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Qualitätsdebatte

Während Verlagshäuser Redaktionen eindampfen, predigen die dafür verantwortlichen Kürzungsmanager wie WAZ-Chef Bodo Hombach eine "Moral der Medien". Während die Landesmedienanstalten beim privaten Rundfunk kaum journalistische Ansprüche durchsetzen, wollen sie diese noch belohnen mit einem Qualitätsförderbonus aus den Gebührengeldern.

Von David Goeßmann | 24.10.2009
    Was sich hinter der Qualitätsrhetorik vollziehe, sei eine Art Aushöhlung des Journalismus', sagt Volker Lilienthal, Journalist und Medienwissenschaftler. Er beklagt das schwindende Interesse an Komplexität im Journalismus. Und hält dagegen: Mehr Recherche, mehr Verständniskompetenz und Kritik.

    "Wir verlassen uns als Journalisten viel zu häufig auf Aussagen von Politikern und anderen bestellten Akteuren in Pressekonferenzen zum Beispiel. Wir verzichten auf den Augenschein im Journalismus. Wir waren nicht selbst vor Ort und sind oftmals zu gutgläubig. Also diese unterentwickelte Quellenkritik führt oftmals zu journalistischen Fehlleistungen. Und da betrügen wir im Grunde auch unser Publikum, weil wir ihm nicht das ganze Bild bieten."

    Doch worin bestehen die journalistischen Fehlleistungen? Sind es kleinere Versäumnisse, ein bisschen weniger Tiefenschärfe? Für Albrecht Müller, Gründer des Internet-Portals nachdenkseiten.de., geht der Qualitätsverlust tiefer. So wirft er in seinem jüngsten Bestseller "Meinungsmache" den Journalisten unter anderem vor, die neoliberale Argumentation von Politik und Wirtschaft schlicht übernommen zu haben. Statt volkswirtschaftliche Hintergründe zu liefern sei man unkritisch dem politischen Schlachtruf von Privatisierung und Deregulierung gefolgt.

    Auch bei den Kriegseinsätzen der Bundeswehr hätten die Mainstreammedien versagt, sagt Stefan Krempl. Der Journalist hat in seinem Buch "Medien, Krieg, Internet" exemplarisch die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung und der New York Times im Bezug auf den Kosovokrieg untersucht und mit Webblogs und Mailinglisten verglichen.

    "Dabei ist herausgekommen, dass beide Zeitungen sehr stark die offizielle Propaganda von der Nato als auch die Propaganda von den Regierungen sehr stark übernommen haben und in den meisten Fragen nicht hinterfragt wurden. Bei dem Racak-Beispiel wird es natürlich am deutlichsten. Weil in den klassischen Medien wurde sehr schnell die Regierungsdeutung übernommen, die ja bis hin zu Konzentrationslager und Holocaust ging. In den Webblogs wurde hingegen deutlicher herausgearbeitet, dass die Provokationen auch in diesem Fall von beiden Seiten ausgingen, dass Angriffe vorausgingen, die durchaus von Seiten der UCK waren, nicht nur die Serben allein."

    Journalisten sollten, so Lilienthal, Hintergründe liefern, Zusammenhänge erklären und politisches Interesse wecken. Das seien sie ihren Lesern, Zuhörern und Zuschauern schlicht schuldig.

    "Wir haben so einen Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis. Die Medien haben ihr Publikum lange Zeit unterschätzt. Haben dem Publikum nicht mehr das Bessere angeboten. Und dann gewöhnt sich ein Publikum auch daran, erwartet von der Tageszeitung, der Lokalzeitung nicht mehr den kritischen, investigativen Enthüllungsbericht. Wenn ich das nicht gewöhnlicherweise geliefert bekomme, erwarte ich es nicht von der Zeitung. Und insofern hat sich das Qualitätsbewusstsein des Publikums, seine Erwartungen leider etwas zurückentwickelt. Das heißt aber nicht, dass wir das nicht revitalisieren können."

    Im Internet geschehe diese Wiederbelebung in kleinen Kreisen bereits, ist heise-online Autor Krempl überzeugt. Blogs, kritische Nachrichtenseiten und Informationen von diversen Organisationen im Netz korrigierten die Meinungsmacht der Mainstreammedien, lieferten andere Perspektiven. Auch alternative Medien, so Lilienthal, hätten eine wichtige Impulsfunktion.

    ""Die notwendigen Neuigkeiten, die diese alternativen Medien aufbringen, müssen im Grunde von Mainstreammedien aufgegriffen und auch von ihnen thematisiert werden, bevor sozusagen ein solcher Wahrnehmungsdruck entsteht, dass eine Gesellschaft oder eine Politik quasi dazu gezwungen wird, sich mit den Problemen, die da aufgebracht wurden, wirklich zu befassen.”"

    Guter Journalismus hat seinen Preis. Für Lilienthal steht daher fest, dass auch über neue Finanzierungsformen nachgedacht werden müsse. Da sei eine Kulturflatrate im Internet ebenso vorstellbar wie spendenfinanzierte Modelle, ja sogar ein öffentlich-rechtlicher Fonds zur Stützung von Qualitätsjournalismus.