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Digitaler Handel
Schluss mit Steuerbetrug auf Plattformen wie Amazon

Immer mehr in China ansässige Amazon-Händler melden sich beim zuständigen Finanzamt Neukölln an, um ihre Umsatzsteuer zu bezahlen, berichtet der Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz. Er stellt ein Umdenken fest - nicht nur bei den Händlern, sondern auch bei den Betreibern der Plattformen.

Matthias Kollatz im Gespräch mit Sina Fröhndrich | 01.08.2018
    Ein Steuerfahnder blätter eine Steuererklärung durch.
    Steuerfahnder nehmen auch digitale Plattformen unter die Lupe (picture alliance / dpa / Uwe Zucchi)
    Sina Fröhndrich: Das Finanzamt Neukölln ist derzeit zuständig für die chinesischen Händler. Geht es künftig wieder legal zu bei Amazon?
    Matthias Kollatz: Also die wesentlichen Legalisierungsfortschritte, die wir jetzt im letzten Jahr erreicht haben, können sich ja durchaus sehen lassen, und die haben wir ja erst mal erreicht, ohne dass es das Gesetz gibt. Mit dem Gesetz wird es allerdings besser.
    Fröhndrich: Inwiefern haben Sie das bisher erreicht?
    Kollatz: Wir hatten bis Mitte vergangenen Jahres Anmeldungen von etwa 300 chinesischen Unternehmen, auf allen Plattformen. Jetzt haben wir 3000 mehr. Und ich gehe davon aus, dass das jetzt in schneller Folge weiter zunimmt. Das heißt, wir werden jetzt jede Woche mehrere Hundert Anmeldungen sehen.
    Und das haben wir dadurch erreicht, dass wir durch eine gezielte rechtliche Verfolgung von Sachverhalten doch schließlich Plattformen davon überzeugen konnten, dass sie uns Daten mit bestimmten Einzelbelangen herausgeben oder im Zweifelsfall auch Konten oder Lager sperren. Und das hat dazu geführt, dass ein Umdenken stattgefunden hat, übrigens nicht nur bei den Unternehmen, sondern auch bei den Betreibern der Plattform.
    Fröhndrich: Das heißt, Sie haben da auch einen gewissen Druck auf Amazon ausgeübt, wenn sich da nichts ändert und weiterhin Händler aktiv sind, die die Umsatzsteuer nicht abführen, dann könnte man auch Warenlager in Deutschland sperren, das stand im Raum.
    Kollatz: Ja. Und das gilt sozusagen nicht nur für einen Plattformbetreiber, das gilt auch für andere, aber letztlich ist es so, dass der größte Plattformbetreiber Amazon natürlich immer eine Führungsfunktion hat.
    Digitalökonomie darf nicht dem Steuersystem entzogen werden
    Fröhndrich: Jetzt haben Sie gesagt, dass sich pro Woche immer neue chinesische Händler im Finanzamt in Neukölln melden, jetzt sprechen aber Schätzungen davon, dass es ja um die zehntausend bis zwanzigtausend chinesische Onlinerhändler geben könnte, die keine Umsatzsteuer abführen. Das ist ja dann erst mal nur ein Bruchteil.
    Kollatz: Ja, als wir gestartet haben, sind wir von 6000 ausgegangen. Jetzt haben wir schon mal 3000 Anmeldungen dazubekommen, und die Anmeldungen, die eingehen, bis zu 400 pro Woche, sprechen dafür, dass es tatsächlich mehr als 6000 sind. Wir haben jetzt das Personal aufgestockt von neun auf 15, und wir werden, wenn das so weitergeht, das Personal auch noch mal aufstocken. Das heißt, wir sind fest entschlossen, dass die Digitalökonomie nicht dem Steuersystem entzogen werden kann. Da hilft uns jetzt dieser Gesetzentwurf, da ist es eben so, dass das in Zukunft eben nicht mehr so kompliziert ist, wie wir es jetzt machen, sondern dann so ist, wenn einer als Händler auf so einer Plattform tätig ist und keine Steuernummer hat, dann ist es im Zweifelsfall so, dass der Plattformbetreiber auch für ihn haften muss.
    Fröhndrich: Wie zuversichtlich sind Sie, dass das tatsächlich passieren wird, dass Amazon dann im Zweifel dann die Umsatzsteuer begleicht?
    Kollatz: Ich bin da schon ziemlich zuversichtlich, ich bin aber auch insbesondere zuversichtlich, dass es dazu kaum kommen wird. Weil damit auch klar ist, dass es nicht mehr so gilt, wie die Plattformen es in der Vergangenheit immer versucht haben zu sagen, dass sie damit nichts zu tun haben, das heißt, insofern ist es so, das Verhalten wird sich ändern. Und deswegen wird es aber insgesamt so sein, dass die Digitalökonomie nicht mehr als steuerfreier Raum betrachtet wird.
    Privatunternehmen könnte zum staatlichen Steuereintreiber werden
    Fröhndrich: Das heißt, Sie sehen jetzt nicht den Punkt problematisch, dass Amazon zum Steuereintreiber werden könnte, was ja einige befürchten?
    Kollatz: Naja, das ist ja so, dieses lehnt sich ja relativ stark an ein Verfahren an, was ja gerade in Großbritannien beschlossen worden ist und das ja Großbritannien gerade deshalb eingeführt hat, weil sie dieselben Erfahrungen gemacht haben. Andere Länder sind bislang die Wege gegangen, dass sie gesagt haben, sie beauftragen die Postbetriebe, also die, die das zustellen, dieses einzutreiben. Das haben beispielsweise die Schweden gemacht. Das heißt, das Problem gibt es überall, es gibt unterschiedliche Lösungsansätze, dieser Lösungsansatz, den es jetzt in Großbritannien und höchstwahrscheinlich auch in Deutschland gibt, ist vermutlich der Einfachste und der Wegweisendste, und im Übrigen ist es ja so, haben wir das ansonsten auch. Also es hat allerdings auch eine gewisse Weile gedauert, bis man Banken davon überzeugen konnte, dass sie sich davon überzeugen müssen, wie ihre Kunden tatsächlich heißen und sich Personalausweise vorlegen lassen. Früher haben Banken gesagt, sie machen das nicht. Und es war aber richtig, dieses schrittweise durchzusetzen. Und an einer solchen Schwelle sind wir jetzt. Die digitalen Plattformen werden sich daran gewöhnen müssen, dass sie eben bestimmte Minimalanforderungen, die man in einem seriösen Geschäftsbetrieb eben auch erwarten kann, mit Recht erwarten kann, eben auch erfüllen.
    Zweifel, ob Händler nicht doch vom Radar verschwinden
    Fröhndrich: Jetzt haben Sie gesagt, man weiß ja eigentlich nicht so genau, wie viel allein chinesische Händler es gibt. Wenn wir jetzt noch mal den Blick weiten und auch auf Händler aus anderen Ländern gucken, man weiß ja eigentlich gar nicht genau, wie viele sind da angemeldet auf diesem Marktplatz speziell bei Amazon. Amazon selbst nennt auch keine Zahlen dazu. Kann es nicht sein, dass wir am Ende vielleicht so ein Katz-und-Maus-Spiel sehen, dass Händler versuchen, unter dem Radar zu bleiben, sowohl der Steuerbehörden als auch bei Amazon, und wenn sie dann doch erwischt werden, sich irgendwann später dann mit einem neuen Profil anmelden?
    Kollatz: Das kann alles passieren. Aber es ist so, dass auch da gilt: Die haben ja ein Interesse daran, dass sie für ihre Kunden gut findbar sind. Und dafür sind so etwas wie Namen und eine gewisse Kontinuität wichtig. Insofern spricht das wirtschaftliche Interesse dafür, dass das relativ überschaubar sein wird, und da ist es eben so, natürlich muss man auch das verfolgen. Wichtig ist aber: Ja, es gibt verschiedene Länder, ja, es gibt auch viele Plattformen und durchaus eine wachsende Zahl von Plattformen, und es ist jetzt so, dass durch bestimmte Festlegungen, die es in der Vergangenheit gab, ist eben das Finanzamt Neukölln zuständig für etwas, was man "Rest der Welt" nennen könnte, also wo es keine Einzelzuständigkeit von anderen Finanzämtern gibt. Und deshalb werden wir auch tatsächlich uns andere Länder auch noch vorknöpfen. Wir haben ja deswegen jetzt mit China angefangen, weil es dort die größten erkennbaren Aktivitäten auf den Plattformen gibt.
    Fröhndrich: Machen wir noch mal einen Strich drunter: Mit welchen Steuereinnahmen rechnen Sie jetzt, wo sich so viele Händler nach und nach registrieren?
    Kollatz: Na, das muss sich erst alles aufbauen, aber als wir damit begonnen haben, haben wir geschätzt, dass dem deutschen Staat jedes Jahr eine Milliarde Steuern entgehen. Wenn die Zahlen nun höher sind, mag das alles mehr sein. Aber als wir diese Aktivitäten gestartet haben, sind wir von dieser Dimension ausgegangen.