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Qualitätssicherung in der Forschung
Wiederholung in der Wissenschaft als Sicherheitscheck

Zwei von drei Studienergebnissen in der Psychologie sind nicht zuverlässig. In anderen Disziplinen sieht es nicht besser aus: Forschungsergebnisse lassen sich häufig bei wiederholten Messungen nicht bestätigen. Doch ohne Reproduktion funktioniert wissenschaftliches Arbeiten nicht.

Von Anneke Meyer | 20.01.2019
    Eine A-Probe und B-Probe beim Dopingtest.
    Wiederholung von Messungen ist Bestandteil wissenschaftlichen Arbeitens, nicht nur beim Dopingtest (imago / blickwinkel )
    Universität Frankfurt, Abteilung für Molekulare Mikrobiologie und Bioenergetik. Die Flure sind lang, die Räume vollgestopft mit sonderbaren Geräten, man trägt Kittel.
    "Da können wir die Kultur jetzt erstmal rausholen."
    Doktorandin Lisa Hitschler öffnet einen Wärmeschrank und nimmt eine kleine Flasche heraus, in der eine leicht trübe Flüssigkeit schwappt. Eine Bakterienkultur.
    "Also die sind hier in den kleinen Serumflaschen, die haben eine Gasatmosphäre drin. In dem Fall ist das jetzt CO, Kohlenmonoxid."
    Seit Wochen arbeitet Lisa Hitschler schon daran, das Bakterium Thermoanaerobacter kivuii dazu zu bringen, auf 100 Prozent Kohlenmonoxid, also reinem Gift, zu wachsen. Ob das Experiment gelungen ist, kann eine einfache Messung zeigen.
    "Was wir jetzt machen, ist OD messen, also optische Dichte wird gemessen, um das Wachstum zu verfolgen."
    Je weniger lichtdurchlässig die Flüssigkeit ist, desto mehr Bakterien enthält sie. Die Biologin zieht mit einer Spritze eine Probe auf und überführt die trübe Flüssigkeit in ein kleines Gefäß. In einem Photometer misst sie die Lichtdurchlässigkeit.
    "Die liegt zur Zeit bei 0,220 nach ungefähr 27 Stunden. Bei null Stunden, also als ich sie angeimpft habe, hatte sie eine OD von 0,02. Das heißt also jetzt um einen Faktor von zehn ist sie jetzt mittlerweile angestiegen."
    Wiederholung als Sicherheitscheck
    Sie blickt zufrieden und kein bisschen überrascht. Im Gegenteil: Sie weiß jetzt schon, wie stark die Bakterien bis morgen gewachsen sein werden. Ihre ehemalige Kollegin Marie Weghoff hat bereits vor zwei Jahren veröffentlicht, wie man Thermoanaerobacter kivuii dazu bringen kann, von Kohlenmonoxid zu leben. Lisa Hitschler kocht dieses Experiment gerade einfach nach. Zeitverschwendung? Auf keinen Fall, meint Mirko Basen, der Lisa Hitschlers Arbeit betreut.
    "Ich habe das Projekt aufgegriffen und wir versuchen jetzt zu verstehen, wie da der Stoffwechselweg funktioniert. Und dazu machen wir Studien im Labor, dass wir die Experimente jetzt in dem Fall von der Frau Weghoff wiederholen und wir wollen dann herausfinden, ob sich zum Beispiel im Genom Dinge verändert haben. Also ob da Mutationen entstanden sind, die möglicherweise dazu geführt haben, dass das Bakterium jetzt auf Kohlenmonoxid wachsen kann."
    Die Reproduktion eines alten Experimentes ist der erste Schritt zur Beantwortung einer neuen Frage. Dieser Grundsatz gilt in der Biologie genau so wie in der Psychologie oder Physik. Wiederholung spielt aber auch darüber hinaus eine wichtige Rolle.
    "Wir reproduzieren im Labor auch sehr häufig unsere eigenen Daten wieder."
    Lisa Hitschler macht sich daran, eine neue Kulturflasche vorzubereiten. Die Bakterien sollen ihre Wachstumsfähigkeit noch ein weiteres Mal unter Beweis stellen. Eine Art Sicherheitscheck.
    "Wenn wir dann zu signifikanten Abweichungen kommen, dann würden wir das wiederholen und noch mal wiederholen, um zu gucken, haben wir da einfach einen individuellen Fehler gemacht - war das Medium vielleicht nicht gut vorbereitet oder der Stamm nicht gut vorbereitet und wenn wir aber immer wieder eine Abweichung finden würden, dann würden wir anfangen zu untersuchen, warum ist diese Abweichung da."
    Zufall oder Gesetzmäßigkeit?
    Mehrfache Wiederholungen eines Experimentes sollen sicherstellen, dass die Ergebnisse nicht einmalige Zufallsprodukte sind. Schließlich geht es darum allgemein gültiges, belastbares Wissen zu schaffen. Zwischen Zufall und Gesetzmäßigkeit zu unterscheiden ist aber oft schwieriger als man denkt. Bei einer Umfrage des Fachjournals Nature im Jahr 2016 gaben 50 Prozent der befragten Wissenschaftler an, eines ihrer eigenen Ergebnisse nicht reproduzieren zu können. Die Wiederholung der Experimente von Kollegen hatte sogar 70 Prozent der befragten mindestens einmal Probleme bereitet.
    "Tatsächlich habe ich in einem anderen Labor auch versucht, auch ein Protokoll zur genetischen Veränderung eines Mikroorganismus exakt zu wiederholen, und es ist mir einfach nie so gut gelungen, wie es der Arbeitsgruppe gelungen ist, die das ursprünglich entwickelt hat. Die haben halt eigene Handgriffe und Kniffe, die man so nicht sehen kann, wo die Gruppe dann gar nicht daran gedacht hat, dass das vielleicht wichtig sein könnte."
    Lisa Hitschler versorgt ihre Bakterien fertig und ergänzt dann die Messwerte des Tages in ihrem Laborbuch.
    Also man sieht hier - die Werte, die ich genommen habe, die decken sich mit den von Frau Weghoff zu den entsprechenden Probezeitpunkten. Beispielsweise bei 30 Stunden hat sie einen Wert von 0,08 und ich habe einen Wert von 0,09. Also es passt von den Werten her. Wir konnten die Experimente reproduzieren.
    Für die Doktorandin fängt die eigentliche Arbeit damit erst an. Reproduktion mag ein wichtiger Teil wissenschaftlichen Arbeitens sein. Langfristig zählt, was man neu rausgefunden hat. Ergebnisse, die in einem Fachmagazin veröffentlicht werden können. Die Bestätigung eines zugrundeliegenden Experimentes gehört nicht dazu.