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Putin in Peking
"Es ist eine große Anti-Koalition"

Russlands Präsident Wladimir Putin besucht derzeit China. Die Partnerschaft beider Länder sei aus Moskaus Sicht nicht ganz freiwillig, sagte Jens Siegert im DLF. Er war langjähriger Leiter der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, Außenstelle Moskau. Er findet: Die Staaten eint vor allen Dingen eines: Eine Anti-Haltung gegen den Westen.

Jens Siegert im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 02.09.2015
    Der chinesische Präsident Xi Jinping und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin während eines Treffens in Moskau.
    Der chinesische Präsident Xi Jinping und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin während eines Treffens in Moskau. (AFP / Kirill Kudryavtsev)
    Siegert betonte, Russland habe keine Alternative zu einer Kooperation mit China, solange die Beziehungen zum Westen schlecht seien. "Für China bleibt die wichtigste Beziehung die zu den USA." Peking habe wichtige Wirtschaftskooperationen mit Amerika, seinen asiatischen Nachbarn und Europa. Deshalb sei es für das Land eher eine Frage der Geopolitik. "Die Chinesen nehmen mit, was man mitnehmen kann."
    Es gebe keine gemeinsame Wertebasis bei den beiden Ländern. Siegert spricht von einer "negativen Partnerschaft." Peking und Moskau eine, dass sie sich gegen den Westen abgrenzen wollten und dessen Forderungen nach mehr Demokratie und mehr Menschenrechten Leid seien. Er gehe nicht davon aus, dass die Kooperation von Dauer sei.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: In vielen westlichen Ländern ist Wladimir Putin kein besonders gern gesehener Gast mehr. Er hat mit Russlands Rolle im Ukraine-Konflikt eine Menge Kredit verspielt in vielen Hauptstädten. Sein Regierungssystem gilt außerdem als mehr und mehr autoritär. Die Beziehungen zum Westen frösteln also. Mit den Beziehungen nach Asien ist das etwas anders. Vor allem mit China will Putin gerne eine feste Verbindung eingehen. Heute reist er zu einem zweitägigen Staatsbesuch nach Peking.
    Ein Mann, der die russische Außenpolitik in Richtung Ost und West seit Jahren genauestens verfolgt, ist Jens Siegert, Publizist und bis vor kurzem Leiter des Moskauer Büros der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Schönen guten Morgen, Herr Siegert.
    Jens Siegert: Guten Morgen.
    Armbrüster: Herr Siegert, wenn Wladimir Putin jetzt so eindeutige Signale in Richtung Peking aussendet, ist das schon der Bruch mit Europa?
    Siegert: Das ist ja nichts Neues, sondern das ist nur eine Bestätigung der Politik, die seit einigen Jahren gefahren wird. Es ist eben im Bericht schon erwähnt worden der Vertrag über eine Gas-Pipeline von Russland nach China. Die Verhandlungen darüber haben zehn Jahre sich hingezogen und gestockt, sind nach der Krim-Annexion im vorigen Jahr sehr, sehr schnell und mit sehr großem Triumph auf russischer Seite abgeschlossen worden, auch wenn es da jetzt inzwischen stockt. Am 9. Mai diesen Jahres war der chinesische Präsident der wichtigste Gast bei den Siegesfeiern zum Jahrestag des Ende des Zweiten Weltkrieges in Moskau. Er hat neben Putin mit Ehefrau auf der Tribüne auf dem Roten Platz gesessen. Man hat viel gescherzt, hin und her. China ist seit einiger Zeit in den russischen Medien ein ständiges Thema und wird ständig als Alternative für die Beziehungen zum Westen gestellt, immer so: Der Westen ist sowieso auf dem absteigenden Ast, China ist die aufsteigende neue Macht und wir, Russland, werden zusammen mit dieser neuen aufsteigenden Macht weiter aufsteigen und so nicht durch den Westen hinabgezogen.
    Armbrüster: Und ist das eine Partnerschaft, die man genauso auch in Peking sieht?
    Siegert: Ich denke das nicht. Ich glaube, die Partnerschaft China-Russland ist aus Russlands Sicht eher eine zwangsweise, eine nicht ganz freiwillige. Man hat eigentlich keine andere Alternative, wenn die Beziehungen zum Westen, wie sie jetzt im Moment sind, eben schlecht sind und man sich nach etwas anderem umsehen muss. Da bleibt nicht viel anderes als China.
    Für China bleibt aber die wichtigste Beziehung weiterhin die Beziehung zu den USA. Die wichtigsten Wirtschaftsbeziehungen sind die Beziehungen zu den USA, den anderen asiatischen Ländern und Europa. Russland spielt da keine besonders große Rolle, sondern da ist die Frage eher eine Frage der Geopolitik und die Chinesen nehmen mit, was man mitnehmen kann in so einer Situation.
    "Man fühlt sich kulturell eher europäisch"
    Armbrüster: Wenn sich nun Russland, wie Sie sagen, ja schon seit einigen Jahren mehr und mehr China annähert, wie wird das denn in der russischen Bevölkerung gesehen? Können die sich vorstellen, dass ihr Land künftig mehr asiatisch tickt und weniger europäisch?
    Siegert: Ich würde da zwei Aspekte unterscheiden. Das eine ist der Aspekt, der mit der gegenwärtigen Konfrontation mit dem Westen und den sehr schlechten Beziehungen verbunden ist. Da wirkt die Kreml-Propaganda sehr stark. Putin hat ja sehr starke Unterstützung für die Annexion der Krim bekommen und viele Menschen sehen dort, dass China, wie eben schon gesagt, die Alternative ist und befürworten das.
    Auf der anderen Seite: Der zweite Teil ist ein untergründiges Unwohlsein dabei. Man fühlt sich doch, auch wenn man immer sagt, wir sind kein Europa, wir sind nicht so wie Europa oder wir sind doch ein bisschen anders, kulturell sehr europäisch und der chinesische oder asiatische Kulturkreis ist eher fremd. Hinzu kommt eine sehr lang gehende und tief sitzende Angst, dass die Chinesen irgendwann Sibirien übernehmen könnten. In Sibirien leben nicht sehr viele Menschen, jenseits des Baikalsees im fernen Osten im Moment etwa sechs bis sieben Millionen Menschen. Auf der chinesischen Seite sind es etwa 200 Millionen. Dieses ungleiche Verhältnis macht doch immer wieder ziemlich viel Angst und das spielt auch eine Rolle.
    "Gemeinsame Abgrenzung gegen die Zumutungen des Westens"
    Armbrüster: An welche Grenzen könnte denn diese Annäherung noch stoßen, andere Grenzen als bei den Menschen in Russland? Gibt es da Punkte, über die sich beide Länder in keinem Fall einigen können?
    Siegert: Im Moment erst mal wenig. Das ist eine, wenn man so will, große Anti-Koalition. Das ist eine Koalition von zwei Ländern, die sich gegen den Westen abgrenzen und natürlich auch gegen die Zumutungen aus dem Westen, insbesondere die Zumutung, dass von dort gefordert wird, sich demokratisch zu verhalten und Menschenrechte einzuhalten. Gegenwärtig gibt es in dieser Hinsicht sehr viele gemeinsame Interessen. Aber wie gesagt, eines der größten Probleme Russlands mit dem Westen war immer, dass man gesagt hat, ihr belehrt uns, ihr lasst uns keine Partnerschaft auf Augenhöhe angedeihen. Die Chinesen sind da im Moment ein wenig - wie soll man das sagen? - klüger. Sie tun nichts, was so aussehen könnte, als ob sie Russland belehren wollten. Aber auf Augenhöhe kann man diese Partnerschaft trotzdem auch nicht nennen.
    Armbrüster: Hat denn auch das doch recht starre autoritäre chinesische Regierungssystem einen Vorbildcharakter für Wladimir Putin? Ist dies das, wo er sein Land hinlenken will?
    Siegert: Das hat eben den Vorteil, dass man von dort nicht hören wird, "Unterdrücke Deine Opposition nicht!", "Mach das Internet frei!", "Lass keine Leute in den Knast", "Mache freie Wahlen" und so weiter und so weiter, was doch auch immer aus dem Westen zu hören ist oder zu hören gewesen ist. Da gibt es relativ gleichgerichtete Interessen auf Seiten der Regierenden. Wir haben es bei beiden mit einem System zu tun, das autoritär darüber bestimmt, wohin das Land geht, das keine freien Wahlen zulässt, das auch in Russland inzwischen immer mehr die Öffentlichkeit und die freie Presse und freie Meinungsäußerungen einschränkt, und insofern lässt sich da eine, wie ich das eben schon genannt habe, negative Partnerschaft aufbauen.
    "Wirtschaftliche Annäherung beider Länder völlig normal"
    Armbrüster: Wenn sich nun diese negative Partnerschaft immer weiter annähert, wie sollte dann der Westen, wie sollte Europa darauf reagieren?
    Siegert: Ich glaube, man sollte erst mal gelassen sein und sehen, dass eine wirtschaftliche Annäherung von China und Russland völlig normal ist, die im Übrigen nicht so gut läuft, wie sich die Russen das gerne vorstellen würden. Das sollte man auf jeden Fall begrüßen. Was die anderen Sachen anbelangt: Ich, ehrlich gesagt, sehe nicht, dass die Anziehungskraft von China für Russland groß genug ist auf längere Frist. Das Ungleichverhältnis ist doch zu groß und es gibt - Sie hatten das vorhin schon mal in einer Frage erwähnt - zunehmend Spannungen zum Beispiel in Zentralasien, das China als seinen westlichen Hinterhof ansieht, Russland als seine östliche Einflusszone. Da kann es auf mittlere Frist zu ähnlichen Spannungen kommen wie mit dem Westen in der Ukraine in Mittel- und Osteuropa.
    Armbrüster: Das heißt, Sie sehen diese Annäherung nicht als bedrohlich? Da bildet sich sozusagen kein neuer Block, der möglicherweise auch irgendwann geostrategisch gefährlich werden könnte für uns?
    Siegert: Man muss das schon mit Sorge betrachten. Man muss da sehr genau hinschauen. Aber wenn wir schauen, woraus bestehen Blöcke oder woraus bestehen geopolitische Blöcke? Sie bestehen entweder daraus, dass es eine Großmacht gibt, die dominiert und die andere dominiert, wie das zum Beispiel im Ostblock der Fall gewesen ist durch die Sowjetunion, wo die anderen Länder gar nicht anders konnten, als der Sowjetunion zu folgen, weil dort ihre Panzer standen, oder, wenn sie das nicht gemacht hätten, die Panzer gekommen wären. Oder so ein Block besteht aus gleichgerichteten nicht nur Interessen, sondern auch aus gleichgerichteten Werten, wie das im Westen der Fall ist, da es sich um Demokratien handelt. Die Koalition oder die Partnerschaft China-Russland hat weder das eine, noch das andere. Keines dieser beiden Länder ist so dominant, dass es dem anderen den Willen aufzwingen könnte. Es gibt aber auch keine gemeinsame Wertebasis, außer dieser Anti-Haltung gegen den Westen. Das heißt, es ist sozusagen eine Freundschaft gegen irgendjemand anderen, und solche Dinge sind in der Regel nicht sehr haltbar.
    Armbrüster: Herr Siegert, nebenan sehe ich hier schon, dass sich der Kollege von den Nachrichten bereit macht. Wir müssen hier leider Schluss machen. Aber wir können sicher noch lange über dieses Thema weiter reden und es wird uns sicher auch in den kommenden Stunden und kommenden Tagen weiter beschäftigen. - Das war Jens Siegert, der langjährige Leiter des Moskauer Büros der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Vielen Dank, Herr Siegert, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Siegert: Bitte schön.