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Puigdemont-Auslieferung
"Die Politik muss eine Haltung dazu einnehmen"

Die Linkspartei fordert die sofortige Freilassung Carles Puigdemonts. Parteichef Bernd Riexinger sagte im Dlf, er hoffe auf eine politische und nicht auf eine juristische Lösung. Eine Auslieferung würde eine Einmischung in den spanischen Konflikt bedeuten.

Bernd Riexinger im Gespräch mit Martin Zagatta | 26.03.2018
    Der abgesetzte katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont, hier auf dem Weg zu einer Pressekonferenz am 22.12.2017 in Brüssel.
    Carles Puigdemont: Darf er ausgeliefert werden? (AFP / Emmanuel Dunand)
    Martin Zagatta: Auf politischer Ebene wird in der Berliner Politik jetzt darüber gestritten, ob Puigdemont überhaupt festgenommen werden durfte in Deutschland, ob er unverzüglich freigelassen werden muss, wie die Linkspartei das jetzt fordert. Die Bundesregierung sieht dafür keinen Anlass und verweist auf die Gewaltenteilung, auf die Unabhängigkeit der Justiz in Deutschland. So hat es der Regierungssprecher Steffen Seibert gerade betont.
    O-Ton Steffen Seibert: "…, dass das, was jetzt geschieht, auf Basis der deutschen Gesetze und der Regelungen rund um den europäischen Haftbefehl geschieht, und dass deswegen alles jetzt einmal in der Hand der zuständigen schleswig-holsteinischen Behörden und der zuständigen Gerichte ist. Das gilt es abzuwarten."
    Zagatta: Soweit Steffen Seibert, der Regierungssprecher. – Über die Position der Bundesregierung können wir jetzt mit Bernd Riexinger sprechen, dem Chef der Linkspartei. Guten Tag, Herr Riexinger!
    Bernd Riexinger: Guten Tag.
    Zagatta: Herr Riexinger, die Bundesregierung sagt, über die Auslieferung von Puigdemont zu entscheiden, das ist jetzt Sache der deutschen Justiz. Und die Linkspartei fordert, Puigdemont umgehend freizulassen. Habe ich das richtig verstanden?
    Riexinger: Das haben Sie richtig verstanden.
    Zagatta: Wie begründen Sie das?
    Riexinger: Na ja, es gibt eine juristische Begründung. Spanien ist das einzige Land, wo Rebellion ein Straftatbestand ist. Das ist in Deutschland nicht so. Das ist im Übrigen auch in den übrigen europäischen Ländern nicht so. Insofern gehen wir davon aus, dass der Haftbefehl nicht legitim ist und auch nicht hier vollzogen werden darf und deswegen Puigdemont wieder freigelassen werden muss, aber auf keinen Fall ausgeliefert werden darf.
    Keine Terroristen oder irgendwelche Staatsfeinde
    Zagatta: Das festzustellen – so argumentiert die Bundesregierung -, das unter Umständen zu prüfen, wäre doch Sache der Justiz. Soll die Bundesregierung jetzt anordnen, Puigdemont freizulassen, oder wie stellen Sie sich das vor?
    Riexinger: Ich weiß nicht, ob sie es anordnen kann, aber sie kann zumindest eine politische Haltung dazu haben, und die politische Haltung ist ja zumindest mal ganz klar. Hier haben wir keine Verbrecher oder hier haben wir keine Terroristen oder irgendwelche Staatsfeinde, sondern wir haben eine große Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien. Da kann man verschiedener Meinung dazu sein. Ich bin gar nicht praktisch für eine Abspaltung, aber das ist legitim, dass politisch gewählte Vertreter diese Position vertreten. Der spanische Zentralstaat geht äußerst repressiv gegen diese Politiker vor. Er verfolgt sie. Es ist nicht der einzige, der ins Gefängnis soll, Puigdemont, sondern es sitzen auch schon viele in den Gefängnissen. Da, finde ich, sollte die Bundesregierung weder durch Stillschweigen, noch durch aktive Handlungen diesen Repressionskurs der spanischen Regierung nicht unterstützen.
    Zagatta: Aber wie das politisch zu beurteilen ist, das könnte man ja politisch dann auch klären, möglicherweise auch über Einflussnahme durch die EU in Brüssel. Jetzt geht es ja um Juristerei. Wenn ein europäischer Haftbefehl vorliegt, dann muss die Polizei doch handeln, oder gibt es da für Sie irgendwelche Zweifel?
    Riexinger: Na ja. Ich bin mir nicht sicher, ob die Polizei hier der Bundesregierung einen Gefallen getan hat. Es gibt schon verschiedene Menschen, die völlig ungestört durch die europäischen Länder fahren können. Puigdemont konnte ja auch ungestört durch Finnland und Dänemark fahren. Die haben dort nicht eingegriffen. Die deutschen Behörden sind so penibel, dass sie dort eingegriffen haben. Ich glaube, damit haben sie eher …
    Zagatta: Stellen Sie das in Frage? Ich meine, was soll ein Polizist tun? Der muss doch einen Haftbefehl umsetzen. Die deutsche Justiz, die deutsche Polizei muss doch einen europäischen Haftbefehl umsetzen, wenn der vorliegt.
    Riexinger: Na ja, da bin ich mir nicht sicher. Ich meine, ehrlich gesagt, es sind schon ganz andere Leute durch Deutschland ungestört gefahren, und niemand hat sie verhaftet.
    Kein Haftbefehl, aber ein dringender Verdacht
    Zagatta: Wen meinen Sie da zum Beispiel?
    Riexinger: Zum Beispiel Amri oder andere. Die konnten sich völlig ungestört bewegen, obwohl es da tatsächlich Straftatbestände gab. In dem Fall gab es die nicht. Aber gut, die Polizei hat so entschieden. Da müssen wir jetzt auch nicht länger drüber diskutieren.
    Zagatta: Da gab es ja auch keinen Haftbefehl.
    Riexinger: Da gab es keinen Haftbefehl, aber einen dringenden Verdacht, und es gab hinterher einen terroristischen Anschlag. Ich meine, Puigdemont wird ja nicht verdächtigt, irgendeine Gewalttat zu verursachen oder anzustiften. Das ist eine politische Auseinandersetzung, die wir dort in Katalonien haben. Und ich finde, diese politische Auseinandersetzung muss auch mit politischen Mitteln geführt werden und sowohl die deutsche Bundesregierung wie auch die Europäische Union sollten doch stark eine vermittelnde Funktion dort einnehmen und sollten darauf drängen, dass dieser Konflikt politisch gelöst werden kann. Ich glaube, wenn jetzt Puigdemont ausgeliefert wird, dann würde wirklich Öl ins Feuer gegossen werden. Wir haben ja jetzt schon heftige Demonstrationen gegen die Verhaftung. Und wir würden weder der spanischen Politik, noch der katalonischen da irgendeinen Gefallen tun.
    Zagatta: Aber es kann ja nicht Sache der Bundesregierung sein, da in innerspanische Konflikte einzugreifen.
    Riexinger: Nein, das braucht sie auch nicht. Aber sie greift ja ein. Wenn sie ihn ausliefert, greift sie doch ein. Es gibt dort große Unruhen. Und ich meine, das ist auch eine Grundfrage. Ich weiß, dass Sie mich jetzt immer auf die juristischen festlegen wollen, aber Sie fragen mich ja als Politiker. Ich bin ja kein Jurist.
    Zagatta: Aber Sie müssen sich doch auch an Gesetze halten und wir müssen uns an Gesetze halten, und darüber diskutieren wir ja.
    Riexinger: Na ja, aber das ist ja umstritten. Auch andere Juristen, zum Beispiel jetzt in dem Fall Kubicki von der FDP hat eine ähnliche Rechtsauffassung wie ich. Auch der Vorredner, den Sie eingeschaltet hatten, hat Zweifel, ob das ein Strafbestand ist.
    Zagatta: Sie meinen den Anwalt?
    Riexinger: Genau.
    Eine Entscheidung zwischen Politik und Justiz
    Zagatta: Es gibt andere, die sagen, Rebellion, darüber können wir streiten, ob es das im Deutschen überhaupt gibt. Da sagen einige, vielleicht Landesverrat oder so ähnlich. Aber in diesem Katalog für den europäischen Haftbefehl soll ja auch vorgesehen sein Unterschlagung, was, so sagen Anwälte, in etwa der deutschen Veruntreuung öffentlicher Gelder entsprechen würde. Da wirft man Puigdemont in Spanien vor, dieses Referendum organisiert zu haben mit öffentlichen Geldern, was er nicht hätte machen dürfen. – Ich will Sie fragen: Kann das jetzt die Politik entscheiden, oder muss das jetzt die Justiz entscheiden? Die ist doch jetzt da zuständig.
    Riexinger: Na ja, die Politik muss eine Haltung dazu einnehmen. Ich weiß schon, dass die Justiz das jetzt entscheiden muss, aber die Justiz ist da auch nicht völlig frei von Politischem. Auch in der Frage jetzt des Korruptionsvorwurfs kommt es ja darauf an, ob das auch nach deutschem Recht ein Korruptionsbestandteil ist. Ich meine, die spanische Regierung sagt, er hat Gelder falsch verwendet, nämlich für das Referendum. Das ist eine Rechtsauffassung, die der spanische Zentralstaat hat, die auch in Spanien umstritten ist, aber diese Rechtsauffassung müssen wir ja nicht übernehmen, sondern die deutsche Justiz könnte genauso gut auch zu einem Schluss kommen, dass das kein Strafbestandteil in Deutschland ist und dass er deswegen nicht ausgeliefert werden kann. Politisch halte ich die Auslieferung für einen ganz großen Fehler.
    Zagatta: Die Politik kann aber dann erst handeln, so ist es jetzt, wenn die Justiz entschieden hat? Oder sollte sie dort in irgendeiner Form eingreifen?
    Riexinger: Ich habe ja schon gesagt, dass die Politik eine Haltung einnehmen muss. Ich verstehe nicht, warum sich jetzt der Regierungssprecher und die Bundesregierung hinter der Justiz verstecken, sondern das muss ja jedem deutlich sein, dass es hier um einen Konflikt in Europa geht, wo im Übrigen auch schon eine Aufforderung verschiedener politischer Parteien da war, dass die Europäische Union sich dort vermittelnd einschalten soll. Man kann keine Vermittlungsrolle einnehmen, wenn man Partei ergreift, und deswegen ist die Bundesregierung gut beraten, dazu eine politische Meinung zu äußern. Sie könnte natürlich sagen, ihrer Meinung nach ist die Kriminalisierung von Puigdemont kein Beitrag zur Lösung des politischen Konflikts in Spanien und Katalonien.
    Kriminalisierte Unabhängigkeitsbewegung
    Zagatta: Ja, das könnte man sagen. – Verlangen Sie auf der anderen Seite da jetzt aber nicht, dass der deutsche Staat so ähnlich vorgeht wie das, was wir Erdogan immer vorwerfen, wenn er Journalisten einsperrt und er dann sagt, die sind schuldig oder nicht schuldig, dass jetzt die deutsche Politik das gleiche macht? Ich höre das bei Ihnen so durch, oder höre ich das falsch? So ein bisschen zweifeln Sie am deutschen Rechtstaat, oder haben Sie volles Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat?
    Riexinger: Nein. Ich respektiere natürlich die Gewaltenteilung und auch die Unabhängigkeit der Justiz. Aber es geht hier um einen politischen Vorgang. Die ganze Berichterstattung ist voll von einer politischen Auseinandersetzung, die in Spanien stattfindet. Ich halte das für völlig falsch, was Rajoy gemacht hat, dass er quasi die Unabhängigkeitsbewegung versucht zu kriminalisieren, zumindest ihre Führer. Da gießt er selber Öl ins Feuer. Ich bin selber gar kein Anhänger von Loslösungsbestrebungen, aber ich gestehe den politischen gewählten Menschen dort das Recht ein, diese Position zu vertreten. Dafür dürfen sie nicht kriminalisiert werden oder ins Gefängnis gesperrt werden. Man muss sich immerhin vorstellen, dort drohen 30 Jahre Gefängnis für Unabhängigkeitsbestrebungen. Das ist ein völlig antiquierter Paragraph dort, der auch zurecht in keinem anderen Land Gültigkeit hat, und dazu kann die Bundesregierung eine politische Haltung einnehmen. Vor dieser politischen Haltung drückt sie sich und das kritisieren wir.
    Zagatta: Wie sehen Sie jetzt Puigdemont in dieser Situation? Er sitzt hinter Gittern. Jetzt wird entschieden, ob er weiter in Auslieferungshaft bleibt, wie man mit ihm umgeht. Ist das für Sie ein politischer Gefangener?
    Riexinger: Ja, in einem gewissen Sinn ist es ein politischer Gefangener, weil es um eine politische Auseinandersetzung geht. Wie gesagt, juristisch scheint es umstritten zu sein, aber es gibt zumindest viele Juristen, die auch den Standpunkt einnehmen, den ich einnehme, dass Rebellion bei uns kein Strafbestandteil ist. Also gibt es einen Ermessensspielraum der Justiz. Ich hoffe, dass sie diesen Ermessungsspielraum im Sinne von Puigdemont auslegt und dass gleichzeitig die Bundesregierung darauf drängt, dass hier eine politische und nicht eine juristische Lösung herbeigeführt wird.
    Zagatta: … sagt Bernd Riexinger, der Chef der Linkspartei. Herr Riexinger, danke sehr für dieses Gespräch heute Mittag.
    Riexinger: Ich bedanke mich auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.