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"Putin muss Druck machen"

Russland muss das syrische Regime zu einem Beitritt in die Chemiewaffen-Konvention der UNO drängen, sagt Jean Asselborn, luxemburgischer Außenminister und Vizepremierminister. Zwischen den USA und Russland müsse außerdem zur Lösung des Syrien-Konflikts Vertrauen wieder aufgebaut werden.

Jean Asselborn im Gespräch mit Jasper Barenberg | 11.09.2013
    Jasper Barenberg: Ist es eine weitere Finte von Syriens Diktator oder ein ernsthaftes Angebot des Regimes von Baschar al-Assad? Damaskus beteuert, sein großes Arsenal an Chemiewaffen unter internationale Kontrolle zu bringen. In seiner Rede an die Nation hat US-Präsident Obama darauf reagiert, und zwar mit einem Spagat. Die militärische Drohung will er weiter aufrechterhalten und der Diplomatie doch eine Chance geben.
    Am Telefon begrüße ich den Außenminister von Luxemburg. Schönen guten Morgen, Jean Asselborn!

    Jean Asselborn: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Asselborn, Baschar al-Assad ab sofort nicht mehr ein Diktator, dem die furchtbarsten Verbrechen vorgeworfen werden, den man vor ein internationales Gericht ziehen muss, sondern ein ernsthafter Verhandlungspartner in einem Abrüstungsprozess?

    Asselborn: Herr Barenberg, ich würde es, sagen wir mal, diplomatisch positiv sehen, was sich in den letzten zwei Tagen zugetragen hat. Erstens ist das positiv für die Menschheit, dass kein Militärangriff stattfindet ohne UNO-Mandat, positiv auch für Präsident Obama, der sein Ziel erreichen kann, chemische Waffen in Syrien kaltzustellen ohne militärischen Eingriff, positiv aber auch und das ist wichtig für Präsident Putin, der ein geächtetes Regime ja, das ihm nicht unwichtig ist, in die Schranken weisen kann, und vor allem - das hoffe ich - positiv für das syrische Volk, dass man eine politische Lösung findet. Das ist in der Substanz jedenfalls das, was mir jedenfalls möglich jetzt scheint, und wie Sie Assad einschätzen, ist nicht wichtig, aber was wichtig ist: Wie steht die internationale Gemeinschaft, wie kann sie dem syrischen Volk helfen?

    Barenberg: Wichtig ist aber schon, Jean Asselborn, wie ernsthaft man die Ankündigungen aus Damaskus nimmt. Wie verhält es sich da bei Ihnen?

    Asselborn: Ich glaube, in der Debatte in den USA bin ich nicht hundertprozentig davon überzeugt, auch nachdem wir Herrn Kerry gehört haben, dass die USA klar wussten, ob sie ihr Ziel mit militärischen Mitteln erreichen können, die chemischen Waffen zu zerstören. Zweitens gab es ja auch keine hundertprozentige - da bin ich sehr optimistisch -, überhaupt nicht sehr viel Rückhalt im Volk, auch Präsident Obama hat das ja gesagt, in der eigenen Familie sogar nicht, militärisch einzugreifen, und das war vor allem auch kein Plan, um mit allen Konsequenzen umzugehen. Und darum: Wie wäre die Abstimmung gelaufen im Kongress, ohne diese Initiative, weiß ja auch keiner. Darum glaube ich, dass trotzdem das, was jetzt geschieht, etwas ist, wo auch Präsident Obama nicht unfroh darüber sein kann, und ich glaube, dass es ihm entgegenkommt, eine Lösung zu finden, die diplomatischer Natur ist.

    Barenberg: Darum wird unter anderem jetzt im UNO-Sicherheitsrat gerungen und im Umfeld. Schon wieder gibt es Streit über eine Resolution im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, eine Sondersitzung ist abgesagt worden. Frankreich wollte ja in einem Entwurf die Kontrolle über die Chemiewaffen mit dem Mandat verbinden, notfalls Gewalt anwenden zu dürfen, sollte Syrien dieses Versprechen oder seine Versprechen nicht einhalten. Ist das der richtige Ansatz?

    Asselborn: Der richtige Ansatz ist, dass der Sicherheitsrat im Zentrum steht. Das zweite ist, Sie haben es angekündigt: Kerry und Lawrow werden sich am Donnerstag in Genf sehen. Meinen Informationen nach wird auch am nächsten Montag der Bericht der Inspekteure kommen. Das sind zwei Fakten auch, die sehr wichtig sind. Ich glaube, im UNO-Sicherheitsrat, wo wir als Luxemburg das "Glück" haben, zurzeit als nicht ständiges Mitglied zu tagen, muss es zwischen den Amerikanern und den Russen zu einem Konsens kommen. Die P5, also die Vetomächte, müssen sich dann einigen und eine einstimmige Resolution wäre ja das Ideale nach dieser Entwicklung jetzt in Syrien und in Russland und in Amerika. Ich glaube auch, dass gestern Abend die Amerikaner die Russen gefragt haben, nach meinen Informationen, ihre Initiative zurückzuziehen, was die Russen dann auch gemacht haben. Es darf meines Erachtens kein ideologischer Krieg jetzt entstehen über Chapter VI oder Chapter VII, das heißt Sanktionen oder keine Sanktionen. Wissen Sie, zwischen den USA und Russland geht es ja um vieles: Es geht nicht nur um diese Resolution, wenn man in Syrien etwas zustande bringen will. Es geht ja auch darum, ein Embryo von Vertrauen wiederzuentwickeln. Ein Reset, auch wenn es auf dem niedrigsten Niveau ist, muss jetzt erfolgen, und ich glaube, das ist etwas, was auch Präsident Obama und Präsident Putin, hoffe ich, beide sehr genau wissen, und ich bin zuversichtlich, dass die zwei Außenminister, Kerry und Lawrow, ein Einvernehmen finden, ohne jetzt noch einmal wieder ideologischen Krieg über die Vorgehensweise zum Resultat im Sicherheitsrat machen zu müssen.

    Barenberg: Aber das ist ja ein ziemlich wesentlicher Punkt. Es gibt ja genug Gründe für Skepsis gegenüber Damaskus, ob das jetzt ein ernsthaft gemeintes Angebot ist. Umso wichtiger ist doch die Frage, sollte in einer Resolution diese Drohkulisse erhalten bleiben, sollte die militärische Drohung auf dem Tisch bleiben, um Assad daran zu erinnern, seine Versprechen zu erfüllen. Russland lehnt das ja bekanntermaßen ab, Amerika wird es verlangen, Frankreich verlangt es auch. Wie werden Sie im Sicherheitsrat sich verhalten?

    Asselborn: Es geht mir mehr als um eine Resolution. Es geht mir darum, Vertrauen wieder aufzubauen zwischen Amerika und Russland, um im Syrien-Konflikt zu einem Resultat zu kommen. Ich bin auch überzeugt, wirklich, dass wenn die Russen sich engagieren, und dieses Regime, was sie ja wenigstens indirekt unterstützen, dazu auffordern, dass man das zur Kenntnis nehmen soll. Ich bin aber auch mit Ihnen der Meinung, dass selbstverständlich dieses Regime schon so viel gelogen hat, dass es gute Gründe gibt, dass ohne Druck das nicht zu bewerkstelligen ist. Aber erlauben Sie mir als normaler Bürger zu antworten, dass wenn man so nahe an einem Ziel ist und man kann einen Militärschlag verhindern, dass wir jetzt nicht Wochen und Monate über diesen Streit Chapter VI oder Chapter VII streiten und zu keinem Resultat kommen. Das ist eine Frage, wo wir als Luxemburger im Weltsicherheitsrat eine Botschaft geben, dass man in der Substanz weiterkommen soll und dass man eben auch das Vertrauen aufbauen muss, selbstverständlich wissend, dass für dieses Regime - die Drohkulisse, wie Sie sagen, aufrechterhalten bleiben muss.

    Barenberg: Wäre es beispielsweise ein gutes Signal von syrischer Seite - und das wäre dann von Russland zu unterstützen -, dass Syrien unmittelbar jetzt in allernächster Zeit dem Chemiewaffen-Abkommen, der Chemiewaffen-Konvention beitritt? Wäre das eine Art Lackmustest für die Ernsthaftigkeit der syrischen Absicht?

    Asselborn: Ja! Da haben Sie ganz recht. Ich glaube, hier muss auch Russland seine Verantwortung übernehmen und Putin muss Druck machen, dass dies auch geschieht. Ich will aber, Herr Barenberg, ein Wort, wenn Sie mir das erlauben, sagen. Wir konzentrieren uns jetzt seit Wochen auf diese chemischen Waffen. In Syrien gibt es eine execrable humanitäre Lage und ich will noch einmal erinnern, ich habe es schon einmal gesagt, dass seit März im Sicherheitsrat Australien und Luxemburg sich bemüht und sehr nahe dran war, mit Russland und mit China, dass man eine Resolution über die humanitäre Lage, die Hilfsorganisationen der UNO, dass sie Zugang bekommen, wo Millionen Syrer internationale Hilfe ja brauchen und wo Tausende Menschen, auch Kinder riskieren zu sterben, wenn sie keine medizinische Hilfe bekommen oder die Ernährung nicht garantiert ist. Dieser Gesichtspunkt, jetzt alles fokussieren auf die Chemiewaffen, ist vielleicht etwas zu kurz gesehen. Wir müssen als internationale Gemeinschaft den Millionen Menschen, die noch in Syrien sind - schon über drei Millionen sind geflüchtet -, dass man hier von UNO-Seite die humanitäre Hilfe garantieren kann. Das wäre etwas, was jedenfalls aus meiner Sicht in dieser ganzen Debatte, wenn es zu einem Vertrauen wieder kommt zwischen Russland und Amerika, unbedingt umgesetzt werden muss.

    Barenberg: Dann lassen Sie mich meinerseits zum Schluss unseres Gesprächs noch mal auf den Anfang zurückkommen. Das Morden im Bürgerkrieg geht ja schließlich weiter und das Sterben, während wir jetzt über die Chemiewaffen reden. Kann man jetzt eigentlich schon sagen, wo es Anzeichen gibt, dass verhandelt werden wird mit dem Regime, dass Diktator Assad jetzt schon seine Position gefestigt hat, dass der Fortbestand seines Regimes jedenfalls eher gesichert ist, als das noch vor wenigen Tagen aussah?

    Asselborn: Herr Barenberg, wir haben die Botschaft aus der Europäischen Union in Vilnius letzte Woche an die Amerikaner gegeben, dass wir immer noch auf Diplomatie setzen und da eigentlich auch von Kerry wie von Präsident Obama ja das gleiche Echo bekommen haben. Das, was wir wollen und was ja auch gesagt wird von amerikanischer Seite, von französischer Seite: Es gibt keine militärische Lösung, es gibt nur eine politische Lösung. Dieses Genf II - das ist ja auch der Ort, wo Kerry und Lawrow jetzt sind - wäre der Augenblick am Donnerstag, auch ein Datum zu fixieren, wann diese Genf-II-Konferenz anfangen könnte, wenigstens anfangen könnte. Ich glaube, man muss jetzt profitieren von der Tatsache, dass Russland ja Syrien in die Schranken weist, dass eine gewisse Autorität in die richtige Richtung sich entwickelt, dass dann auch es möglich sein muss, seit Mai diese Initiative, diese Genf-Konferenz zusammen zu initiieren, dass die dann auch geschieht. Das ist das, was, glaube ich, Assad am meisten zu fürchten hat, dass es zu einer wirklichen politischen Lösung kommt, wo die internationale Gemeinschaft fest dahinter steht. Das ist das Ziel, was zu erreichen ist.

    Barenberg: Luxemburgs Außenminister und Vizepremier heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank, Jean Asselborn, für das Gespräch.

    Asselborn: Bitte, Herr Barenberg.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.