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Putzen mit Hochschulabschluss

Berufsabschlüsse von Einwanderern werden in Deutschland oft nicht anerkannt. Das nutzte niemandem, sagt die Universität Oldenburg und bietet einen Bachelor Studiengang, in dem sich Migranten für bestimmte Berufe nachqualifizieren können.

Von Godehard Weyerer | 21.08.2010
    "Ich habe in Russland als Lehrer in der Schule gearbeitet, die gleichwertig ist mit einem Gymnasium, und auch an der Universität habe ich auch als Dozent gearbeitet."

    Irina Otchichenko spricht fließend deutsch und englisch. Natürlich auch russisch, ihre Muttersprache. Seit zwei Jahren lebt die 44-Jährige in Deutschland. Mit ihrem Mann, einem Deutschen, der in Russland gearbeitet hat, zog sie nach Oldenburg. Der 17-jährige Sohn besucht hier das Gymnasium. Für Irina war es selbstverständlich: Sie wollte wieder arbeiten. In ihrem ursprünglichen Beruf. Als Lehrerin. Doch das Kultusministerium in Hannover erkannte ihre Ausbildung nicht an.

    "Wo ich diesen Brief in der Hand gehabt habe, das war kein gutes Gefühl. Der ganze Lebensabschnitt, was soviel Mühe gemacht hat, wird dann auf null gemacht. Das heißt, du bist ein Nichts."

    Irina Otchichenko ist eine resolute Frau, die stets mit Zuversicht nach vorne schaut. Sie suchte einen Weg und fand ihn:. Die Universität in Oldenburg bietet speziell für hoch qualifizierte Zuwanderer einen Studiengang an; "Interkulturelle Bildung und Beratung".

    20 Studienplätze gibt es pro Jahr. Studieren kann, wer eine Hochschulberechtigung hat sowie zwei Semester Pädagogikstudium und zwei Jahre Berufserfahrung nachweisen kann. Zwischen den Semestern werden Praktika absolviert. Irina Otchichenko fand eine Praktikums-Stelle in der Firma ihres Mannes.

    "Dafür wurde ich auch in dieser Firma eingestellt mit der Begründung, es gibt dort sehr viele Familien mit russischem Migrationshintergrund. Da benötigt man die Sprache und die Erfahrung im Umgang mit unterschiedlichen Mentalitäten und Kulturen. Das passen wir am besten rein."


    Im Ausland ausgebildet, in Deutschland arbeitslos. Migranten und ihre in Deutschland geborenen Kinder sind doppelt so häufig auf Sozialhilfe angewiesen wie der Rest der Bevölkerung - obwohl jeder Dritte von ihnen einen Berufsabschluss aus dem Heimatland besitzt, der in Deutschland aber nichts wert ist.
    Gunilla Fincke, die Geschäftsführerin des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration, schätzt, dass 300.000 Zuwanderer in Deutschland erwerbslos sind, weil ihr akademischer Abschluss hierzulande nicht anerkannt ist.

    "Diese Leute sind heute größtenteils vom Arbeitsmarkt ferngehalten oder sie arbeiten in Ersatzkarrieren auf einem deutlich niedrigeren Qualifikationsniveau. Da geht es darum, sie anzusprechen, denn sie sind noch in den besten Arbeitsjahren. Deutschland kann sich es nicht erlauben, sie weitere 20 Jahre vom Arbeitsmarkt abzuhalten oder sie ganz niedrig qualifiziert beschäftigen."

    Die Bundesregierung will den hoch qualifizierten Migranten deshalb den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erleichtern. Ab Januar 2011 sollen alle Zuwanderer einen Anspruch auf Überprüfung und mögliche Anerkennung ihrer Abschlüsse erhalten - nicht nur wie bisher EU-Bürger und Spätaussiedler. Für Migrationsexpertin Gunilla Fincke ein längst überfälliger Schritt:
    "In der Zukunft wird es darauf ankommen, Abschlüsse schneller anzuerkennen und den Leuten schneller einen Bescheid zu geben, ob ihr Abschluss anerkannt wird, und wenn nicht, wieweit sie sich nachqualifizieren müssen."

    Das gelte besonders für die reglementierten Berufe. Lehrer zählen unter anderem dazu.

    "Reglementierte Berufe sind die Berufe, wo man eine Anerkennung des Abschlusses im Ausland benötigt, um in Deutschland überhaupt tätig werden zu dürfen - etwa Ärzte, Ingenieure, Architekten, Dolmetscher, Psychotherapeuten, also Bereiche, wo man unbedingt eine Qualitätssicherung haben möchte. Hier kann man nur tätig werden, wenn man sich den ausländischen Abschluss hat anerkennen lassen können."

    Den Bachelor-Studiengang "Interkulturelle Bildung und Beratung", wie ihn die Universität Oldenburg anbietet, hält die Migrationsexpertin für vorbildhaft. Die Erfolgsquote gibt ihr recht. Von den 24 Absolventen des letzten Jahrgangs sind 17 berufstätig, vier machen ihren Master, drei sind noch arbeitssuchend. Auch Irina Otchichenko hat Aussicht auf eine Stelle. Noch ein Semester, dann wird sie den Bachelor in "Interkulturelle Bildung und Beratung" haben. Die Firma, die ihr einen Praktikumplatz angeboten hat und in der viele Zuwanderer aus Russland arbeiten, möchte sie danach übernehmen.

    "Ich kann es auch schon verstehen, wenn ich nun etwas länger in Deutschland bin. Es gibt natürlich Unterschiede zwischen Ausbildungsbereichen und Qualifikation. Eine Anpassung oder Weiterqualifikation wäre ja noch verständlich, aber da gesagt wird, wir sind gar nicht fähig und passen hier nicht in das System rein, das ist schon ein bisschen erniedrigend, sagen wir so."