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Psychologie
Risikobereitschaft als Charakterzug

Ist Risikobereitschaft bei einem Investor etwas Gutes und bei einem Arzt eher nicht? Forscher erfassen diese Eigenschaft mit unterschiedlichen Methoden - vom einfachen Fragebogen bis hin zu aufwendigen Tests im Labor. Bei einem Methoden-Vergleich stellte sich raus: Es gibt einen sogenannten R-Faktor.

Von Volkart Wildermuth | 05.10.2017
    Der deutsche Aktienindex
    Banken sind gesetzlich verpflichten, Aktienkäufer auf ihre Risikobereitschaft zu überprüfen (imago/ Hans-Günther Oed)
    Wenn Psychologen etwas über die Risikobereitschaft eines Menschen erfahren wollen, dann fragen sie einfach nach: Zum Beispiel: "Vermeiden sie Risiken wenn möglich?" Talk is cheap - reden ist leicht, sagen dagegen Ökonomen. Die Befragten prahlten da doch nur. Deshalb geht es bei ihren Risiko-Wetten im Labor um echtes Geld und die Versuchspersonen dürfen ihre Gewinne mit nach Hause nehmen. Diese Situationen seien künstlich konstruiert, bemängeln wiederum Epidemiologen und beschäftigen sich mit der Realität, mit Alkoholmissbrauch, ungeschütztem Sex oder Geschwindigkeitsüberschreitungen.
    "Und das Interessante ist, die verwenden ganz unterschiedliche Methoden. Alle aber behaupten sie, sie würden Risikopräferenzen messen."
    Wundert sich Prof. Ralph Hertwig, Direktor am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und selbst Psychologe. Zusammen mit seinem Team hat er mehr als 1.500 Personen mit drei Dutzend Tests aus verschiedenen Forschungsdisziplinen untersucht, teils mehrfach im Abstand von einem halben Jahr. Seine Erwartung: Die unterschiedlichen Ansätze sollten ungefähr das Gleiche ergeben.
    Dummerweise große Unterschiede zwischen den Messtraditionen
    "Dummerweise ist genau das nicht herausgekommen, sondern was wir gefunden haben ist, dass es sehr große Unterschiede zwischen den Messtraditionen gibt."
    Verhaltenstests im Labor gelten als besonders objektiv. Aber ausgerechnet sie lieferten sehr uneinheitliche Ergebnisse. Die verschiedenen Fragebögen der Psychologen und Epidemiologen führten dagegen zu recht vergleichbaren Resultaten, die noch dazu über viele Monate stabil bleiben. Vertraut den Menschen und ihren Selbstauskünften ließe sich das Ergebnis zusammenfassen.
    "Ich glaube, unsere Arbeit ist ein Weckruf und sollte alle aufwecken einschließlich mich selbst, darüber nachzudenken, was eigentlich messen wir, wenn wir Verhalten messen?"
    Risikobereitschaft ist eine psychologische Eigenschaft
    Das betrifft nicht nur Versuchspersonen im Labor, sondern zum Beispiel auch Aktienkäufer. Banken sind gesetzlich verpflichten, deren Risikobereitschaft zu überprüfen. Schon aus Gründen der Praktikabilität wird da meist nur kurz nachgefragt. Nach den neuen Ergebnissen liefert das tatsächlich eine verlässliche Basis für die Investitionsstrategie. Denn eine mathematische Auswertung der vielen, vielen Testergebnisse zeigt: In der menschlichen Psyche gibt es beim Thema Risiko doch einen recht stabilen Persönlichkeitszug. Ralph Hertwig vergleicht das mit der Intelligenz. Aus ganz unterschiedlichen Denkaufgaben lässt sich ein gemeinsamer IQ herausdestillieren.
    "Es gibt einen eher allgemeinen Risikofaktor, der unser Risikoverhalten in allen möglichen Domänen erklärt, und gleichzeitig gibt es auch spezifische Faktoren, die erklären, warum Sie beispielsweise, Herr Wildermuth, ganz wild am Aktienmarkt spekulieren aber gleichzeitig ganz vorsichtig mit dem Helm nach Hause fahren auf dem Fahrrad."
    Der allgemeine R-Faktor hängt offenbar nur schwach mit anderen Persönlichkeitsfacetten wie der Ängstlichkeit oder der Offenheit zusammen. Die Risikobereitschaft ist eine ganz eigene psychologische Eigenschaft. Theoretisch könnte ein Fragebogen zum persönlichen R-Wert etwa bei der Berufswahl helfen, aber hier bleibt Ralph Hertwig dann doch zurückhaltend. Er kann jetzt zwar den R-Faktor eines Menschen besser messen, völlig unklar bleibt aber, wieviel Risikobereitschaft eigentlich erwünscht ist.
    "Ist der Beruf des Lehrers jetzt ein Beruf, der besonders viel Risikoverhalten erfordert, weil es so gefährlich ist, vor einer gefährlichen Klasse zu stehen oder ist es eher ein Beruf, wo Risikoverhalten nicht unbedingt eine notwendige Kategorie ist? Die gleiche Frage könnten sie bei Ärzten stellen oder beim Klempner. Die Bereitschaft zum Risikoverhalten ist ja nicht per se gut oder schlecht."