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Raddatz hält Muslimbrüder für nicht demokratiefähig

Die Muslimbrüder sind mit ihrer Auslegung des Islam nicht demokratiefähig, sagt der Islamwissenschaftler Hans-Peter Raddatz. Denn Muslime, die in einem sehr religiösen Umfeld aufgewachsen sind, seien nicht frei in ihrer Willensbildung. Durch muslimische Einwanderer würden so auch in Europa die demokratischen Spielregeln "ausgefranst".

Hans-Peter Raddatz im Gespräch mit Jürgen Liminski | 03.08.2013
    Jürgen Liminski: Es war eine relativ ruhige Nacht in Kairo. Die Lage ist gespannt, das Land gespalten, aber die Muslimbrüder sind offensichtlich in der schwächeren Position, nicht nur, weil sie mit ihren Parolen weniger Menschen auf die Straße bringen als die Masse des Volkes, das den Atem der Freiheit und die Macht der Straße nach dem Sturz Mubaraks schon gespürt hat. Nein, vor allem das Militär hat sich entschieden und steht klar auf der Seite des Volkes.

    Fast genau heute vor einem Jahr verkündete der damalige Präsident Ägyptens, Mohammed Mursi, die Entlassung der Militärspitze und der Geheimdienstchefs, schaffte auch die Prärogativen des Militärrats gegenüber dem Präsidenten ab und gab sich selber neue Vollmachten. Das Militär war überrumpelt, die Demokratie am Nil allerdings auch. Sind die Muslimbrüder und ihre Form des Islam überhaupt demokratiefähig? Und wenn nein, wie sieht es mit der islamischen Bevölkerung in Europa aus? Zu diesen und weiteren Fragen begrüße ich den Islamwissenschaftler Hans-Peter Raddatz. Sein jüngstes Werk, dass er zusammen mit der ägyptisch-stämmigen Historikerin Bat Ye'or verfasst hat, trägt den Titel "Europa und das kommende Kalifat". Guten Morgen, Herr Raddatz!

    Hans-Peter Raddatz: Guten Morgen, Herr Liminski!

    Liminski: Herr Raddatz, es bleibt gespannt in Kairo. Sind die Muslimbrüder demokratieunfähig?

    Raddatz: Das ist eine klare Frage, die man wohl insgesamt mit "Nein" beantworten muss, weil die demokratische Verfassung nicht das Gesetz ist, unter dem die Muslimbrüder vor fast 100 Jahren angetreten sind, sondern ihre Aufgabe ist die Wiedereinsetzung der Rechte Allahs in den islamischen Staaten.

    Liminski: Was vielleicht - ich fragte "demokratieunfähig", Sie sagen klar Nein, also Sie sagen, die …

    Raddatz: Entschuldigung, Pardon, natürlich - demokratiefähig sind sie nicht, weil sie unter dem Gesetz Allahs oder der bekannten Scharia angetreten sind, ich bitte um Entschuldigung.

    Liminski: Aber der Präsident wurde legal und demokratisch gewählt.

    Raddatz: Das will ich mal dahingestellt sein lassen. Nicht alle sind davon überzeugt, dass a) die Wahlen unter korrekten Voraussetzungen stattgefunden haben. Wenn ja, wäre das lediglich jetzt die erste Stufe eines langen Prozesses, an dessen Ende keineswegs die Demokratie steht, sondern zunächst mal eine sehr unübersichtliche, vielleicht auch mit Bürgerkrieg durchsetzte Phase. Denn es ist keineswegs so, wie wir eben gehört haben, dass die Muslimbrüder einen geringeren Einfluss hätten als die Kraft des Volkes, sondern die Kraft des Volkes setzt sich sehr stark auch aus der Kraft des Islam zusammen, das heißt also, wir stehen vor einer sehr unübersichtlichen Situation, die jetzt erst mal, was Ägypten betrifft, durch die Armee geregelt wird. Die Armee ist die neue, also nicht ganz neue, aber jetzt in der vorherrschenden Situation erst mal die neue Kraft, die zur Regelung dieser unübersichtlichen Situation angetreten ist. Und die unter sehr starkem Einfluss natürlich der Westmächte steht.

    Liminski: Wenn, wie Sie sagen, die Islamisten prinzipiell demokratieunfähig sind, was ist dann mit den Muslimen in Europa?

    Raddatz: Grundsätzlich muss man bei denen zunächst auch erst mal davon ausgehen, dass sie unter islamischen Voraussetzungen, das heißt, unter sehr stark religiös, und zwar diktatorisch religiösen Umständen aufgewachsen sind und in Europa ihrerseits unter den dort vorherrschenden islamischen Vertretungen stehen, das bedeutet also nicht unbedingt frei in ihrer Willensbildung sind. Man kann davon ausgehen, und vieles deutet darauf hin, dass selbstverständlich der westliche, der freiheitliche europäische Einfluss sich da geltend mach. Auf der anderen Seite darf man auch nicht vergessen, dass es starke Kollaborationsformen zwischen den islamischen Vertretungen und den europäischen politischen Führungsebenen gibt, sodass also hier auch es zunächst mal, und das ist ja auch das Zentrum des Buches, von dem Sie eben sprechen, also "Europa und das kommende Kalifat". Das steht im Zentrum dieses Buches, dass nämlich wir vor einer sehr, sehr schwierigen Situation dahin gehend stehen, dass wir eine zunehmende Masse von Emigranten islamischen Hintergrunds haben, gleichzeitig aber auch einen ebenso zunehmenden Einfluss von deren Vertretern, die ihrerseits wiederum nicht unerheblichen Einfluss auf die Führungsebenen, die indigenen Führungsebenen in Europa und in den EU-Staaten haben, und letztlich, Herr Liminski, vergessen Sie bitte nicht den rasant steigenden Einfluss finanzieller Art von islamischer Seite durch die Weltorganisationen wie OIC zum Beispiel, Organization of the Islamic Cooperation. Und da spielen die großen Unternehmungen, die globalen Konzerne, an denen die muslimischen Investoren in steigendem Maß beteiligt sind, und selbstverständlich auch die Refinanzierung der EU-Staaten, eine sehr, sehr wichtige Rolle.

    Liminski: Herr Raddatz …

    Raddatz: Ja, Entschuldigung.

    Liminski: Das Buch, das übrigens im Wissenschaftsverlag Duncker und Humblot veröffentlicht worden ist, das wollen wir ja auch vielleicht mal erwähnen, hat den Untertitel "Der Islam und die Radikalisierung der Demokratie". Ist das so zu verstehen, dass nicht der Islam sich verändert, sondern die Demokratie? Was verändert sich da?

    Raddatz: Das ist eine sehr wichtige Frage. Die Demokratie insgesamt in Europa hat sich schon längst ganz stark verändert dahin gehend wiederum, dass die Parteien, das ist nicht nur in Deutschland so, sondern das ist in allen größeren EU-Staaten so, die Parteien sich sehr stark vereinheitlicht haben, und die Deutungsmacht des Islam grundsätzlich ja, erklärtermaßen vonseiten der EU ja die Außenpolitik, das Zentrum der EU-Außenpolitik bildet. Also Leute wie schon Solana und Delors und später selbstverständlich auch Barroso und Co. haben immer wieder verkündet, dass der Islam und die Region des Islam Zentrum der EU-Außenpolitik ist. Und die Autorin dieses Buches "Europa und das Kalifat" dokumentiert lückenlos, wie das entstanden ist. Und darin kann man auch erkennen, dass die demokratischen Spielregeln sowieso auch von uns aus, ohne jetzt unbedingt schon primär vom Islam angestoßen worden zu sein, ausgefranst sind allein schon dahin gehend, dass Sie sehen, die Souveränität der EU-Staaten wird graduell an die EU abgegeben. Die EU selbst ist eine Struktur, insbesondere die Kommission, die bekanntermaßen überhaupt gar nicht gewählt ist. Und insofern stehen wir hier vor einer sehr diffusen Struktur, die uns selbst mit 500 Millionen als Europäer ausweist, die nicht mehr unbedingt demokratisch wählen.

    Liminski: Noch eine kurze Frage, wir haben nur noch gerade eine Minute. Ist das der berühmte "Clash der Zivilisationen" oder der diffuse Clash?

    Raddatz: Nach meiner Einschätzung wird das weniger ein Clash, weil die Masse der Bevölkerung immer politikunfähiger wird und andere Prioritäten hat. Sondern es ist ein gradueller Prozess des Zusammenfließens der Interessen auf elitärer Ebene und die Eliten des Islam und Europas und Amerikas und anderswo können sich, wie alle Eliten in der Geschichte, immer ohne religiöse Einflüsse arrangieren, die Religion spielt in diesem Prozess auf elitärer Ebene eine sehr sekundäre Rolle.

    Liminski: Der Islamwissenschaftler Hans Peter Raddatz. Zusammen mit Bat Ye'or hat er das Buch "Europa und das kommende Kalifat" verfasst. Manche These von heute Morgen wird darin natürlich ausführlicher zu lesen sein. Besten Dank für das Gespräch, Herr Raddatz!

    Raddatz: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.