Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Puppentheater
Schwierige Beziehung zwischen Bauchrednern und ihren Puppen

Psychologische Abgründe und Persönlichkeitsverschiebungen: Das findet nicht selten zwischen Bauchrednern und ihren Objekten statt. Gisèle Viennes beschreibt in ihrem Stück die schwierige Beziehung zwischen den Spielern und den Puppen. Ganz ohne peinliche Sentimentalitäten geschieht dies jedoch nicht.

Von Hartmut Krug | 16.08.2015
    Puppentheater in Netzeband
    Puppentheater in Netzeband (Deutschlandradio - Jürgen König)
    Auf offener Bühne warten acht Personen, allesamt Bauchredner und Puppenspieler. Die Menschen reden leise miteinander und bewegen sich, während ihre Puppen meist abgelegt und bewegungslos.
    Dann poltert ein Verspäteter mit seinem Rollkoffer in die Runde und bekommt von seinen Kollegen begeisterten Applaus. Er ist der Erfolgreiche, der vom Fernsehen und seiner Show in Las Vegas erzählt. Zugleich gibt er mit seinen abgeschmackten und sexistischen Witzen das schlimme Zerrbild eines Puppen-Entertainers. Nachdem dieser Erfolgsmensch seine acht Kollegen und deren Puppen vorgestellt hat, spielen die im weiteren Verlauf gegen die Festschreibungen dieser Charakterisierungen an.
    Zerrbilder der Puppen-Entertainer
    Auf diese Weise erklären uns Gisèle Vienne und ihr Texter Dennis Cooper gleich in diesen ersten Szenen, worüber sich der Abend Gedanken macht: Es geht um die schwierige Beziehung zwischen den Subjekten, den Spielern, und ihren Objekten, den Puppen. Also um das, was seit alters her in der Beziehung zwischen Puppenspieler und Puppe gesucht wird: um die psychologischen Abgründe und Persönlichkeitsverschiebungen sowie um das bewusste wie unbewusste Spiel mit ihnen.
    Die Puppe musste schon oft herhalten für das Zweite, abgespaltene Ich Ihres Spielers, der ihr nicht nur alle Bewegungen, sondern auch die Stimme gibt. Doch anders als bei Kleist, wo die natürliche Anmut einer Marionette durch die völlige Abwesenheit von Bewusstsein sichtbar wird, besitzen die Puppen in Viennes Inszenierung enorm viel Bewusstsein. Allerdings ist es das Bewusstsein ihrer Spieler, die ihre eigenen Probleme bauchrednerisch auf ihre Puppen verschieben. So, wenn eine Spielerin, Tochter des verstorbenen berühmten Spielers Frank, mit dessen Sohn Frankie spielt, einer restaurierten Puppe:
    "Du bist schuldig, dass Vater tot ist. Weil du eifersüchtig bist."
    "Eifersüchtig?"
    "Ja, eifersüchtig. Weil ich um die ganze Welt gereist bin und du hast mit deinen Puppen gespielt. Weißt du, Frankie, Vater hat mir gar nicht erlaubt, mit Puppen zu spielen. Ich fand, dass Puppen immer Leichen zu ähnlich sind."
    Viennes bisherige Inszenierungen erschienen meist wie Wachträume, die sich mit mehr oder weniger Erfolg an tiefenpsychologischen Erkundungen versuchten. Dies tut auch ihr "Bauchrednertreffen", wie im Programmheft wortreich zu begründen versucht wird.
    Allerdings hat sich Viennes, die auch ausgebildete Puppenspielerin ist, diesmal mit dem Hallenser Puppentheater zusammengetan. Was zum Problem wird. Denn das Hallenser Puppentheater hat eine eigene Spielform entwickelt, bei der ausgebildete Schauspieler und Puppenspieler gemeinsam auf der Bühne stehen. Dabei bleiben sie genau das, was sie jeweils sind: Schauspieler und Puppenspieler. Traugott Buhre hat hier den Prospero mit Puppenspielern in Shakespeares "Sturm" gespielt. Indem so zwei unterschiedliche Fertigkeiten und Darstellungsweisen aufeinandertreffen, entsteht etwas Neues, Anderes.
    Klischeehafte Geschichten
    Doch Gisèle Vienne hat nur ihre Puppenspieler. Die haben zwar extra Bauchreden gelernt, sind aber keine Schauspieler, auch wenn sie es sein sollen. Sie tragen mehr vor, wenn auch mit Engagement und Bedeutung. Dazu findet die Regisseurin leider weder ein gutes Tempo für den Abend noch ein Timing für die einzelnen, recht klischeehaften Geschichten. So ziehen sich die Szenen, begleitet von einem stetigen Publikumsabfluss, arg müde dahin. Dabei gibt es mit einer Puppe, die eigentlich nur aus einem Kissen besteht, und eine Klappmaulpuppe witzige Szenen. Dann gibt es eine Sprühdose, einen riesigen Grashüpfer, der mit einer normalen Puppe Sex mit Folgen hatte, und eine Puppe wie aus der Muppetshow. Sie alle konkurrieren mit ihren Spielern und wollen ein Star werden. Leider entwickelt Vienne aus den unterschiedlichen Erscheinungsweisen der Puppen keine charakterisierenden Spielweisen. Immerhin gerät die widerspenstige Klappmaulpuppe in einen blutigen Kampf mit ihrem Puppenführer, dem von Lars Frank auch schauspielerisch Profil gegeben wird.
    Wenn aber eine Puppenspielerin, die in einem Krankenhaus für sterbende Kinder spielt, darum bittet, dass alle Puppen jetzt mal sterben sollten, "das würde mir helfen", dann sterben manch Spieler und manche Puppe so "uninspiriert", dass die lange Szene völlig in sich zusammen fällt. Und wenn zum Schluss eine Vater/Mutter-Figur sich an seine Kindheit erinnert, in der sie als schwuler Junge allein mit sich war, dann rutscht diese Szene ganz langsam, aber um so sicherer und peinlicher, auf ihrem Gefühlsschmalz aus.Es war, gerade wegen der großen Erwartungen, insgesamt ein eher enttäuschender Abend.