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Radio Ambulante
Die freie Stimme Lateinamerikas

Radio Ambulante kennt keine politischen Auflagen. Es ist das freie Programm Lateinamerikas. Gegründet hat das Programm der Schriftsteller Daniel Alarcón gemeinsam mit seiner Frau. Seit drei Jahren sendet er einmal im Monat für eine Stunde von New York aus - und wird inzwischen sogar von der BBC verbreitet.

Von Peter B. Schumann | 06.09.2015
    Ein Lautsprechersymbol.
    Der Schriftsteller Daniel Alarcón über Radio Ambulante: ""Das ist eine andere Form meiner literarischen Arbeit, kein Ersatz." (picture alliance / dpa / EFE)
    "Herzlichen Glückwunsch den Freunden von Radio Ambulante zu drei Jahren eurer Sendungen. Ihr seid die Pioniere, Geschichten anders zu erzählen und eine neue Form des Journalismus zu praktizieren."
    Aus vielen Teilen Lateinamerikas gratulierten sie den Mitarbeitern von Radio Ambulante und vor allem Daniel Alarcón, der dieses ungewöhnliche Programm im Mai 2012 gegründet hatte. Bereits in seiner äußeren Erscheinungsform unterscheidet es sich wohltuend von dem oft marktschreierischen Auftritt der meisten Rundfunk- und Fernsehsender Lateinamerikas. Sie scheuen nicht davor zurück, die täglichen Nachrichten und selbst Horrormeldungen in einer musikalischen Soße zu verkaufen. Bei Radio Ambulante werden dagegen musikalische Akzente sparsam gesetzt. Das Programm pflegt einen eigenen Stil, denn Daniel Alarcón hat eine andere Intention.
    "Wir wollen lateinamerikanische Geschichten audiophon erzählen, reale Geschichten zu Gehör bringen, aus dem gesamten spanischen Sprachbereich, eine Stunde lang, jeden Monat.
    Ich bin weit weg von Peru aufgewachsen und habe immer wieder versucht, den Kontakt zu dem Land, in dem ich geboren bin, nicht zu verlieren. Das war auch die Absicht meines Vaters. Er hat Interviews mit uns, den Familienmitgliedern in den USA, auf Band festgehalten und sie dann nach Peru zu dem anderen Teil der Familie geschickt.
    Das war unser 'wanderndes Radio': Es hat die Distanz zwischen den Familien überbrückt. Dadurch wurde mein Interesse an dieser Form von Radio geweckt."
    Weltweite Unterstützung
    Daniel Alarcón hat Radio Ambulante zusammen mit der Kolumbianerin Carolina Guerrero, seiner Frau, entwickelt. Von New York aus organisieren und gestalten sie ihre Programme zusammen mit einem Dutzend Mitarbeiter. Gesendet werden sie von zahlreichen unabhängigen Radios in Lateinamerika, von Stationen des Public Radio in den USA und auch vom internationalen Programm der BBC.
    Zahlreiche Journalisten arbeiten inzwischen auf dem gesamten Kontinent für Radio Ambulante.
    Die Beiträge orientieren sich nach der in Lateinamerika sehr beliebten literarischen Form der 'crónica'. Sie umfasst sorgfältig gestaltete Geschichten wie die eines rebellischen Schülers aus Chile.
    Benjamín schildert darin, wie er auf einer Schulfeier mit der dunklen, der faschistischen Geschichte der erlauchten Lehranstalt abrechnet. Und er beschreibt die überwiegende Ablehnung des Publikums, das ihn als Kommunisten beschimpfte.
    Kurze musikalische Intervalle gliedern den Beitrag. Eine Erzählerin ergänzt Benjamins Bericht und zitiert aus seiner Rede, weil die Originalaufnahme völlig verzerrt war.
    Bei uns entspricht diese Form der Gestaltung einem Feature: einem Aufwand, den sich die meist live ausgestrahlten Radio-Programme Lateinamerikas nur im Ausnahmefall leisten. Aber Radio Ambulante sendet auch nicht 24 Stunden täglich, sondern nur einmal im Monat eine Stunde lang verschiedene Beiträge auf vielen Frequenzen.
    Zwischen Aktualität und Literatur
    Für Daniel Alarcón, der sich selbst nur als "ausführender Produzent" sieht, hat diese Arbeitsweise durchaus etwas mit Literatur zu tun.
    "Das ist eine andere Form meiner literarischen Arbeit, kein Ersatz. Ich schreibe auch weiter Romane und Erzählungen. Mich interessieren einfach Geschichten, dieser menschliche Funke, der plötzlich überspringt und sich zu einer Geschichte verdichtet. Daraus kann eine Erzählung oder ein Roman entstehen oder ein Hörstück, diese neue Art des Erzählens."
    Ein Nischenpublikum mit offenen Ohren
    Radio Ambulante richtet sich nicht an eine Massenhörerschaft, sondern eher an ein Nischen-Publikum, das bereit ist, sich etwa das Schicksal einer vergewaltigten Hausangestellten in Peru anzuhören. Oder von einem kolumbianischen Schamanen zu erfahren, dem es gelang, Millionen Peso zu verdienen, weil er versprach, die ewigen Regenwolken über Bogotá zu vertreiben. Oder sich die Geschichte über die Zensur des Rock in Cuba erzählen zu lassen.
    "Heavy-Metal-Musik zu hören, war in den 80er und 90er-Jahren in Lateinamerika nichts Besonderes. In Havanna schon. Es war die am meisten konsumierte und am meisten verbotene Musik. Aber du weißt ja, was passiert, wenn man Jugendlichen etwas verbietet, dann wollen sie es erst recht."
    "Radio Ambulante kennt keine politischen Auflagen. Es ist das freie Programm eines Schriftstellers, der auf diese Weise jeden Monat ein größeres Publikum erreicht, als mit seinen Büchern: bis zu 100.000 Hörer in den beiden Amerikas."