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Putins eingeschränktes Bekenntnis zur Demokratie

Russland habe kein autoritäres Regime, sagt Wladimir Putin. Hans-Henning Schröder, Russland-Fachmann der Stiftung Wissenschaft und Politik, widerspricht: Der russische Staatspräsident baue eine Scheinwelt einer funktionierenden Demokratie auf.

Hans-Henning Schröder im Gespräch mit Peter Kapern | 20.12.2012
    Peter Kapern: "Russland hat kein autoritäres Regime", das sagt Wladimir Putin, der Staatspräsident. Heute Morgen hat er sich mehrere Stunden lang der ausländischen Presse in Moskau gestellt und dabei unter anderem die Kritik an seiner Staatsführung zurückgewiesen.
    Bei uns am Telefon ist nun Hans-Henning Schröder, der Russland-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag, Herr Schröder.

    Hans-Henning Schröder: Guten Tag!

    Kapern: Herr Schröder, Wladimir Putin hat den Weltuntergang morgen definitiv ausgeschlossen und er hat dem französischen Schauspieler Gérard Depardieu, der gerne Steuern sparen möchte, einen russischen Pass angeboten. Hat Sie denn irgendetwas von dem, was Wladimir Putin sonst noch gesagt hat, überrascht?

    Schröder: Nein. Er hat im Prinzip inhaltlich die Aussagen der Botschaft, der Rede zur Lage der Nation wiederholt, die er am 12. gehalten hat. Er hat das meiste auch schon in Interviews oder in Statements gegeben. Von daher war es nicht neu. Er hat insgesamt sich vorgestellt in guter Form und auch – Ihr Korrespondent hat das ja schon geschildert – ein ganz breites Feld von Themen abgedeckt, und zwar zunehmend souverän.

    Kapern: Russland ist nicht autoritär regiert, sagt Putin. Stimmen Sie ihm zu?

    Schröder: Nein.

    Kapern: Warum nicht?

    Schröder: Was Putin macht – und das ist die Formel, die er hier gebraucht hat, während der Pressekonferenz und auch in der Botschaft zur Lage der Nation -, dass er sagt, wir haben eine demokratische Verfassung, wir wollen kein totalitäres System, aber wir wollen natürlich auch nicht, dass Opposition, die Straße mitregiert, und damit schränkt er dann all das, was er vorher mit dem Bekenntnis zur Demokratie vorgegeben hat, wieder ein. Auch alle Nachfragen, die gekommen sind, etwa nach dem Fall Chodorkowski oder nach anderen Fragen, hat er zurückgewiesen. Er hat behauptet, sie hätten ein Rechtssystem, das unabhängig sei. Im Grunde baut er so eine Scheinwelt einer funktionierenden Demokratie mit einem funktionierenden Rechtssystem auf und entzieht sich der Diskussion.

    Kapern: Sie haben den Namen Chodorkowski genannt. Da laufen gerade Agenturberichte unter Berufung auf russische Medien, die sagen, dass Michail Chodorkowski schon 2014, also zwei Jahre früher als eigentlich vorgesehen, frei gelassen wird. Ist diese Entscheidung heute, am Tag der großen internationalen Pressekonferenz, ein Zufall?

    Schröder: Das ist ja zunächst mal nichts weiter als ein Gerücht. Im Prinzip stellt sich rechtlich die Frage, wann er auf freien Fuß gesetzt werden kann, wegen guter Führung, Ablauf der entsprechenden Haftzeit. Es hat ja bei seinem Partner, der mit ihm verurteilt worden ist, Platon Lebedew, verschiedene Versuche gegeben, das rechtlich durchzusetzen; das ist jedes Mal wieder in der höheren Instanz zurückgewiesen worden. Insofern würde ich erst mal warten, ob das wirklich eintritt. Dass diese Pressemeldung heute durchläuft, denke ich, das ist kein Zufall.

    Kapern: Und wenn das tatsächlich so kommt, wäre das dann ein wichtiges Signal Putins, oder hätte das keinerlei Bedeutung für die Art und Weise, wie er das Land regiert?

    Schröder: Nach innen ist es kein Signal, weil im Inneren ist Chodorkowski bei der Mehrheit der Bevölkerung einfach unbeliebt. Er ist einer von diesen Oligarchen, die sich das Land unter den Nagel gerissen haben, die sich bereichert haben, und dementsprechend ist die Stimmung der Mehrheit der Bevölkerung massiv gegen ihn und andere Oligarchen.
    Es wäre ein Signal nach außen, und das ist etwas, auf das wir eigentlich schon seit einiger Zeit warten, denn Putin macht im Moment eine Politik, in der er die USA und Europa weitgehend ignoriert, und konzentriert sich auf den postsowjetischen Raum, also Ukraine, Zentralasien, und versucht offensichtlich, sich selbst zu arrondieren. Doch es ist klar: Zu irgendeinem Zeitpunkt muss er sich den Problemen der Welt, den globalen Problemen stellen, mit der EU und den USA, und zum Beispiel durch ein Signal, dass Chodorkowski auf freien Fuß gesetzt wird, wäre das ein guter Einstieg für so etwas.

    Kapern: Wie sollten dann denn die Adressaten, die USA und Europa, auf ein solches Signal reagieren?

    Schröder: Sagen wir mal zurückhaltend, aber sie sollten die Chancen, die in einem solchen Gesprächsangebot liegen, dann auch aufnehmen. Sie sollten allerdings – und wir haben ja noch ein Jahr Zeit, denke ich – darüber nachdenken, was sie eigentlich von Russland wollen und welche Politik sie mit denen machen wollen, welche Partnerschaft sie haben wollen, und das dann auch entsprechend politisch einfordern.

    Kapern: Und welche Partnerschaften stehen denn da zur Diskussion?

    Schröder: Das ist im Bereich mit den USA vor allen Dingen eine Frage der Sicherheitspolitik, der nicht weiteren Beibehaltung von Atomwaffen, die Frage, wie man im Falle Iran umgeht, was für eine Politik man im Nahen Osten macht. Da liegt ja einiges im Argen in der Zusammenarbeit im Moment. Da zeichnet sich im Moment auf der russischen Seite, denke ich, ein gewisses Entgegenkommen ab. Man muss sehen, wie sich das weiterentwickelt. Gegenüber der Zusammenarbeit mit der EU ist dies natürlich zunächst mal eine wirtschaftliche Frage, aber dann auch, wie weit – und das ist dann wieder eine Frage der inneren Entwicklung des Regimes – Russland doch den Normen, die der Europarat setzt, die die OSZE setzt, entgegenkommt. Das heißt unabhängiges Gericht, das heißt Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, eben alle die Grundlagen dessen, was eigentlich Demokratie ist.

    Kapern: Hans-Henning Schröder, der Russland-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Schröder, vielen Dank für Ihre Einschätzungen – schönen Tag!

    Schröder: Gerne geschehen – auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.