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Putsch in Niger

Jahrelang regierte Nigers Präsident Mamadou Tandja nur noch per Notstandsdekret, die Opposition sprach von einem kalten Putsch, die Nachbarländer forderten den Rücktritt Tandjas und die EU fror die Entwicklungshilfe ein. Jetzt folgte auf den kalten Putsch der militärische, am Donnerstag wurde Nigers Präsident Mamadou Tandscha gestürzt.

Von Alexander Göbel | 20.02.2010
    Gespannte Ruhe herrscht in Niamey, der Hauptstadt des Niger. Banken und Märkte sind wieder geöffnet, die Landesgrenzen auch. Ein paar Armeelastwagen mit aufmontierten Maschinengewehren stehen noch vor dem Außenministerium. Doch die Ausgangssperre ist aufgehoben, auf den Straßen sind nur wenige leicht bewaffnete Soldaten zu sehen. Fast könnte man meinen, es sei alles beim Alten. Dabei hat sich praktisch über Nacht das ganze Land verändert.

    Mit schwerer Artillerie hatte die Armee den Präsidentenpalast angegriffen und den Staatschef gestürzt. Ausgerechnet Mamadou Tandja, den 72-jährigen Ex-General, der sich selbst vor zehn Jahren blutig an die Macht geputscht hatte. Er muss nun erleben, wie die Geschichte sich gegen ihn stellt. Festgehalten wird er in einer Kaserne vor den Toren von Niamey, seine Zukunft ist ungewiss.

    Seit Donnerstagabend spielt der staatliche Rundfunk Militärmusik. Ranghohe Offiziere der Armee haben einen sogenannten "Obersten Rat für die Wiederherstellung der Demokratie" gebildet. Die Verfassung, so heißt es in einem knappen Bulletin, sei ab sofort ausgesetzt, alle Verfassungsorgane würden aufgelöst.

    Dann wendet sich Major Abdoulkarim Goukoye ans Volk, der Sprecher der Putschisten. Er mahnt zur Ruhe - den Befehlen des Obersten Rates sei unbedingt Folge zu leisten.

    "Wir wollen, dass dieses Land wieder stabil und demokratisch wird. Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, unseren patriotischen Akt zu unterstützen, um den Niger und seine Menschen vom Joch der Armut, der Lügen und der Korruption zu befreien. Wir bitten alle unsere Partner, der Armee des Niger zu vertrauen. Sie ist und bleibt der Garant für Sicherheit dieses Landes und seiner Interessen. Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, in dieser schweren Zeit, die wir gerade erleben, zählen wir auf Sie alle. Es lebe der Niger!"

    Die Militärs wollen als Retter gesehen werden. Als integre Befreier. Als letzte Instanz, die Ordnung schaffen kann in einem Land, in dem seit Monaten eine schwere politische Krise herrscht. Und wirklich: Die Menschen sind erleichtert über den Staatsstreich. Tandja sei endlich entmachtet, jubeln viele. Beobachtet hat das auch Habou Adi, Reporter beim staatlichen Rundfunk in Niamey:

    "Die Bevölkerung ist erleichtert. Überall, sogar in Tahoua, Hunderte Kilometer entfernt, gab es spontane Demonstrationen der Freude über diesen Staatsstreich."

    Mit seinem schier unersättlichen Machthunger hatte Präsident Tandja den Niger politisch völlig gelähmt. Zum Schluss regierte er nur noch mit Notstandsdekreten. Im vergangenen Jahr hatte er das Parlament und sogar das Oberste Verfassungsgericht aufgelöst, weil sie sich einer Verfassungsänderung widersetzten, die ihm eine dritte Amtszeit ermöglichte. Die Opposition sprach damals schon von einem "Staatsstreich" - wenn auch von einem "kalten".

    Auf den Straßen von Niamey verging seitdem kein Tag ohne heftige Proteste. Immer wieder hatte die internationale Gemeinschaft Tandja zum Einlenken aufgerufen. Doch der schlug alle Warnungen in den Wind. Er wollte weiter regieren, kostete es was es wolle. Dass die Europäische Union sogar ihre Entwicklungshilfe einfror, selbst das ließ ihn unbeeindruckt. Nun aber ist die Unzufriedenheit mit dem Präsidenten offenbar nicht nur bei der Bevölkerung, sondern auch in der Armee so groß geworden, dass es erneut zu einem Putsch kam. Selbst alte, Tandja ehemals treu ergebene Offiziere, sollen inzwischen ins Lager der Putschisten übergelaufen sein. Der alte Präsident habe sich verrechnet und bekomme nun die Quittung dafür, sagt ein Sprecher der Opposition, deren Mitglieder lange Jahre durch Tandjas Schergen mundtot gemacht und auch gefoltert wurden.

    "Dieser Putsch überrascht uns nicht, weil die Menschen im Niger seit Langem darauf gewartet haben. Wir hatten wirklich schon alle Hoffnung verloren - denn mann muss es sagen: Der Niger leidet an einem politischen Krebsgeschwür, das jede Entwicklung dieses Landes zunichte gemacht hat."

    Während die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS, die Afrikanische Union und die Europäer die Militäraktion scharf verurteilten, sind Nigers Oppositionspolitiker sogar vorsichtig optimistisch. Der Putsch könne ein neuer Anfang sein.

    Doch im Niger muss sich nun zeigen, ob die Militär-Putschisten halten, was sie vollmundig versprochen haben - ein Ende der politischen Krise im Niger. Oder ob die Tradition der blutigen Staatsstreiche einfach nur um einen Putsch reicher ist. Schließlich gab es seit der Unabhängigkeit von Frankreich vor 50 Jahren mehrmals Militärregime - keines davon hat je etwas Gutes hinterlassen. Allen vor Augen ist das Schreckgespenst Guinea - auch dort hatte sich die Armee an die Macht geputscht und unter der Führung von Hauptmann Moussa Dadis Camara zunächst viel Lob bekommen - für die Bekämpfung von Korruption und Drogenhandel. Doch die Wölfe in Uniform hatten eine Menge Kreide gefressen und sich als brutale Schlächter entpuppt. Im Niger gibt es nur das Ehrenwort des Junta-Sprechers, auf das die Menschen sich verlassen müssen. Aber das scheint momentan mehr wert zu sein, als von einem Präsidenten Tandja weiter regiert zu werden. Reporter Habou Adi ist zuversichtlich:

    "Ich denke, wir werden erst einmal eine Militärregierung bekommen, vielleicht mit ein paar integren Zivilisten, dann wird die Armee eine Verfassungskommission bilden und sich wieder zurückziehen. Dann werden wir freie, faire und transparente Wahlen abhalten. Zumindest hoffe ich das. Wenn das nicht geschieht, dann gerät dieses Land gerade vom Regen in die militärische Traufe."

    Die Offiziere haben angekündigt, gefangene Minister freizulassen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Aber niemand weiß, ob sie nicht doch gekommen sind, um zu bleiben, weil sie Geschmack an der Macht finden. Ob es nicht doch einen Bürgerkrieg geben könnte, wenn die Militärs eben nicht an einem Strang ziehen. Wenn die Bodenschätze des Niger, Erdöl und vor allem Uran, Begehrlichkeiten wecken - schließlich wollte ja gerade deswegen der weggeputschte Präsident Tandja länger im Amt bleiben.

    Kritiker hatten ihm immer wieder vorgeworfen, er habe sich an Urangeschäften vor allem mit dem französischen Konzern Areva nur selbst bereichern wollen. Der Niger ist der drittgrößte Uranproduzent der Welt - aber viel ist bisher von diesem Reichtum nicht bei den Menschen angekommen - das Land ist absolutes Schlusslicht im Entwicklungsindex der Vereinten Nationen. Daran wird auch der Staatsstreich vom Donnerstag nicht viel ändern.