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Psychoonkologie
Wenn die Chemo auf die Psyche schlägt

Wer an einer Krebserkrankung leidet, muss nach zahlreichen Untersuchungen einen Behandlungsmarathon hinter sich bringen. Das strengt nicht nur den ohnehin geschwächten Körper an, sondern ist für viele auch eine psychische Belastung. Wie damit umzugehen ist, diskutierten Fachmediziner auf einer Tagung in Heidelberg.

Von Renate Rutta | 30.12.2014
    "Jetzt liege ich wieder hier, habe einen Schlauch, der aus meinem Brustraum kriecht und austretendes Blut in einen Behälter transportiert."
    Katja F. ist 48 Jahre alt und wieder an Krebs erkrankt.
    "Ich kann nicht aufhören, drauf zu schauen. Es ist ein sichtbares Zeichen: du hast wieder Krebs."
    Sie hat einen Brief geschrieben an Sylvia Brathuhn, die Landesvorsitzende der Frauenselbsthilfe nach Krebs Rheinland-Pfalz/Saarland, die ihn kürzlich auf einer Tagung vorlas.
    "Ich hatte Mühe, das alles zu begreifen: ich sollte wieder Krebs haben? Ich, die ich doch so gesundheitsbewusst gelebt hatte?"
    Anette Brechtel, Leiterin der Psychoonkologischen Ambulanz am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg, erlebt immer wieder, wie Krebserkrankte mit den unterschiedlichsten Belastungen und Gefühlen zurechtkommen müssen.
    "Die Hauptsymptome sind bei den Patienten meistens Symptome von Angst, von Depressivität, natürlich auch von großer Verzweiflung oder Hilflosigkeit, von Kontrollverlust."
    Eine vorübergehende Ausnahmesituation, mit der manche Menschen auch gut alleine zurechtkommen. Doch viele sind auf professionelle Unterstützung angewiesen. Wann ist nun die Belastung für die Erkrankten besonders hoch? Zunächst einmal sicher wenn sie von der Diagnose Krebs erfahren. Aber auch, wie bei Katja F., wenn sie sich wieder gesund glaubten und dann einen Rückfall verkraften müssen.
    "Auch natürlich im weiteren Verlauf, bei einem Rezidiv, bei Metastasierung, in einer palliativen Situation. Aber auch bei Langzeitüberlebenden wird oftmals unterschätzt, dass die ganzen Nachsorgeuntersuchungen immer wieder zu Belastungen führen können."
    Frauen äußern mehr Hilfsbedarf als Männer
    Das zeigt auch eine neue große Studie mit über 4.000 Befragten zwischen 18 und 75 Jahren, die Professor Anja Mehnert von der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie am Universitätsklinikum Leipzig leitete.
    "Wir haben gerade die erste größere Publikation veröffentlicht, in der wir zeigen konnten, dass über alle Tumordiagnosegruppen hinweg gut 32 Prozent aller Patienten unter mindestens einer psychischen Störung leiden. Ein deutlich größerer Anteil von rund 50 Prozent fühlt sich subjektiv stark belastet."
    "Wir haben gefunden, dass Brustkrebspatientinnen, Patienten mit Kopf-Halstumoren und Patienten mit schwarzem Hautkrebs am stärksten belastet waren."
    Ein Studienergebnis war, dass Frauen mehr Hilfsbedarf äußern als Männer.
    "Unsere Studie zeigt auch, dass 40 Prozent der Frauen im Vergleich zu 24 Prozent der Männer den Wunsch haben nach psychosozialer Unterstützung. Wenn sie angeboten werden würde, ist aber bei beiden Geschlechtern der Wunsch, diese in Anspruch zu nehmen, deutlich höher."
    Noch genauer untersuchen wollen die Wissenschaftler, ob Frauen bei einer Krebserkrankung wirklich stärker psychisch belastet sind oder ob sie leichter darüber sprechen und ihre Belastung eher wahrnehmen - und Männer so eine Ausnahmesituation anders verarbeiten. Klar ist jedenfalls: Jeder meistert die Folgen seiner Krankheit individuell und braucht daher individuelle Hilfestellung.
    "Die Psychoonkologie bietet eine Bandbreite von Hilfestellungen, zunächst viele Informationen, dem Patienten zuzuhören, zu hören, was sind seine Anliegen, was sind seine Befürchtungen, Sorgen, Ängste."
    Viele Patienten haben das Gefühl, sie kennen sich gar nicht mehr selber in so einer Belastungssituation. Da geht es viel um Normalisierung aber auch um Hilfestellung, wie kann ich die Krankheit in mein Leben integrieren, auch die Krankheitsfolgen, wie kann ich damit umgehen, wie kann ich Belastung reduzieren auch, kann ich mir eine Lebensperspektive erarbeiten auch mit einer begrenzten Lebenserwartung.
    "Wo kann man Ressourcen finden, die einem helfen, mit so einer schwierigen Erkrankung und einer schwierigen Lebensphase umzugehen."
    Das Problem: Es gibt nicht genug ambulante Anlaufstellen und Krebsberatung außerhalb der Krankenhäuser.