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Pulp Fiction in Reinkultur

Denis Johnson hat seinen Roman "Keine Bewegung" zwischen Juli und Oktober 2008 für ein bekanntes Männermagazin verfasst. 10.000 Worte pro Folge und Monat, die Abgabetermine waren strikt einzuhalten. Die Ökonomie der Mittel, die diese klaren Vorgaben bedingten, erweist sich als eine der Stärken des Romans.

Von Sacha Verna | 09.05.2010
    Mitgliedern der Lungenliga sei von der Lektüre des im Folgenden besprochenen Romans dringend abgeraten. Das schiere Volumen der Nikotinschwaden in "Keine Bewegung" wird ihnen den Atem verschlagen. Aber auch abgesehen vom ständig präsenten Zigarettenrauch herrscht dicke Luft in Denis Johnsons jüngstem Werk. So dicke Luft, wie eben herrscht, wenn einer einem anderen Geld schuldet und dieser andere einen Dritten losschickt, um dem einen das besagte Geld abzuknöpfen.

    Jimmi Luntz war nie im Krieg gewesen, aber genauso stellte er sich das vor - achtzehn Männer in einem Raum, und Rob, ihr Chorleiter, der sie gleich rausschicken würde - achtzehn Männer, Schulter an Schulter, die auf Befehl ihres Anführers ausrücken, um zu tun, was sie Tag und Nacht geübt haben. Die schweigend im Dunkeln hinter den schweren Vorhängen warten, während der Ansager auf der anderen Seite einen flauen Witz erzählt, und dann: "Die Alhambra California Beachcomber Chordsmen!", und schon lächelten sie in heiße Scheinwerfer und trugen ihre beiden Nummern vor.

    Ausgerechnet nach einem nationalen Wettbewerb der Barbershop-Chöre, bei dem sie Siebzehnte von zwanzig geworden sind, wird Jimmy Luntz von Gambol draußen erwartet. Der Grund: Jimmys Spielschulden beim dunklen Obermacker Juarez, die Gambol, Juarez testosterongeladenes Mädchen für alles, nun endlich eintreiben soll. Man befindet sich im sonnigen Bakersfield, Kalifornien, und eigentlich hatte Jimmy gedacht, an diesem Tag sei ihm das Glück hold.

    Das gute Gefühl. Es hatte ihn schon öfter getrogen.
    "Ich parke da drüben", sagte Gambol.
    Gambol fuhr einen kupferfarbenen Cadillac Brougham mit weichen weißen Ledersitzen. "An der Seite vom Sitz ist ein Knopf", sagte er, "damit kannst du ihn verstellen."
    "Man wird mich vermissen", sagte Luntz. "Ich fahr mit den anderen nach LA zurück. Ist alles organisiert."
    "Ruf jemanden an."
    "Gut, klar - such mir ein Münztelefon, dann hüpf ich schnell raus."
    Gambol hielt ihm ein Handy hin. "Hier wird nirgendwohin gehüpft."


    Hüpfen zählt ohnehin nicht zu Jimmys Stärken. Stolpern schon eher. Eine Anekdote aus seiner Kindheit kann als symbolische Zusammenfassung seines bisherigen Lebens gelten: Damals versprach sein Vater ihm zwanzig Dollar pro Tag für das Putzen eines verdreckten Wohnwagens. Jimmy schuftete fast eine Woche lang, dann bot ihm sein Vater die Wahl zwischen dem Geld und einem Lotterielos. Jimmy entschied sich für das Los und zog eine Niete.

    Jimmy ist eine Niete und weiß es. "Keine Bewegung" ist Pulp Fiction in Reinkultur, und das weiß Denis Johnson. Der erlaubt sich nach seinem mit dem National Book Award ausgezeichneten Vietnamkriegsepos "Ein gerader Rauch" eine belletristische Spielerei.

    Pulp ist gerade sehr in. Genauer gesagt: Ausflüge in die Genreliteratur sind gerade sehr in Mode, besonders unter gestandenen angelsächsischen Autoren. Wobei mit "Genreliteratur" vor allem Krimis gemeint sind. Jedenfalls hat man sich mit Vorstößen ins Reich der Vampirromanzen oder Western bisher zurückgehalten. So erschien in den USA neben Denis Johnsons "Keine Bewegung" vor kurzem Thomas Pynchons Hardboiled-Bonbon "Inherent Vice". Demnächst wird Robert Coover in "Noir" einen gewissen Philip M., Privatdetektiv, auf Mördersuche schicken. Michael Chabon ließ in "The Yiddish Policemen's Union" Ganoven reihenweise auf- und unsanft wieder abtreten. Und John Banville beglückt seine Leserschaft als Benjamin Black seit Längerem mit den mysteriösen Abenteuern des Dubliner Pathologen Quirke.

    Gambol lenkte mit der einen Hand, während er mit dem anderen Arm nach hinten langte, um in Luntz' Sporttasche zu wühlen. "Wozu ist das hier?"
    "Zum Schutz."
    "Wovor? Grizzlybären?" Er griff über Luntz' Schoss und schob es ins Handschuhfach. "Das ist eine richtig große Knarre."
    Luntz machte das Fach auf.
    "Klapp das Ding zu, verdammt."
    Luntz machte es zu.
    "Du brauchst Schutz? Dann bezahl deine Schulden. Das ist der beste Schutz."
    "Ganz meine Meinung", sagte Luntz, "und soll ich dir von einem Onkel von mir erzählen? Ich bin heute Nachmittag mit ihm verabredet."
    "Ein reicher Onkel."
    "Zufällig ja. Ist gerade erst von der Küste hergezogen. Hat einen Haufen Geld in der Müllbranche verdient. Der Mann kauft sich jedes Jahr einen neuen Mercedes (...) Wenn ich mal Geld brauche, soll ich mich jederzeit melden, hat er gesagt. Wir waren zusammen essen, im Outback Steakhaus in La Mirada. Mann, was die da auffahren. Erstklassige Steaks, so dick wie dein Arm. Warst du mal im Outback?"
    "In letzter Zeit nicht."
    "Also, mit anderen Worten: Lass mich den Mann anrufen, bevor wir zu weit aus der Stadt draußen sind."
    "Mit anderen Worten: Du kannst nicht zahlen."



    Richtig, Jimmy Luntz kann nicht bezahlen. Und Jimmy Luntz ist kein Held. Er hat nicht einmal das Zeug zum Serienhelden. Das braucht er allerdings auch nicht, zumal die Luntz-Serie mit "Keine Bewegung" bereits abgeschlossen ist. Denis Johnson hat diesen Roman nämlich zwischen Juli und Oktober 2008 für das amerikanische Magazin "Playboy" verfasst. Zehntausend Worte pro Folge und Monat, die Abgabetermine waren strikt einzuhalten. Die Ökonomie der Mittel, die diese klaren Vorgaben bedingten, erweist sich als eine der Stärken des Romans. Johnson beschränkt sich auf ein absolutes Minimum an Tiefsinn und metaphorischem Schnickschnack und vermeidet damit die Falle, in die schon mancher Großliterat getappt ist, der sich mit dem Projekt "Groschenroman" amüsiert hat: Zuviel Raffinesse und metafiktive Schlauheit, und das Resultat wird unerträglich schwerfällig. Zuwenig, und man fragt sich, was die Übung soll. In beiden Fällen tut der Leser besser daran, sich am Kiosk für wenige Euros den echten Stoff zu besorgen.


    Gegen elf Uhr am Vormittag ging Anita Desilvera, einen Viertelliter Popov-Wodka in der Handtasche, ins Kino. Als sie sich dem Gebäude näherte, sah sie aus dem Augenwinkel das Plakat für das Epos, das gerade lief: "Der letzte Champion".
    Nachdem sie bei dem Mann mit dem steinernen Gesicht bezahlt hatte, ging sie hinein. Sie kaufte sich eine große pinkfarbene Limonade und schüttete auf dem Weg in den Zuschauerraum die Hälfte davon mit klackernden Eiswürfeln in den Trinkbrunnen. Tastete sich im Dunkeln den Gang entlang bis zu einer der vorderen Reihen. Ohne den Mantel auszuziehen, setzte sie sich, lehnte den Kopf ein paar Sekunden lang an den Sessel vor ihr und richtete sich dann weinend wieder auf.
    Schraubte die Flasche auf und goss den Wodka in ihr Getränk, kickte die leere Flasche unter den Nachbarsitz.



    Alkohol. Alkohol, Zigaretten, Sex. Fluchen, Vöglen, Blutvergießen, kurze Kapitel, trockener Humor, lässige Dialoge: Denis Johnson hält sich sowohl inhaltlich als auch stilistisch an die Requisiten, die das Repertoire verlangt. Dazu gehört die Femme fatale, "the dame", wie sie im Pulp-Jargon heißt, oder eben Anita Desilvera, wie sie in "Keine Bewegung" heißt.

    Anita tut sich mit Jimmy zusammen, nachdem dieser Gambol mit einer Kugel ins Knie vorerst abgehängt hat - nicht ohne dem Verletzten eine Ambulanz zu schicken. Anita ist ebenfalls auf der Flucht, da in einen Betrug um 2,3 Millionen Dollar verwickelt. Und Verlierertypen wie Jimmy sind ihr noch immer lieber als Nächte unter freiem Himmel.

    In der Bar des Ramada Inn beim Regionalflughafen bestellte sie sich einen zweiten Tequila Sunrise, sobald die Kellnerin ihr den ersten brachte. (...)
    Und wie viele Sekunden noch, bis mir irgendein Arschloch einen Drink spendieren und mich zu einer zufriedenen Frau machen will?
    Ungefähr achtzehn Sekunden. (...) Vor ihrer Sitzecke blieb er stehen. Ein armseliger Schwachkopf von genau der Sorte, für die der Zwei-Dollar-Trick erfunden wurde.
    "Hallo auch", sagt er.
    "Äußerst gewandt. Sie zungenfertiger Teufel."
    "Sind sie Gast im Motel oder nur hier in der Bar?"
    "Ich bin gar nichts," sagte sie. "Ich trinke bloß was." (...)
    Er hockte sich ihr gegenüber, auf die äußerste Kante der Bank, und sagte: "Normalerweise setze ich mich nicht einfach bei fremden Leuten dazu."
    "Kein Problem. Ich wollte gerade gehen."
    Er sah sie mit zusammengekniffenen Augen an, ob kurzsichtig oder dumm, war schwer zu sagen, und fragte: "Welche Nationalität sind Sie?"
    "Wie?"
    "Sind Sie eine Latina?"
    Sie starrte ihn an. "Ja. Klar. Sind Sie ein Arschloch?"
    "Größtenteils", sagte er.
    "Wie heißen Sie?"
    Er sagte: "Ähm."
    "Ähm? Ist das Litauisch oder so?"


    Ist das romantisch oder so? Oder zumindest der Beginn einer wunderbaren Freundschaft? Natürlich nicht. Das ist der Anfang einer Zweckgemeinschaft, wenn auch einer mit durchaus rosarotem Potenzial. Jimmy und Anita begeben sich gemeinsam "on the road". Jimmy, weil er kein Geld hat, und Anita, weil sie Geld will, und zwar die 2,3 Millionen Dollar, zu denen ein korrupter Richter den Schlüssel, beziehungsweise das Passwort besitzt. Wird es Anita gelingen, Jimmy zur Teilnahme an dem gewagten Klau zu überreden, anstatt sofort zu verduften? Wie viele Vöglein hört Jimmy pfeifen, während er sich mit Anita in einem Biker-Lodge irgendwo in den Bergen der Sierra Nevada versteckt hält? Und wird Jimmy zum ersten Mal in seinem Leben dazu imstande sein, so etwas wie einen Plan auszuhecken, möglichst einen mit einer wenigstens zaghaften Chance auf Erfolg?

    Das sind die falschen Fragen. Oder besser: Es sind nicht die einzigen. Denn was wirklich zählt, ist die Atmosphäre. Wie kriegt Denis Johnson die hin? Perfekt. In "Keine Bewegung" stößt man auf Orte wie die Time Out Lounge in der Oroville Mall, deren Name allein schon eine Depression auslöst. "Keine Bewegung" ist ein Roman, in dem sich das Licht von Neonreklamen auf nassem Asphalt spiegelt. Würden dazwischen nicht einige Handys gezückt and Computertasten gedrückt, könnte hinter jeder Ecke Little Caesar stecken.


    Als sie eine Weile später miteinander schliefen, schmeckte ihr Atem ein wenig nach Bier, aber sie war nüchtern. Hinterher lagen sie beieinander, und sie lehnte ihr Bein gegen seins. Sie schauten sich eine Sendung über die Wunder der Forensik an, und Anita erklärte ihm, das sei alles Humbug. "Es gibt in diesem Land sechstausend ungeklärte Mordfälle pro Jahr."
    "Das will ich hoffen", sagt er und schaltete den Fernseher aus.
    "Und jetzt?"
    "Tun wir, was ich immer tue."
    "Und das wäre?"
    "Lege dich hin, Süße."
    "Willst du mal eine andere Stellung ausprobieren?" Die Art, wie sie das sagte, schnürte ihm die Kehle zu, und er konnte nicht antworten.
    Sie bat ihn, sich vor das Bett zu knien - während sie mit den Füssen auf dem Boden und gespreizten Beinen auf der Kante saß - uns so in sie einzudringen.
    Es ging nicht. Anita sagte: "Du bist zu - "
    "Ich bin keine zwei Meter vierzig, genau. Das wird so nichts."



    Nein, das wird so nichts, höchstens ein valabler Beitrag für den literarischen Wettbewerb um den "Bad Sex Award". Trotzdem oder eben deshalb: Denis Johnson versteht sich hervorragend auf das Heraufbeschwören klassischer Noir-Szenarien. Allerdings orientiert er sich dabei weniger an Dashiell Hammett und Raymond Chandler als an deren Kollegen James M. Cain, der so prächtige Noir-Romane verdanken wie "The Postman Always Rings Twice" und "Double Indemnity" verfasst hat.

    Johnsons Jimmy Luntz ist kein supersmarter Philip Marlowe oder Sam Spade, der kommt und ein Verbrechen löst. Jimmy ist ein wurschtelnder Schmalspurkrimineller, der unbedingt abhauen will, um Verbrechern zu entkommen und selber nicht noch mehr Verbrechen begehen zu müssen.

    Das Innenleben der Figuren ist in solchen Romanen absolut zweitrangig. Johnson stattet seine Charaktere mit gerade so heftigem emotionalem Wellenschlag aus, dass sie einem einigermaßen sympathisch oder sehr unsympathisch werden. Zu emphatischen Hoch- und Weitsprüngen motiviert den Leser jedenfalls keine von ihnen. Hier sind Pistolen aussagekräftiger als Psychogramme, und der O-Ton ersetzt den Bewusstseinsmonolog.
    Dann die schnellen Schnittwechsel:


    Mary wusste, dass ihr Patient für Juarez wichtig war. Juarez hatte ihr zwanzigtausend versprochen, wenn sie den Mann wieder auf die Beine bekam. Was er mit ihr machen würde, falls etwas schief ging, hatte Juarez nicht gesagt. (...)
    Angeblich hatte er mal die Hoden eines Mannes gegessen.
    "Einen hat Juarez gegessen und einen ich. Keiner von uns hat gekotzt. Wenn ich jemanden hasse, hasse ich ihn abgrundtief, bis ich irgendwas Furchtbares tue, um diesen Hass zu besänftigen."



    Denis Johnson blendet von einem der beiden Erzählstränge zum anderen, wobei den zweiten Handlungsfaden jene zarten Bande bilden, die Gambol und die gewesene Kriegskrankenschwester Mary knüpfen, von der Juarez seinen verletzten Geldeintreiber hat auflesen lassen.


    "Nenn mich einfach Ernest."
    "Nicht Ernie?"
    "Was glaubst du wohl?"
    "Okay. Ernest."
    "Genau. Okay. Wie wär's mit einem Happyend?"
    "Nicht zu sterben, nachdem man angeschossen wurde, dürfte Happyend genug sein."
    "Weißt du, was ich meine? So wie bei den kleinen Masseurinnen? Ich rede davon, einen geblasen zu kriegen. Das ist ein Happyend."
    "Für Sie vielleicht. Für mich ist es ein Mundvoll Wichse."
    "Was zahlt Juarez dir eigentlich für die medizinische Rundumversorgung?"
    "Für anderthalb Hektar in Montana wird es jedenfalls reichen."
    "Ich lege noch fünf drauf."
    "Fünf was?"
    "Fünf Riesen."
    "Fünf Riesen dafür, dass ich Ihnen einen blase?"
    "Für nichts. Dafür, dass du mir den Arsch gerettet hast. So zum Dank."
    "Gern. Und jetzt machen Sie Ihren hübschen Bademantel zu."



    In der Welt des Noir herrschen Zynismus, Sex und Gewalt. In der Welt herrschen Zynismus, Sex und Gewalt. Aber eben nicht nur, sondern auch, neben vielem anderem. Die Kunst des Noir-Autors besteht darin, dieses viele andere so geschickt auszublenden, und was übrig bleibt, so bestechend zu präsentieren, dass einem der Mangel nicht auffällt. Dass einem auch die Künstlichkeit der Bühne nicht auffällt, auf der sich das Ganze abspielt. Oder, dies ist die andere Variante, die Bühne wird Teil des Vergnügens. Da der Begriff "Noir" aus der Filmwelt stammt, ist der Vergleich mit dem Kino wohl passender. Also: Der Noir-Gourmet genießt die Dunkelheit des Zuschauerraums und die unwirklichen Grautöne auf der Leinwand ebenso wie den Plot, der vorschreibt, dass selten jemand den Styx überquert, ohne sich vor der Ankunft am anderen Ufer mit Charon noch ein Wortgefecht zu liefern. Denn die Kaltschnäuzigkeit der Akteure zählt zweifellos zu den tragenden Elementen des Noir. Ohne sie würden sämtliche Kaltherzig- und Kaltblütigkeiten nur lauwarm schmecken.


    Hinterher, vor dem Gerichtsgebäude, gab Hank ihr den Hausschlüssel wieder.


    Hank ist Anitas windiger Ehemann, der eben zu ihrem Ex-Ehemann geworden ist:


    Kam einfach zu ihr und überreichte ihn ihr wie eine Blume. "Babylove. Komm mit. Du hast noch ein paar Sachen im Haus."
    "Ein paar? Mein ganzes Leben ist da drin."
    "Wir brauchen den Kontakt ja nicht völlig abzubrechen."
    "Red keinen Scheiß. Letzten Freitag im Packard Room hattest du nur noch Cajun-Hühnchen für mich übrig."
    "Letzten Freitag war der letzte Nagel auch noch nicht eingeschlagen."
    "Von meinem Sarg?"
    "Unschön ausgedrückt."
    Er trug einen maßgeschneiderten dunklen Anzug. Sein Hemd sah wie Sahne aus.
    "Wie viel hast du für die Krawatte bezahlt?"
    "Geld ist kein Problem, Babylove. In letzter Zeit nicht mehr."
    "Hast du eine Formel dafür entwickelt? Du nennst mich x-mal Babylove, und puff, bist du kein Stück Scheiße mehr?"
    "Ich bin ein Stück Scheiße." Er steckte die Hände in die Hosentaschen und lächelte. So gut sah er gar nicht aus. Er hatte nur diese Art an sich, sich aufzuführen, als sei er hier der Gastgeber und die Menschheit könnte sich glücklich schätzen, bei ihm eingeladen zu sein.



    Egal, wer hier wo eingeladen ist: In "Keine Bewegung" wird selbst das Bestellen einer Cola zum rhetorischen Beißfest. Gerade das Bestellen einer Cola.

    Nun ist Imitation gut, aber Hommage besser. Dass es Johnson gelingt, diesen Roman über eine Fingerübung auf dem Konventionsklavier hinaus auf das Niveau einer Liebeserklärung an die Gattung an sich zu heben, verdankt sich vor allem einer Tatsache: Dieser Autor hat im Grunde noch nie etwas anderes als rabenschwarze Bücher geschrieben. Bloß waren die Einschlusslöcher bisher nicht so deutlich hervorgehoben wie auf dem Cover des amerikanischen Originals von "Keine Bewegung". Man denke an Johnsons ersten Roman "Engel", dessen Protagonisten sich freiwillig und per Greyhound-Bus in einen Strudel von Gewalt kutschieren lassen. Oder an "Schon tot", wo Auftrags- und Selbstmord erst den Anfang bilden. Ganz zu schweigen von den Daseinsversuchen des Drifters "Fuckhead" in Johnsons inzwischen legendärer Erzählungssammlung "Jesus's Sohn". Stets geht es bei Denis Johnson um Gejagte und Jäger, immer lauert irgendwo ein unheilvolles Geheimnis. Stets winkt der Tod als eleganteste Lösung, meistens hält das Schicksal die Figuren im Diesseits gefangen.


    (Luntz) zählte das Kleingeld. Er sehnte sich nach einer Zigarette, und sein Geld hätte genau für eine Schachtel gereicht, aber stattdessen kaufte er sich für einen Dollar ein Rubbellos, und danach konnte er sich keine Zigaretten mehr leisten. Das Los war eine Niete. Er hatte noch genug Geld für einen Burger, kaufte sich aber ein weiteres Los.
    Als er das Los berührte, spürte er es in den Fingern. Er legte die Geldklammer, in der nur sein Führerschein steckte, auf die Theke, drückte sie mit dem Handteller flach und schob das Los hinein.
    Zwei Dollar hatte er noch. Er kaufte zwei weitere Lose davon. Rubbelte eine Niete frei, aber das zweite brachte zehn.
    "Na bitte haben Sie das gesehen?"
    "Wollen Sie dafür Lose?"
    "Nur eine Schachtel Camel ohne Filter. Nein. Haben Sie Luckys. Von jetzt an rauche ich Luckys. (...)"



    So sieht es aus, wenn bei Denis Johnson jemand Hoffnung auf glücklichere Tage schöpft.

    "Es wird Sie schon nicht umbringen",


    ist der frommste Wunsch, den einem in "Keine Bewegung" mit auf den Weg gegeben wird.

    Dies ist Johnsons bis anhin mit Abstand fröhlichster Roman - eben weil sich der Autor so lustvoll aus der Mottenkiste der schwärzesten aller Gattungen bedient. Und um Pulp und Pulp Fiction die Ehre zu erweisen: Wer hätte gedacht, dass in dem verschrumpelten Früchtchen noch so viel Saft drinsteckt.


    Denis Johnson: Keine Bewegung. Roman. Aus dem Amerikanischen von Bettina Arbanell. Rowohlt Verlag, Reinbek 2010. 208 Seiten. 17.95 Euro/32.30 Franken.