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Quo vadis papa?

Sind wir noch Papst? Fünf Jahre nach der Wahl Razingers zum Papst sagen 73 Prozent der an einer "Spiegel"-Umfrage beteiligten Deutschen: Nein, Benedikt XVI. geht nicht angemessen mit den Missbrauchsfällen um. Und die Kirchenaustritte häufen sich.

Von Wolfgang Meyer | 19.04.2010
    In Dortmund: 312 Austritte – allein im ersten Quartal des Jahres, das waren 30 Prozent mehr als in den Monaten davor, aus anderen Städten kommen die Meldungen, die Zahl habe sich verdoppelt, verdreifacht, vervierfacht. Das Erzbistum Bamberg musste allein im März eintausend Katholiken und Katholikinnen aus der Kartei löschen.

    Sind wir noch Papst? In Deutschland drängt sich diese Frage auf nach fünf Jahren Pontifikat. Und sie fand sogar schon den Weg in eine Predigt des Kölner Erzbischofs Joachim Meisner:

    "Wie konnte es dazu kommen, dass man die euphorische Formel einer Zeitung nach der Papstwahl – Wir sind Papst – umdefiniert hat in 'Wir waren Papst?'"

    Sind wir noch Papst? Viele deutsche Katholiken und Katholikinnen scheinen sich abzuwenden, keine Austrittswelle, ein Tsunami! Die Menschen kehren ihrer einstigen Kirche den Rücken zu. Und damit auch diesem Papst. Das mag sich wieder einpendeln, und was sind schon fünf Jahre in der zweitausendjährigen Kirchengeschichte - aber im Moment – nach diesen letzten fünf Jahren – steht eben der seitdem amtierende Benedikt XVI. vor einem Scherbenhaufen: Er muss, so haben es manche vielleicht etwas übertrieben formuliert, mit der wohl schwersten Krise seit der Reformation zurechtkommen. Hat er die Mittel dazu? Ist er der richtige Krisenmanager?

    "Papst Benedikt der Sechzehnte hat sich in einem Brief an die Katholiken in Irland bei den Opfern sexuellen Missbrauchs entschuldigt....Der Vatikan sieht keinerlei Verantwortung des Papstes für Missbrauchsfälle im Erzbistum München....Im Zusammenhang mit der Debatte über sexuellen Missbrauch...Der Papst habe tief bestürzt und betroffen reagiert...Der Papst geriet zuletzt immer stärker unter Druck...."

    Deutschland im Frühjahr 2010. In den katholischen Bistümern kommen nach und nach Hunderte von Missbrauchsfällen ans Licht, meist längst verjährt und von den kirchlichen Verantwortlichen verheimlicht.

    Missbrauch. Der bessere Begriff: sexualisierte Gewalt. Schon zuvor haben solche Skandale auch in anderen Ländern wie Irland, Österreich oder in den Vereinigten Staaten die katholische Kirche erschüttert.

    "Wir schämen uns zutiefst und werden alles Erdenkliche tun, damit so etwas sich nicht wiederholt. Wir werden Pädophile absolut vom heiligen Priesteramt ausschließen. Es ist absolut inkompatibel. Und wer wirklich der Pädophilie schuldig ist, kann nicht Priester sein!"

    Solche Aussagen können Linderung verschaffen, auf der anderen Seite muss es den Opfern des Missbrauchs als blanker Hohn erscheinen, wenn der Heilige Vater deren Aussagen und die Berichte der Medien - wie gerade erst in Rom geschehen - als "unbedeutendes Geschwätz" verurteilt. Und es ist eben so wenig hilfreich und wirft neue Gräben auf, wenn der Vatikan offiziell verlautbaren lässt, dass es nur eine Ursache für die Missbrauchsabgründe geben könne: die Homosexualität.

    Von Krisenmanagement, von klugem Umgang mit Problemen kann – dieser Verdacht drängt sich auf – keine Rede sein, und es ist schon deshalb nicht auszuschließen, dass diese Missbrauchsfälle für immer mit dem Pontifikat Benedikts des XVI. verbunden bleiben werden?

    "Das ist natürlich eine schlimme Sache, und das kostet der katholischen Kirche große Glaubwürdigkeit,"

    beteuert Kurien-Kardinal Walter Kasper in diesem Frühjahr.

    "Das ist aber keine Sache, die man jetzt dem Papst zuschieben kann."

    "Es muss dringend gehandelt werden um diese Faktoren anzugehen."

    schreibt Benedikt XVI. selbst in seinem jüngsten Hirtenbrief an die irischen Bischöfe....

    "Die so tragische Konsequenzen in den Leben von Opfern und ihrer Familien hatten und die das Licht des Evangeliums in einer solchen Weise verdunkelt haben, wie es noch nicht einmal Jahrhunderten der Verfolgung gelungen ist."

    Sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Das ist kein Kirchenthema und kein Kirchenproblem – aber das jahrzehntelange Schweigen – es hat die Kirche als moralische Instanz in Frage gestellt. Der Image-Schaden ist nicht zu ermessen. Welche Verantwortung trägt Benedikt XVI.? Wieviel Kenntnis hatte er von den Vorgängen? Die Mauern des Vatikans sind hermetisch. Professor Hans Küng jedoch, ehemaliger Wegbegleiter des jungen Josef Ratzinger, weist in einem noch druckfrischen offenen Brief an die Bischöfe auf ein Schreiben vom Mai 2001 hin. Ein Schreiben des Präfekten der Glaubenskongregation, eben Josef Ratzingers, in dem er die in den Bistümern bekannt werdenden Missbrauchsfälle unter das Secretum Pontificium gestellt haben soll, unter strengste Geheimhaltung.

    "Annuncio vobis gaudium magnum:… "

    Schon kurz nach seiner Ernennung war Benedikt XVI. immer wieder gezwungen, als Krisenmanager aufzutreten.

    "Habemus Papam..."

    Dabei hatte alles so wunderbar begonnen.

    "Eminentissimum Dominum Josephum..."

    Rom, 19. April 2005. Heute vor fünf Jahren.

    "Sancti romanum ecclesiae Kardinalem Ratzinger."

    Wir sind Papst. Die Titelzeile für die Medien- und für die Kirchengeschichte.

    16. April 1927. Ein Karsamstag. Joseph Aloysius Ratzinger kommt in Marktl am Inn, Oberbayern, zu Welt. Er ist der erste Täufling des neu geweihten Weihwassers in der Osternacht. Ein besonderes Zeichen des Segens.

    Der Erwählte selbst vergleicht damals die Berufung auf den Stuhl Petri mit einer Hinrichtung – auch dies einzigartig in der Kirchengeschichte.

    "Als langsam der Gang der Abstimmungen mich erkennen ließ, dass sozusagen das Fallbeil auf mich herabfallen würde, war mir ganz schwindlig zumute. Ich hatte nämlich geglaubt, mein Lebenswerk getan zu haben und jetzt auf einen ruhigen Ausklang meiner Tage hoffen zu dürfen. Deswegen habe ich mit tiefer Überzeugung zum Herrn gesagt: Tu mir das nicht an! – In dieser Situation, wo der Herr mir offenbar nicht zuhörte."

    Aus dem in Rom so genannten "Panzerkardinal" wird ein scherzender Benedikt XVI. - Nach dem Ordensgründer Benedikt von Nursia hat er diesen Namen angenommen.

    "Brüder und Schwestern, nach dem großen Papst Johannes Paul II. haben die Herren Kardinäle mich gewählt, einen einfachen, bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn, mich tröstet die Tatsache, dass der Herr auch mit ungenügenden Werkzeugen zu arbeiten und zu wirken weiß."

    Was erwarteten nun die Kardinäle und Gläubigen in der Welt von diesem bescheidenen Arbeiter im Weinberg?

    Vermutlich das, was er selbst vor der Wahl versprochen hatte. Gut 24 Stunden vor dem großen Ereignis hatte Ratzinger eine programmatische Rede gehalten...

    "Wie viele Glaubensmeinungen haben wir in diesen letzten Jahrzehnten kennengelernt, wie viele ideologische Strömungen, wie viele Denkweisen..."

    Ratzinger sprach auch über die – wie er es nannte - "Diktatur des Relativismus."

    "Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene ich und seine Gelüste gelten lässt."

    Die Diktatur des Relativismus. Nur eine Handvoll Kritiker fragte später, was er damit wohl gemeint haben könnte. Und was dieser Diktatur gegenüberstehen würde? Ob sich Ratzinger womöglich wünscht, die Welt neu in ein altes katholisches Wertekorsett zu zwängen? Und ob das dann wohl weniger diktatorisch wäre?

    Ratzinger hatte darüber hinaus vor seiner Wahl ein beängstigendes Bild von einem Schifflein im Sturm gezeichnet: die Wogen des Unglaubens schlügen ins Boot, es brauche einen Steuermann, der mit ruhiger Hand und unerschütterlichem Vertrauen auf Christus das Schiff der römischen Kirche lenke, verlässlich Kurs halte und den Bootsinsassen die Angst nehme.

    "Es war ganz bestimmt die Rede, die seine Wähler hören wollten."

    Eine Trattoria in Rom. Marco Politi ist Journalist, langjähriger Vatikanexperte, oder, wie es in Rom heißt: ein Vatikanista. Das sind jene Menschen, die es zuweilen schaffen, die ansonsten hermetischen Mauern des Vatikan zu durchdringen.

    "Also, Ratzinger selbst hat sich nicht um seine Wahl gekümmert, aber ganz bestimmt eine Gruppe von Kräften und da war Opus Dei, Konservative, aber auch Gemäßigte (...) dachten, dass Ratzinger ein hohes intellektuelle und geistliches Niveau hatte."

    Und dass er eben in der Lage sei, als neuer Steuermann das schwankende Schiff aus dem Sturm herauszulotsen. Den rechten alten Kurs habe Ratzingers Vorgänger verlassen, Johannes Paul II. So jedenfalls hätten es manche der Kardinäle im Konklave empfunden.

    "Vor allem mit dem Bußbekenntnis für die Fehler und die Sünden der Kirche im Jahr 2000, aber auch mit den großen Meetings mit den religiösen Leadern in Assisi, wo man zusammen betete, (...) Deswegen wollte damals die Mehrheit der Kardinäle im Konklave, sagen wir so, eine Schnaufpause."

    Eine Verschnaufpause auf dem Weg in die Modernisierung der Kirche, in die Öffnung anderen Religionen gegenüber? Möglich, dass die Kardinäle sich das wünschten, aber woran hatte sich Begeisterung der Massen entzündet?

    "(..) inhaltlich in seinen Positionen (...) hatte sich nie was verändert..."

    Professor Hermann Häring aus Tübingen. Ein ehemaliger Schüler und guter Kenner Ratzingers.

    "Mich hat damals sehr gewundert, in den Tagen der Papstwahl, wie viele auch Kollegen, auch Bischöfe plötzlich wunderbar redeten und glücklich redeten."

    Am Anfang ahnt noch niemand, dass ihn die Süddeutsche Zeitung schon bald wieder den "Großinquisitor aus Marktl am Inn" nennen wird, der für eine Mitsprache der normalen Gläubigen kaum noch Spielraum lässt."

    Wir sind Papst. Noch will niemand es wahrhaben an diesem 19. April 2005. Dass der bescheidene Arbeiter im Weinberg des Herrn der Bewahrer bleiben wird, der Kämpfer gegen Neuerungen oder - wie er es häufig nannte: "Verirrungen" Als Präfekt der Glaubenskongregation hatte Ratzinger die so genannte Theologie der Befreiung Lateinamerikas bekämpft, er hatte sich gegen feministische Reformen ausgesprochen, er hatte theologisch Andersdenkenden gnadenlos die Lehrerlaubnisse entziehen lassen, er hatte Katholikinnen der Möglichkeit beraubt, sich in einem Schwangerschaftskonflikt vor einer Abtreibung katholisch beraten zu lassen.

    Noch will niemand wahrhaben, dass dieser Joseph Ratzinger selbstverständlich seine alten Positionen nicht aufgeben würde. Warum auch? - Nur weil er jetzt Benedikt XVI. hieß? Offenbar sehen die jubelnden Massen in diesem Mann etwas anderes - einen neuen charismatischen Führer, noch schaut die begeisterte Menge auf den freundlichen Mann, der etwas schüchtern in die Kameras winkt.

    "Ratzinger war immer freundlich, Ratzinger hat immer gelächelt..."

    "(...) und allein die Tatsache, dass man dann wieder einen Papst hatte, der gehen konnte, der ja der nicht tot-, sterbenskrank war wie ja sein Vorgänger das über Jahre war..."

    Ludwig Ring-Eifel, Chef der Katholischen Nachrichtenagentur.

    "Er hat sozusagen die große Stärke der katholischen Tradition wiederbeleben können, schon wie sein Vorgänger, nämlich die Kunst der Selbstdarstellung..."

    "Das wollte man wieder sehen, einen Papst, der Gottesdienst feiert, der das Weihrauchfass schwenkt, der den Segen austeilen kann..."

    "All die großen Rituale, alle Gewänder, alles was man hat, ein Erbe, indem sozusagen der ganze alte Barock wieder aufleben konnte, und das hat natürlich gewirkt."

    "Bitte, geht mit euren Kindern in die Kirche zur sonntäglichen Eucharistiefeier! Ihr werdet sehen, das ist keine verlorene Zeit!"

    Sind wir noch Papst? 73 Prozent der an einer Spiegel-Umfrage beteiligten Deutschen haben angegeben: Nein, Benedikt XVI. geht nicht angemessen mit den Missbrauchsfällen um. Was immer das bedeutet. Hans Küng, der Tübinger Theologieprofessor, schreibt in seinem offenen Brief an die Bischöfe von einem Pontifikat der verpassten Gelegenheiten. Unter anderem habe Benedikt die Chance vertan, eine nachhaltige Verständigung mit den Juden zu erreichen.

    "Was haben wir in den letzten Monaten erleben müssen!"

    Fragt der romtreue Kardinal Joachim Meisner, der Erzbischof von Köln im Jahr 2009.

    "Der Papst hat die Deutschen gegen sich aufgebracht."

    Das hatte nichts mit dem Missbrauch zu tun. Es gab zuvor ausreichend Anlässe, in denen sich der Papst – vorsichtig ausgedrückt – unbeliebt gemacht hat – und dies nicht nur bei seinen Landsleuten. Und immer wieder – von Beginn an - musste Benedikt XVI. als Krisenmanager auftreten. Auch in jenen Krisen, die er selbst verursacht hatte.

    Joseph ist fünf Jahre alt, als Adolf Hitler an die Macht kommt. Als 16-Jähriger wird Ratzinger zur Flugabwehr eingerufen, danach Reichsarbeitsdienst. Im letzten Kriegsjahr muss er in die Wehrmacht, aber zu einem Einsatz an der Front kommt es nicht mehr. Stattdessen beendet für ihn eine kurze amerikanische Kriegsgefangenschaft die Zeit des Nationalsozialismus.

    Dieses schreckliche Kapitel in unserer Geschichte - Hitler und der Holocaust - so wird er später sagen - dieses schreckliche Kapitel dürfe niemals vergessen werden.

    "Der Papst hat die Deutschen gegen sich aufgebracht."

    In diesem Fall, weil er die Exkommunikation von vier Bischöfen der Piusbruderschaft zurückgenommen hatte. Unter ihnen war der Holocaustleugner Richard Williamson. Dieses Kapitel war vielleicht – neben der sexualisierten Gewalt in der Kirche – das dunkelste während des Pontifikats.
    Konnte es möglich sein? Hatte ausgerechnet der deutsche Papst tatsächlich einen Mann wieder aufgenommen in den Schoß der Kirche, der offen gesagt hat, Gaskammern habe es nie gegeben?

    "Es gab keine Gaskammern und es wurden auch keine sechs Millionen Juden vergast."

    Es war unleugbar: Benedikt XVI. hatte dies getan. Und angeblich habe er von dieser Holocaustleugnung nichts gewusst.

    "Also, es gab Kommunikationspannen und da müsste bei, in der Kommunikation sicher manches besser organisieren und gestalten. (...) Das ist gar keine Frage. Es ist ein Mangel an guter Öffentlichkeitsarbeit."

    Mit fatalen Folgen. Mit dieser Rücknahme der Exkommunikation – mit dieser Botschaft: "Der Antisemit gehört zur Kirche" - hat der Papst blankes Entsetzen ausgelöst – nicht nur in den jüdischen Gemeinden.

    "Es geht hier darum, dass vonseiten des Papstes und des Vatikans sehr eindeutig klargestellt wird."

    Und während aus Rom in diesen Tagen hauptsächlich Schweigen kam, wurden in Berlin klare Worte formuliert. Ein seltenes Ereignis in der jüngeren Kirchengeschichte. Die weltliche Macht, Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, schaltete sich kritisch in die Diskussion ein.

    "(...) sehr eindeutig klargestellt wird, dass es hier keine Leugnung geben kann und dass es einen positiven Umgang mit dem Judentum geben muss, diese Klarstellungen sind aus meiner Sicht noch nicht ausreichend erfolgt..."

    Eine Ohrfeige. Eine unerhörte Einmischung, so etwas war Rom nicht gewohnt.

    Der große Bruder Georg hat inzwischen Karriere als Musiker gemacht. In Regensburg bei den Domspatzen. Josef Ratzingers Weg führt weiter nach oben. März 1977: Papst Paul VI. beruft den Professor zum Erzbischof von München und Freising. Drei Monate später ist er Kardinal. Drei Jahre später wird er nicht - wie erwartet worden ist - Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz. Der neue Pontifex, Johannes Paul II., holt ihn nach Rom und ernennt ihn überraschend zum Präfekten der Glaubenskongregation.

    "Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat."

    Benedikt XVI. bringt mit diesem Zitat die muslimische Welt in Aufruhr.

    "Und da wirst Du, so sagt er, nur Schlechtes und Inhumanes finden..."

    "Da haben wir um sechs Uhr morgens gelesen, dass er (...) einen byzantinischen Kaiser zitiert, der sehr aggressiv gegen Mohammed ist, (...) und haben ihm gesagt, ganz bestimmt wird das Probleme provozieren, (...) aber Papst Benedikt XVI. hat seine Rede so gehalten wie er sie geschrieben hatte."

    Nicht aus Sturheit, sagen Marco Politi und die anderen Papstexperten. Bei diesen und den anderen Pannen zeige sich, dass Benedikt XVI. kein Diplomat sei, kein Politiker, sondern ein Gelehrter - ein etwas menschenscheuer und damit auch ein wenig von den praktischen Fragen des Alltags und des 21. Jahrhunderts Entrückter. Professor Doktor Papst.

    "Irgend ein Schriftsteller hat gesagt, die Engel können fliegen, weil sie sich leichtnehmen; und wir könnten auch ein bisschen mehr fliegen sozusagen, wenn wir uns nicht ganz so schwergewichtig nehmen würden."

    Der bescheidene Arbeiter im Weinberg des Herrn, so stellt er sich gerne dar. Aber ist diese Bescheidenheit angemessen? Die katholische Kirche ist mit ihren 1,2 Milliarden Mitgliedern und Mitarbeitern kein Schrebergarten. Sie ist ein gigantischer Konzern mit großen Problemen. Zumindest in Europa:
    Kirchenaustritte, leere Gottesdienste, Priestermangel, zunehmende soziale Schieflagen. Die Benachteiligung der Frauen, die Zölibatsfrage - und jetzt auch noch diese Abgründe des sexuellen Missbrauchs. Da sind gewaltige Aufgaben zu lösen. Gewaltige Aufgaben für einen etwas menschenscheuen Bücherwurm, der den Kontakt zum 21. Jahrhundert ein wenig verloren zu haben scheint. Gewaltige Aufgaben für einen Mann über 80. Und nur einige Getreue sagen noch "Wir sind Papst".

    "Wie konnte es dazu kommen, dass man die euphorische Formel einer Zeitung nach der Papstwahl – Wir sind Papst – umdefiniert hat in "Wir waren Papst? Ich meine hier sagen zu dürfen: in Köln nicht! Wir bleiben Papst!"