Young singt. Es geht nicht um Ideologie, da passt keine zur anderen, nicht um Religion, da kennen die Täter nur Rudimentäres, nicht um Vorstellungen, die werden gewechselt als hätten sie keine Bedeutung, sondern es geht um den Körper, es geht um Erfahrungen, um das, was in ihnen gespeichert ist, um Beschädigungen, Risse, Verletzungen, Wunden, Narben. Und es geht um die Lust zu töten, nicht gezwungen, nicht befohlen, sondern weil man will.
    Morden, weil der Körper das will
    Dieses Interesse für den Körper hat Klaus Theweleit schon immer ausgezeichnet. Sein vielbändiges Werk kreist um das Thema Gewalt, um das Verhältnis von Mann und Frau, um Macht und Ohnmacht. Dabei hat Theweleit eine ganz eigene Sprachform entwickelt. "Einen streunenden Kommentar" hat er einmal die Texte des Philosophen Peter Sloterdijk genannt. Das ist zugleich eine Selbstbeschreibung. Aber während Sloterdijk zu jeder Diagnose gleich einen Adhoc-Theorieversatz mitliefert, tastet sich Theweleit vorwärts, probiert aus. Ein Endlosband der Kommentierung, die Theweleit bewusst offen hält, fast um so etwas wie eine systematische Einordnung, eine sekundäre Bearbeitung zu umgehen. Sozusagen Improvisationsdenken.
    Gleichzeitig hat diese Art zu schreiben eine immunisierende Wirkung. Es gibt Autoren, die über Gewalt nachdenken und deutlich von ihr fasziniert sind, geradezu infiltriert werden, der Soziologe Wolfgang Sofsky ist so ein Beispiel oder der Historiker des Bombenkriegs Jörg Friedrich. Bei Klaus Theweleit geschieht etwas anderes. Sein streunender Kommentar verwandelt die kruden, rohen, brutalen, gewalttätigen Beschreibungen, die Massakerstories, die großkotzigen und größenwahnsinnigen Textselfies in eine erträgliche Lektüre alleine durch ihre Einbettung. Er selbst bleibt immun. Und das ist nicht die geringste Leistung von einem, der sein ganzes Theorieleben über Gewalt nachgedacht hat.
    Und jetzt wieder:
    "Anders Behring Breivik aus Oslo (32) tobt sich aus am 22. Juli 2011 auf der kleinen norwegischen Insel Utöya. Dort, wo die AUF, Jugendorganisation der Arbeiterpartei Norwegens, ihr jährliches Sommercamp abhält, erschießt er binnen einer Stunde 69 Menschen, meist jugendliche Sozialdemokraten. Den Polizisten, denen er sich um 18.24 Uhr ergibt, stellt er sich vor als "Kommandant der Antikommunistischen Widerstandsbewegung Norwegens." Emma Martinovic, achtzehn, eine der Überlebenden, die dem Mörder durch einen Sprung ins Wasser entkam, erzählt wie das Gelächter des Killers sie begleitete beim panischen Fortschwimmen von der Insel."
    Weitere Augenzeugen berichten von Breiviks Jubel, wenn er wieder jemanden getroffen hat. Fast wie im Computerspiel. Vor Gericht spielt er sich als Überlegener auf. Er ist es, weil er seine Richter nicht für zuständig hält. Theweleit nennt ihn einen "freiflottierenden SS-Mann." Breivik sich selbst einen "Tempelritter" im Kampf gegen die norwegischen "Kulturmarxisten, Feministen etc., die die Bedrohung durch den Islam nicht ernst nehmen und bereit sind, die Reinheit des Volkes zu beschmutzen. Darum muss er, Breivik, die Welt retten. Für ihn gilt kein irdisches Recht, er steht über den Gesetzen. Als "göttliche Kriminalität" bezeichnet Theweleit dieses Muster, das bei Attentätern immer wiederkehrt. Und sie brauchen Öffentlichkeit. Die grausamen Morde auf der Insel dienen nur dazu, die Augen der Welt auf Breiviks 1.500-seitiges Pamphlet gegen den Islam zu richten. "Staging", sich auf die Bühne bringen. Darum geht es. Ohne Öffentlichkeit ist alles nichts. Auch das ein Muster: Theweleit verweist auf die Postkarten, die die Lynchjustiz im Amerika des 19. Jahrhunderts dokumentieren. Die legendäre Wehrmachtsausstellung vor 20 Jahren hat es nur geben können, weil die Morde der deutschen Soldaten öffentlich inszeniert und fotografiert wurden. Und nicht anders der IS, der Islamische Staat, der seine spezielle Selfie-Gewaltkultur etabliert.
    Was für Theweleit keine Rolle spielt, obwohl es auf den ersten Blick ja naheliegend scheint, das ist die Ideologie, die Religion, zuletzt der Islam. Theweleit wagt die weitreichende These, Breivik sei auch nicht anders gepolt als ein islamischer Mann.
    "Breivik ist strukturell patriarchalischer Muslim wie auch norwegisch-christlicher Antisemit wie auch germanisch-sektierischer SS-Mann (die Reihe wäre fortsetzbar; denn dies sind sekundäre, eben ideologische Ausprägungen; untereinander gleichrangig.) Herzuleiten sämtlich aus Bedrohtheiten des eigenen Fragmentkörpers; mit der zentralen Angst vor den körperauflösenden Fähigkeiten des bedrohenden Weiblichen."
    Die gleiche Persönlichkeitsstruktur, bei allen drei, bei allen anderen. Man mordet nicht, weil ein Gedanke einen dazu bringt, sondern weil der Körper das will.
    "Es sind dies Akte der eigenen zwanghaften körperlichen Stabilisierung. Ohne "die Bombe", die er gegen all das baut, drohten körperliche Zusammenbrüche und Zustände, die an die Tore von Psychiatrien führen würden. Vor solcher Art "Wahn" rettet er sich durch Zurichtungen der äußeren Welt nicht einfach nach seinen "Vorstellungen, sondern nach seinen körperlichen Zwängen."
    "Männerphantasien" machten Theweleit auf einen Schlag bekannt
    Damit sind wir beim berühmtesten Buch, das Klaus Theweleit geschrieben hat, die bahnbrechende Doktorarbeit "Männerphantasien", die 1977 und 1978 in zwei Bänden erschienen ist. Das Buch, das ihn auf einen Schlag bekannt gemacht hat.
    Eines der Kapitel im neuen Essay heißt: "Männerphantasien revisited". Und dieser Titel könnte über dem ganzen Buch stehen. Es überprüft, ob das, was Klaus Theweleit damals über die Freikorpsliteratur der zwanziger Jahre geschrieben hat, als Brutstätte der faschistischen Männer, die den Nationalsozialismus getragen haben, heute noch funktioniert und auch auf die Attentäter des 21. Jahrhunderts passt.
    Theweleits Handwerkszeug ist die Psychoanalyse. Nach ihm lebt der soldatische Mann in einem fragmentarischen Körper. Er nennt ihn auch den Nicht-zu-Ende-Geborenen. Nur durch die immer wiederkehrenden Zerstörungsakte gelingt ihm eine Art Spannungsausgleich.
    "Der soldatische Mann ist immer selbstgeboren durch Gewalt."
    Was er braucht, ist so etwas wie eine Institution, der er sich eingliedern kann, einer imaginären wie die Tempelritter bei Breivik oder einer realen wie die deutsche Wehrmacht. Dieser Großkörper legitimiert die Zerstörungen und bietet dem Fragmentkörper eine Heimat. Aber es ging in den "Männerphantasien" nie nur um Vergangenheit. Darum wurden sie nach ihrem Erscheinen als eine Art linke Tugendlehre gelesen. Die männlichen Leser machten sich auf die Suche nach dem faschistischen Mann in sich selbst. Im Gegensatz zu konservativen Lebenslehren, die immer mehr oder weniger eine offensive Panzerung des Ich gegenüber der Welt fordern, entwarf Theweleit als Kriterium die Geschlechterverhältnisse, als Ziel geglückte Paarbildungen, als Spielort die Menschen in ihrer Körperlichkeit.
    Doch die Psychoanalyse ist zumindest als öffentliche Wissenschaft etwas in die Jahre gekommen. Sie klingt altmodisch, wie von gestern. Im "Lachen der Täter" gibt es darum ein vorsichtiges, wenig ausgeführtes Bemühen, die psychoanalytischen Kategorien von damals an die neue Leitwissenschaft Neurobiologie anzuschließen.
    Und schaut man in neuere und neueste Werke zur Täterforschung des Nationalsozialismus, dann spielt Klaus Theweleit keine Rolle mehr. Gerade ist im Fischer Verlag ein Forschungsüberblick erschienen - kein Klaus Theweleit. In Jan Philipp Reemtsmas umfassender Studie "Vertrauen und Gewalt" aus dem Jahr 1996 kommt er ebenfalls nicht vor. In "Soldaten" von Harald Welzer und Sönke Neitzel von 2011, das Abhörprotokolle deutscher Soldaten in britischer und amerikanischer Gefangenschaft versammelt, ebenfalls nicht. Nach "Männerphantasien" war Theweleit ein gefeierter und viel beachteter Außenseiter, heute scheint er verdrängt aus dem wissenschaftlichen Diskurs. In "Das Lachen der Täter" wehrt sich Klaus Theweleit gegen diese Ignoranz. Und man spürt das Gekränktsein, die Empörung des freischaffenden Schriftstellers gegenüber denjenigen, die universitär abgesichert die Leitlinien definieren.
    Sein Fallbeispiel: die Wahrnehmung des Holocaust. Die erwähnten Protokolle zeigen deutsche Soldaten, beteiligt als Täter oder Augenzeuge, die die schrecklichen Ereignisse nur am Rande erwähnen. Und sie dabei lächerlich machen. Welzer und Neitzel argumentieren, dass der verschobenen "Referenzrahmen" des Krieges den Akteuren erlauben würde, selbst solche grausamen Geschehnisse als Nebensächlichkeit einzuordnen: "Das Morden an sich gehört in das Universum der Dinge, die eben geschehen."
    Oder die berüchtigte Rede Heinrich Himmlers 1943 in Posen.
    "Ich meine jetzt die Judenevakuierung, die Ausrottung des jüdischen Volkes. Es gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht. - 'Das jüdische Volk wird ausgerottet', sagt ein jeder Parteigenosse‚ 'ganz klar, steht in unserem Programm, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir.' […] Von allen, die so reden, hat keiner zugesehen, keiner hat es durchgestanden. Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1.000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei - abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen - anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht und ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte."
    Neitzel und Welzer betonen auch hier die Beiläufigkeit. Warum? Die gesamte Rede dauerte drei Stunden.
    Theweleit kommentiert:
    "Heißt also, die sechs Millionen wurde sozusagen in Nebentätigkeit vernichtet."
    Er kritisiert zurecht, dass Welzers und Neitzels Soldaten keine Geschichte haben, keine Biografien. Ein verschobenes Weltbild im Krieg und schon ist alles erlaubt und möglich. Aber dieser neue Referenzrahmen trifft auf einen Menschen, der schon Erfahrung gemacht hat. Die NS-Zeit dauerte ganze zwölf Jahre. Jeder Soldat hatte schon ein Leben davor. Dass die grausamen Erschießungen der Juden nur am Rande erwähnt werden, ins Lächerliche gezogen, spricht doch eher dafür, dass etwas in den Soldaten nicht aufgeht. Und dass Himmler in diesen wenigen Minuten gleichzeitig die Vernichtung der Juden anführt und versucht, eine Moral darauf zu gründen, erzeugt erst dieses irrwitzige Kauderwelsch, mit dem er versucht, das Geschehene zu immunisieren. Sprache beschreibt nicht die Wirklichkeit, sondern verarbeitet Wirklichkeit. Das können wir bei Klaus Theweleit lernen. Sprechen ist immer auch wie Nägelkauen, etwas spricht mit, von dem wir nichts wissen.
    Keine beruhigenden Aussichten, wenn man ein Mann ist
    Dass ganz normale Männer Massenmörder wurden und werden, hält Theweleit nicht für eine Erkenntnis, sondern für eine Banalität. Die NS-Täter kamen aus der Mitte der Gesellschaft, sie waren keine Monster, sondern sie handelten monströs.
    "Die zwischen "ganz normalen Männern" und "wilden" Massenmördern eingezogene Trennwand ist schlicht abzubauen. Es ist eine reine Selbstschutzwand- das Morden und Massenmorden gehört zum "ganz normalen Man-Typ" dazu - immer dort, wo die Schleusen geöffnet werden. Zum einen großen Teil ist er deckungsgleich mit den ganz normalen Arschlöchern. Typen, die auch sonst jederzeit im Alltag als solche auszumachen sind."
    Keine beruhigenden Aussichten, wenn man ein Mann ist.
    Aber gilt das für immer? Gibt es zivilisierende Maßnahmen? Geschichte?
    "Den Typ 'Breivik' gibt es von Beginn dieser Kultur an, also seit etwa 12.000 Jahren; denn etwa ab da gibt es die Grundstruktur heutiger Institutionen. Der sog. Zivilisationsprozess in dieser Kultur, der 'eurasiatischen' Bauern- und Technologie-Kultur, ist - auf seiner zivilisatorischen Seite - der ständige Versuch der Eindämmung der Daseinsweisen dieses selbstgeborenen Kriegertyps: Seiner Art der Realitätsproduktion, die nicht abkoppelbar ist von physischer Gewalt. Durch die Horrortaten des deutschen Faschismus und selbstverständlich auch des Stalinismus und weiterer Imperialismen/Kolonialismen mehr westlicher Prägung ist dieser Typ nach dem Ende von WK II für eine Weile als zu propagierender Sozialtypus in die Defensive geraten."
    Gibt es so etwas wie eine historische Bedingung für die Entstehung der "Fragment-Körper-Menschen". In den "Männerphantasien sind es die Kadettenanstalten, die Drillfabriken, die die Jugendliche zerlegen und neu zusammensetzen, die Töten in Lust verwandeln. Theweleit sieht sich nicht als Historiker, eher als ein Anthropologe, aber er hat ein Bewusstsein davon, dass heute die Bedingungen andere sind. Nur macht ihn das nicht optimistischer.
    "Westeuropäische Jugendliche, die sich in diesem Prozess dem IS anschließen, sind dabei nicht notwendigerweise 'soldatische Männer' älteren Stils, die den Zusammenbruch ihres angedrillten Körperpanzers fürchten. Dieser entsteht heute in Gesellschaften mit marginalem Militär nur noch in Ausnahmefällen. Es sind vielmehr - den Berichten nach, die wir über solche Jugendliche haben - junge Menschen mit fundamentalen gesellschaftlichen und körperlichen Unsicherheiten, welchen sie zuerst 'ideologisch' zu begegnen versuchen (Kontakte mit Korangeübten; Übertritt zum Islam), bevor der praktische Schritt hin nach Syrien oder den Nordirak erfolgt."
    In den letzten Kapiteln versucht er die neue Situation zu beschreiben. Er folgt dem Islamexperten Olivier Roy, der die Attraktivität der IS-Dschihadisten als Teil einer Jugendrevolte deutet. Er betont die Bedeutung des Internets, dass das "staging", die Öffentlichkeit zu einer leichten Angelegenheit macht. Es geht um Aufmerksamkeit. "Hauptsache ein Held". Egal wie. Aber das Internet macht nicht nur groß, sondern auch klein. Weil man hervorstechen mus aus der Unzahl der bewegten Bilder. Das führt zu Konkurrenz und Überbietung.
    Auch dem Soziologen Werner Heitmeyer folgt Theweleit eine kurze Wegstrecke. Der diagnostiziert eine fehlende Anerkennung im sozialen Bereich, im institutionellen, im persönlichen. Nur am Rande erwähnt Theweleit die spezifische Situation zwischen den Kulturen zu leben, die vor allem die islamische Vaterinstanz entscheidend schwächt und so den Übertritt in religiöse Institutionen fördert. In jedem Fall klagt Theweleit:
    "Kein Blick auf die Körperlichkeit." "Den Killer kapieren kann man daraus nicht."
    Seine Frage lautet: Auf welche Erfahrungen, Biographien treffen diese Zumutungen? Nur wenn man ehrlich ist, wirkt seine Antwort so lustlos wie seine Nacherzählungen fremder Erklärungstheorien. Es ist die Pubertät. Der verunsicherte, pubertierende Körper. Aber nicht nur, dass die meisten der Attentäter über 20 Jahre sind, Theweleit setzt den soziologischen Großtheoretikern nicht das entgegen, was er einem Harald Welzer oder Sönke Neitzel entgegnen kann. Die Staunen machende Lektüre einer konkreten Biografie. Das war ja gerade seine besondere Fähigkeit, das detektivische Ausleuchten des scheinbar bekannten Lebens. Das erspüren von Gewaltverhältnissen, der körperlichen Energien, die in jedem Tagebuch, Brief, in jedem Roman stecken. Das war das Tolle: Keine systematische Großerklärung für menschliche Entscheidungen, sondern eine Ausdeutung ganz spezifischer Situationen, ganz alltäglicher Erfahrungen, von Zufällen, die den letzten Kick geben. Jetzt beantwortet Theweleit Verallgemeinerungen mit einer Verallgemeinerung. Die Pubertät soll die Lösung sein.
    "Den Killer kapieren kann man daraus nicht."
    Der Grund für diese mangelnde Präzision vor allem bei der Beschreibung der Reise-Dschihadisten, der islamistischen Attentäter ist ganz einfach. Es sind die fehlenden Primärquellen. Theweleit deutet Zeitungsartikel, Interviews, journalistische Beiträge, Deuter, Experten etc. So gut wie keiner dieser Attentäter kommt selbst zu Wort. Ganz anders als bei der Freikorpsliteratur, die Theweleit in "Männerphantasien" analysiert hat, ganz anders bei Breivik, der schreibt und spricht, ganz anders bei den Hetzparolen des Radiosenders RTLM, die schriftlich vorliegen. Immer dann, wenn eine gute Quellenlage gegeben ist, wird es spannend. Die gegenwärtigen Attentäter schreiben nicht, sie sprechen allenfalls Vorgestanztes in die Kamera und inszenieren Hinrichtungen. Dabei ist Klaus Theweleit ein überragender Analytiker von Filmbildern, von dem, was Realität in Fernseh- und Kinobilder anrichtet, egal ob fiktional oder nicht, für ihn kein Unterschied, aber davon ist hier nicht viel zu spüren. Die Attentäterjugend von heute scheint ihn nicht wirklich zu interessieren.
    Am Ende noch einmal Anders Breivik
    Das Lachen, das Theweleit bei ihr erkennt, gab es schon 1996. In einem Interview von damals sagt er über die deutschen Wehrmachtssoldaten:
    "Die Schuld übernimmt die Institution, die Täter fühlen sich nicht nur entlastet, sondern beauftragt. Die Mehrheit derer, die mit der Macht gehen, nimmt diesen Auftrag an und führt ihn durch: Wie in jeder einzelnen Schilderung aller Gewaltakte auf der Welt zu sehen ist, nicht aus Zwang und Befehl, sondern aus Lust. Das Gelächter, aus Angst vor dem eigenen Zerfall geboren, ist das begleitende Tatgefühl aller willigen Vollstrecker."
    Das ist die perfekte Zusammenfassung vom "Lachen der Täter." Aber es ist vor eben fast zwanzig Jahren gesagt. Vor dem 11. September 2001. Vor einem Siegeszug öffentlicher Gewalt durch das Internet, vor einer globalen oder scheinbar globalen Vernetzung der Täter. Darum schließt das neue Buch auch seltsam unentschieden, vage ungeschichtlich. Es blickt gleichzeitig vor und zurück, ohne dass beide Perspektiven verbunden wären. "Theorie. Finale." , heißt das letzte Kapitel. Aber es ist eher ein Schwanengesang. Der Kreis schließt sich. Theweleit rekapituliert noch einmal den "soldatischen Mann" der "Männerphantasien" und seinen zerstörerischen Weltzugriff. Mehr Epilog, denn theoretischer Höhepunkt.
    Man hat den Eindruck, nicht nur dieses Kapitel, das ganze neue Buch, ist der Versuch, den "Männerphantasien" noch einmal Aufmerksamkeit zu verschaffen, "staging" eben. Gegen das Vergessen eines außergewöhnlichen Werks, gegen das Ignorieren einer der eigenständigsten und unangepassten Intellektuellen, die wir haben.
    Am Ende hören wir ihn noch einmal als Anders Breivik.
    "Da werdet ihr mich stehen sehen. In voller Größe! Oh, mir wird ganz superschwarz vor Augen. Kopf in den Wolken. Ringkampf mit dem Weltgeist, dem falschen. Ich krieg ihn! Ich krieg ihn unter! Der Kampf mit dem Drachen wird entschieden im Kopf! KOPF! Wer hat einen größeren? Niemand! Niemand! Fünf Kilo zugelegt im Kopf in den letzten neun Monaten. Gedanken von Gewicht! Zentnerschwer, wenn sie zur Welt kommen. 50 Kilo Sprengstoff in jedem einzelnen Satz. Und er springt auf euch. Drückt euch zu Brei. Macht euch platt."
    Klaus Theweleit als Breivik wie Neil Young als Charles Manson. "Das Lachen der Täter" ist ein düsteres Buch, zutiefst pessimistisch. Die ganz normalen Männer sind unter uns. Was kann helfen? Neil Young kannte Charles Manson, er sagte in einem Interview, der wäre ein guter Musiker gewesen. Vielleicht hätte eine Supergroup "Crosby, Stills, Nash, Young & Manson" das Schlimmste verhindert.
    Klaus Theweleit: Das Lachen der Täter: Breivik u.a., Psychogramm der Tötungslust, Residenz Verlag, 246 Seiten, 22,90 Euro