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Quereinstieg
Sportartenwechsel beim Rudern

Klassisch funktioniert es im Sport so: Früh einsteigen, früh trainieren, Erfolg. Dass es anders geht, haben Briten und Australier gezeigt. Zahlreiche Medaillen für Sportler, die lange in einer anderen Sportart trainiert haben – und dann irgendwann umgestiegen sind. Der Deutsche Ruderverband testet das Konzept.

Von Bastian Brandau | 03.10.2016
    Quereinsteigerin im Ruderboot: Anna weiße (links)
    Quereinsteigerin im Ruderboot: Anna weiße (links) (Bastian Brandau)
    Beinpresse, Strecksprünge, Stabilisierungsübungen im Kraftraum. Die Leipziger Ruderin Anna Weiße ist verletzt, Sehnenscheidenentzündung. Statt im Ruderboot Kilometer zu sammeln, heißt es für einige Tage: Laufen, Schwimmen und Krafttraining – alles ohne Armeinsatz. Trainer Thomas Kleinfeldt ist auch im Kraftraum dabei, zeigt Videos von einer Einheit auf dem Wasser: "Hier haben wir also mal die Anna in Aktion, natürlich bei spiegelglattem Wasser und Sonnenschein. Das ist das, was wir schon nach einem halben, dreiviertel Jahr mit erlernen, Wasser frei und sauber fahren. Also wir sind jetzt im Übergang von der Feinform zur variablen Verfügbarkeit."
    Soll heißen: Anna Weiße, die 10 bis 14 mal pro Woche trainiert, hat in der Rudertechnik noch Luft nach oben. Mit dem Rudern hat sie 2015 angefangen. In ihrer Jugend war sie Leistungssportlerin, aber im Schwimmen. Da verließ sie irgendwann die Motivation. Studium, eine neue Stadt, es ist dies ein Lebensabschnitt, an dem viele Leistungssport-Karrieren enden. In der Uni sah Weiße den Aushang, mit dem der Sächsische Ruderverband Quereinsteiger sucht. Da war sie 21. Sie sagt: "Ich dachte, so ein Talent-Transfer gibt es ja, funktioniert auch, hatten wir auch in dem Semester davor in der Uni und da dachte ich mir, meldest du dich. Ich wollte schon immer mal was erreichen, habe zwar auch im Schwimmen was erreicht, aber meine Mama war im Nationalteam der DDR und da hat man dann schon den Maßstab, da müsstest du eigentlich fast gleichziehen und dann dachte ich: Kannst es ja mal probieren."
    Motivation, sportliche Vorerfahrung und körperliche Voraussetzungen müssen stimmen, um sich im Alter von etwa 16 bis 22 Jahren auf den Leistungssport in einer anderen Sportart einzulassen, sagt Trainer Thomas Kleinfeldt. Rudern biete ideale Voraussetzungen dafür. Für die technisch anspruchsvolle Sportart profitieren Umsteiger von Bewegungs-Erfahrungen aus anderen Sportarten. Der zyklische Wiederholungsablauf schließlich lässt sich durch intensives Training schnell verbessern. Kleinfeldt sagt: "Wir haben aktuell in Deutschland zwei Nationalmannschaftsruderinnen, die als Quereinsteigerinnen mit 17 oder 18 zum Rudern gekommen sind. Und es gibt andere Länder, wo dieses Konzept intensivst betrieben wird, die Briten natürlich 2012 mit ihrem Heimolympia, wo ein Viertel der Medaillen Quereinsteiger geholt haben, auch beim Rudern."
    Entwicklung als Förderungsgrund
    Einen Erfolg, den die Briten gerade in Rio mit ihrem zweiten Platz im Medaillenspiegel ausgebaut haben. Auch die Australier haben gute Erfahrungen gemacht, nicht nur im Rudern, auch aufs Rennrad oder als Läufer ist ein Spätumstieg möglich. In Australien wie in Großbritannien gibt es eine zentrale Einrichtung, die Talent-Transfers plant und steuert. Obwohl es auch in der DDR ein Talent-Transfer-Programm gegeben hat, ist das Programm in Deutschland kaum verbreitet. Der DOSB fördert zwar Projekte wie Row 4 Tokyo in Leipzig, insgesamt aber erlebt Kleinfeldt viele strukturelle Vorbehalte. Er sagt: "Es müsste also auch vom DOSB ein Umdenken geben, dass man sagt, es wird dann auch die Trainerstelle vom Trainer im Schwimmen oder in der Leichtathletik weitergeführt wenn er den Sportler einer anderen Sportart gegeben hat und derjenige dann erfolgreich ist, weil er einfach gesagt hat, bei mir in der Sportart wird er nichts, er kann in eine andern Sportart und dann da natürlich auch Erfolg haben. So müsste dann die Förderung auch aussehen. Das heißt, es müsste also nicht die Förderung allein auf die Kaderstellen geben, sondern auch wie der Sportler sich dann entwickelt, das wäre natürlich das Ziel."
    Für Sportler bedeutet ein Wechsel erst einmal den Wegfall der Kaderförderung. In Leipzig steht Trainer Thomas Kleinfeldt ein Drittel seiner Stelle für das Talent-Transfer-Programm zur Verfügung. Neben Anna Weiße lässt sich derzeit eine 19-jährige Radsportlerin zur Ruderin umschulen. Ein 17-Jähriger ehemaliger Fußballer rudern inzwischen regulär bei den Junioren mit. Trainer Thomas Kleinfeldt sucht nach wie vor insbesondere Frauen, die sich auf das Rudern einlassen. Eine Sportart, in der es bei den Spielen in Rio immer noch mehr Startplätz für Männer gibt. Nach den Vorstellungen zur Gleichberechtigung des IOC soll sich das bis Tokio 2020 ändern. Bis dahin will Anna Weiße es in die nationale Spitze geschafft haben und für Deutschland im Ruderboot an den Start gehen.