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Putsch in fünf Akten

Am 23. Februar 1981 hielt ganz Spanien den Atem an, als Teile der Armee aus den Kasernen ausrückten und ein Trupp der zum Militär zählenden Polizei Guardia Civil das Parlament besetzte. Javier Cercas rekonstruiert das Ereignis und seine Hintergründe in seinem Buch, das er als Roman bezeichnet, das aber vielmehr ein erzählendes Sachbuch ist.

Von Eva Karnofsky | 07.04.2011
    "Der Putsch vom 23. Februar 1981 muss für immer mit dieser Abnormität leben: Meines Wissens ist es der bislang einzige Putsch, der live im Fernsehen übertragen worden ist."

    Schreibt Javier Cercas im Vorwort zu seinem Buch "Anatomie eines Augenblicks. Die Nacht, in der Spaniens Demokratie gerettet wurde". Die Bilder, die damals live aus dem Parlament ausgestrahlt wurden, als Oberstleutnant Antonio Tejero und eine Gruppe Getreuer mit vorgehaltener Waffe die spanischen Volksvertreter in Geiselhaft nahmen, sind der Ausgangspunkt seines Buches. Der Autor stellt jedem der fünf Teile eine Beschreibung der einzelnen Szenen voran, die er der Fernsehübertragung abgeschaut hat - womit er gleich auch die Grenzen des Mediums Fernsehen aufzeigt: Es liefert nicht mehr als eine Bühnenbeschreibung, hinter den Vorhang schaut es nicht.

    Dies will sein Buch, dessen Struktur er - den damaligen Ereignissen in seinem Land durchaus angemessen - beim Theater ausgeliehen hat: Er hat es als Drama in fünf Akten konzipiert. Die Rolle des tragischen Helden kommt Ministerpräsident Adolfo Suárez zu, dem Architekten des Übergangsprozesses zur Demokratie. Lediglich drei Abgeordnete leisteten der Aufforderung der Putschisten, sich auf den Boden zu legen, nicht Folge: Innenminister General Gutiérrez Mellado, Kommunistenführer Santiago Carrillo und Ministerpräsident Suárez. Die Frage, warum diese drei dem Befehl nicht nachkamen, zieht sich wie ein Leitfaden durch das gesamte Buch, und Cercas nutzt ihn, um die Biografien der drei Politiker und ihre Beziehungen zueinander auszuleuchten, wobei das Hauptaugenmerk auf Suárez liegt.

    "Wer inmitten eines solchen Feuergefechts ungerührt an seinem Platz sitzen bleibt, vermittelt durchaus den Eindruck, er sehne sich nach dem Märtyrertod. Diese Art von Draufgängertum ist zu Kriegszeiten, in der gedankenlosen Hitze des Gefechts häufiger anzutreffen; nicht so jedoch in Friedenszeiten und erst recht nicht inmitten der feierlichen Langeweile einer routinemäßig verlaufenden Parlamentssitzung. Hinzuzufügen ist allerdings, dass, wenn man den Bildern Glauben schenken kann, Suárez´ Wagemut nicht vom Instinkt, sondern von der Vernunft geleitet scheint."

    Der Schriftsteller bezeichnet sein Buch als Roman, obwohl er umfangreiche Recherchen betrieben und zahlreiche Zeitzeugen interviewt hat, wozu sich die Belege im Anhang finden. Er rekonstruiert auch sehr klar den historischen Ablauf der Ereignisse. Allerdings nimmt er sich die Freiheit, auch auf Gerüchte einzugehen und das Geschehene zu interpretieren und zu werten: So wirft er etwa der gesamten politischen Klasse Verantwortungslosigkeit vor, dass sie es zu dem Putschversuch hat kommen lassen.

    Und Cercas spekuliert über all jene Fragen in Zusammenhang mit dem Umsturzversuch, die bis heute nicht lückenlos beantwortet sind, so etwa die Rolle des Geheimdienstes. Cercas' Sprache ist reich an Metaphern, gelegentlich salopp und manchmal spöttisch. Dennoch: "Anatomie eines Augenblick"s ist kein Roman, da der Autor auf Elemente der Fiktion verzichtet. Treffend ist vielmehr der Begriff des erzählenden Sachbuchs, auch wenn sein deutscher Verlag es der Belletristik zuordnet.

    Der Struktur des Dramas Rechnung tragend, führt Cercas im ersten Teil die Personen ein und beschreibt die Konflikte, die zu dem Putschversuch geführt haben:

    "Es scheint sich also Ende 1980 beziehungsweise Anfang 1981 die gesamt Welt gegen Adolfo Suárez verschworen zu haben: Journalisten, Unternehmer, Finanziers, Politiker der Rechten, des Zentrums und der Linken, Rom und Washington. Selbst einige Anführer der Kommunisten haben sich öffentlich oder unter vier Augen zugunsten einer Sammlungsregierung unter Vorsitz eines Militärs ausgesprochen. Ebenso die Anführer der wichtigsten Gewerkschaften, auch sie sprechen von Regierungskrise. Wie auch der König auf seine Weise versucht, Suárez loszuwerden und dabei die einen wie die anderen gegen ihn antreibt. Aus alldem wird der Putsch gemacht, die politischen Manöver gegen Adolfo Suárez waren der Humus diese Putsches."

    In den drei folgenden Teilen zeichnet Cercas die militärische Konspiration gegen die Demokratie nach; er beschreibt, wie Suárez´ Handlungsspielraum immer enger wird. Der Autor stellt die Rolle des Monarchen, der gemeinhin als der Retter der Demokratie gefeiert wird, durchaus ambivalent dar: Zwar bezweifelt Cercas nicht, dass die Fernsehansprache, in der König Juan Carlos den Putschisten die von diesen erhoffte Unterstützung versagt, eine neuerliche Machtübernahme durch das Militär verhindert hat. Doch Juan Carlos, so der Autor, habe diese Hoffnung auch selbst aufkeimen lassen.

    Der fünfte Teil des Buches ist der politischen und juristischen Aufarbeitung der Geschehnisse gewidmet und dem Niedergang von Adolfo Suárez, dem ein politisches Comeback versagt war.

    "Anatomie eines Augenblicks" hat Längen, da Cercas sich des Öfteren wiederholt. Auch seine Auseinandersetzung mit der ungeklärten Rolle des Geheimdienstchefs, die ihn zu weit weg führt von seinem Haupterzählstrang, der Entwicklung der Figur des tragischen Helden Adolfo Suárez, hätte kürzer ausfallen dürfen. Dennoch ist Cercas ein flüssig geschriebenes Buch gelungen, das eine kritische Gesamtschau auf einen der dramatischsten Momente in der jüngsten Geschichte Spaniens und Europas erlaubt.

    Javier Cercas: "Anatomie eines Augenblicks. Die Nacht, in der Spaniens Demokratie gerettet wurde". Aus dem Spanischen von Peter Kultzen, S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2011. 480 Seiten, 24,95 Euro