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Qualen noch einmal erlebt

Psychologie. - Die Herrschaft der Roten Khmer in Kambodscha gilt weithin als eines der schlimmsten Terrorregimes des 20. Jahrhunderts. Schätzungsweise ein Fünftel der Bevölkerung starb, Millionen weitere wurden Opfer von Zwangsarbeit, die sie zu einem Sklavendasein zwang. Psychologen aus Deutschland und den USA haben jetzt den psychischen Gesundheitszustand der Kambodschaner erfasst.

Von Kristin Raabe | 22.10.2009
    Die Opfer der Roten Khmer zu finden, war nicht schwer. In jedem Dorf, dass die deutsche Psychologin Nadine Stammel mit ihren kambodschanischen Kollegen besuchte, fand sich schnell jemand, der bereit war zu erzählen, was ihm geschehen war. Von Folter und Zwangsarbeit handelten viele der Gespräche, aber auch von den Problemen, die viele immer noch im Alltag haben.

    "Ganz häufig bei so schwer traumatisierten Menschen ist, dass die auf der einen Seite das vergessen möchten, am liebsten hätten sie das aus ihrem Kopf herausgeschnitten und würden da nie mehr drüber nachdenken müssen. Auf der anderen Seite haben sie schon den Drang das anderen mitzuteilen."

    Zurück an ihrem Arbeitsplatz im Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer ist Nadine Stammel nun dabei ihre Befragung auszuwerten.

    "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass über 30 Prozent Hinweise auf das Vorliegen einer Depression haben und 40 Prozent zeigen Hinweise auf eine Angststörung. Also die sind sehr, sehr hoch belastet, die Menschen, und einfach unzureichend versorgt."

    Amerikanische Kollegen der deutschen Psychologin haben festgestellt, dass 14 Prozent der älteren Bevölkerung unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. Häufig sind so schwer traumatisierte Menschen nicht mehr arbeitsfähig. Außerdem belastet ihr psychischer Gesundheitszustand die Familien. Häusliche Gewalt kommt in Kambodscha häufig vor. Eine fachkundige Betreuung durch Psychologen und Ärzte gibt es kaum. Meist sind buddhistische Mönche die einzigen, die sich um die psychisch Kranken kümmern. Wie sich das Rote Khmer Tribunal auf den Gesundheitszustand der ehemaligen Opfer auswirken wird, war ebenfalls Thema der amerikanischen Studie:

    "88 Prozent glauben eben, dass durch das Tribunal auch die schmerzhaften Erinnerungen wieder hervorgerufen werden können. Und trotzdem begrüßen eben die meisten das Tribunal. Das ist, denke ich eine ganz wichtige Aussage von der Studie, und der Kollege konnte auch rausfinden, dass die, die besser über das Tribunal aufgeklärt waren, dass die auch mehr belastet waren, aber ich denke, das liegt einfach daran, dass die die sich für so ein Tribunal interessieren und sich auch bemühen darüber Informationen zu bekommen, dass die auch stärker betroffen sind von dem Regime."

    Manche Experten zweifeln an, ob solche Gerichtsverfahren, für die ehemaligen Opfer tatsächlich hilfreich sind. Schließlich werden sie dadurch gezwungen ihre alten Qualen noch einmal zu durchleben und das kann die Traumatisierung verstärken. Nadine Stammel glaubt aber, dass nichts so schädlich ist, wie das Verschweigen und Leugnen der Gräueltaten. In ihrer eigenen Untersuchung konnte sie feststellen, dass die meisten Kambodschaner allerdings nicht sehr viel über das laufende Tribunal wussten. Das mag auch an der schlechten Infrastruktur liegen, die es den Menschen in vielen Dörfern kaum erlaubt, Radio zu hören oder auch nur Zeitung zu lesen. Wer aber über mehr Bildung verfügte, war außerdem eher zu einer Versöhnung mit den ehemaligen Tätern bereit und hatte weniger psychische Probleme.

    "Was wir auch festgestellt haben, ungefähr 20 Prozent in unserer Stichprobe waren Opfer, die sich als zivile Nebenkläger am Tribunal beworben haben. Da haben wir eben gemerkt, das sind wirklich die Leute, die von der Anzahl her schlimmere traumatische Erlebnisse erlebt haben und die auch stärker an den Folgeerkrankungen erkrankt waren und die auch mehr Rache und Hassgefühle haben gegenüber den Tätern. Also das könnte ein möglicher Grund sein, warum Menschen sich entscheiden an so einem Tribunal teilzunehmen."

    Andere Studien haben gezeigt, dass es enorm wichtig ist, wie die schwer traumatisierten Zeugen befragt werden.

    "Wenn die vor Gericht stehen und sie werden in so ein Kreuzverhör genommen und das wird angezweifelt, was sie dort aussagen, das ist für Traumatisierte wirklich ganz schwer zu verkraften. Hier müssen also die, die wirklich vor Gericht stehen, vorab genau aufgeklärt werden, und sie müssen auch ganz intensiv auch vor Gericht betreut werden. Das ist wirklich ganz wichtig."