Freitag, 19. April 2024

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Qualitätssicherung im OP
Wenn der Chirurg die Contenance verliert

Wenn sich in den USA Patienten oder Klinikmitarbeiter schlecht behandelt fühlen, können sie das melden. Die Beschwerde landet bei der Klinikleitung. In Deutschland setzt man auf Kommunikation, sagte Markus Büchler im Dlf. Er ist Ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum Heidelberg.

Markus Büchler im Gespräch mit Christian Floto | 16.07.2019
Prof. Dr. Markus Scheibel bei einer OP in der Charité.
Forscher in den USA haben sich Leistungen von Chirurgen genauer angeschaut, die wegen Wutausbrüchen oder Fehlverhalten im OP aufgefallen sind. (picture alliance / Rolf Kremming)
Christian Floto: Forscher von der Vanderbilt Universität in Nashville/Tennessee haben sich die Leistungen von Chirurgen genauer angeschaut, über die sich Kollegen mehrfach beschwert haben: wegen so genannten "unprofessionellen Verhaltens". Unprofessionelles Verhalten heißt: Die Chirurgen haben im OP Kollegen angeschnauzt, die Contenance verloren, cholerische Wutausbrüche bekommen.
Das Ergebnis der Studie: Patienten von Chirurgen, die am Operationstisch schnell aus der Haut fahren, haben ein messbar höheres Risiko, dass es nach einem Eingriff zu Komplikationen kommt. Sind Choleriker die schlechteren Chirurgen? Darüber wollen mit einem großen deutschen Chirurgen sprechen: Mit Prof. Markus Büchler. Er ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Heidelberg. Cholerische Ausbrüche - ein Risikofaktor für Komplikationen. Hat Sie der Befund im Fachblatt "Journal of American Medicial Association" - JAMA abgekürzt - überrascht?
Markus Büchler: Nun, überrascht hat mich das schon, aber wenn man das weiter durchdenkt, ist es nicht überraschend.
Umfrage unter 13.000 Patienten
Floto: Wie erklären Sie sich den Befund, zu dem die da gekommen sind?
Büchler: Nun, man hat sehr sorgfältig analysiert über wen sich beschwert wurde über Jahre bei 13.000 Patienten. Und dann kommt der Zusammenhang raus, dass die Chirurgen, die sich nicht im Griff haben, dass die häufiger Komplikationen haben. Erklären kann man das auf zwei Arten: Zum einen, das die jungen Chirurgen, die noch am Lernen sind - sagen wir mal, die ersten zehn Jahre - dass die natürlich wesentlich mehr aufgeregt sind und deswegen auch mal die Contenance verlieren. Dort wäre ich großzügig im Sinne von: Das kann man lernen und dann wird man ruhiger. Schwieriger wird es bei den erfahrenen Chirurgen. Wenn die die Contenance verlieren, dann ist das sicherlich sehr hinderlich.
Floto: Das ist dann ja möglicherweise auch ein negatives Vorbild für die, die noch jung, lern- und noch am Tisch mit stehen dann.
Büchler: Ganz negatives Vorbild für die Jungen, wenn jemand die Contenance verliert, wenn jemand rumbrüllt, wenn jemand die Pflegenden respektlos behandelt. Das macht ein ganz schlechtes Bild, aber nicht nur in den USA, aber auch in unserem Land haben wir dort Möglichkeiten, einzugreifen.
Gespräch mit der leitenden Operationsschwester
Floto: Gibt es denn auch so ein Meldesystem wie in den USA oder eine ähnliche Möglichkeit?
Büchler: Wir haben kein Meldesystem flächendeckend wie in den USA. Ich halte das auch für zu weit gegangen, wenn nach jeder Operation eine Meldung erstattet wird, ob der Chirurg oder die Chirurgin sich anständig verhalten hat. Das erinnert mich ein bisschen an Zeiten, an die wir uns nicht mehr erinnern wollen. Aber, sagen wir mal, wenn schlimme Dinge vorkommen, muss das bearbeitet werden, und da gibt es andere Möglichkeiten.
Floto: Plaudern Sie doch einfach mal ein bisschen aus dem Nähkästchen. Wie ist es bei Ihnen, wenn Sie Kollegen, die sich vielleicht nicht ganz adäquat im OP verhalten würden, wie integrieren Sie die wieder ins Team, was machen Sie selbst als Chef?
Büchler: Also erst einmal muss natürlich die Meldung zu mir kommen. Die kommt aber am gleichen Tag, wenn so etwas passiert, wenn ein Chirurg überfordert war und sich nicht mehr anständig benommen hat, kommt die Meldung über die leitenden Operationsschwester zu mir, und dann besprechen wir das erst einmal auf dieser Ebene. Und wann dann der Vorfall wirklich gravierend war, dann spreche ich am nächsten Tag mit der betroffenen Chirurgin oder mit dem betroffenen Chirurgen im Sinne von 'Das sollten Sie nicht mehr machen - das ist hinderlich'. Und dann ist das in der Regel erledigt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.