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Andorn: Heilpflanze des Jahres 2018

Filzige Blätter, weiße Blüten: Der Andorn ist eine unauffällige Pflanze. In ihm steckt jedoch geballte Kraft: Seit Jahrhunderten wird er unter anderem bei Husten oder Gallenbeschwerden eingesetzt. Seine Wirksamkeit ist historisch gut dokumentiert. Doch auch heute können seine Inhaltsstoffe helfen.

Von Renate Rutta | 19.12.2017
    Gemeiner andorn (marrubium vulgare), blühend.
    "Eine der bedeutendsten Heilpflanzen": Schon Plinius der Ältere lobte den Andorn (imago / Blickwinkel)
    Winterzeit - Erkältungszeit, überall im Büro, im Kaufhaus, im Bus, im Supermarkt hört man Leute husten.
    Da kann die Heilpflanze Andorn vielleicht helfen: Sie hat ihr Haupteinsatzgebiet bei Katarrhen der Atemwege und sie hilft gegen festsitzenden Husten. Der "Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde" an der Universität Würzburg hat den Andorn zur Arzneipflanze des Jahres 2018 gekürt wegen seiner hervorragenden historischen Bedeutung und der umfangreichen Dokumentation seiner Wirkungen.
    Dr. Johannes Mayer vom Institut für Geschichte der Medizin der Universität Würzburg.
    "Man kann sagen, das war eine der wichtigsten Arzneipflanzen, vor allem im Mittelalter, aber auch noch weit bis in die Neuzeit hinein."
    Bei Husten und Asthma
    Bereits in der Spätantike war der Andorn eine bedeutende Arzneipflanze. Sie wurde von zeitgenössischen Heilkundigen als "eines der vorzüglichsten Kräuter" benannt.
    "Plinius, ein Autor des 1. Jahrhunderts n. C. , der ein berühmtes Lexikon zur Naturkunde geschrieben hat, sagt, das ist eine der bedeutendsten Arzneipflanzen. Man hat ihn damals schon gegen Husten und Asthma - das ist meist die Anwendung die als allererste genannt wird -, auch schwere Lungenerkrankungen, so Richtung Tbc und Brust- und Lungenfellentzündungen kommen fast immer vor."
    Daneben wird schon in dieser Zeit auch eine Wirkung auf den Verdauungstrakt dokumentiert.
    "Zum Beispiel zur Erhöhung des Gallenflusses wirken die Bitterstoffe sehr gut, entsprechend wurde er auch zur Verdauungsstärkung eingesetzt. Und nicht zuletzt wurde er über 2.000 Jahre bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg reichen die Dokumente, bei Frauenleiden, insbesondere bei Problemen in der Geburt, bei der sogenannten schweren Geburt eingesetzt."
    Wirksame Bitterstoffe
    Der Andorn galt damals fast als ein "Universalmittel". Sogar zur Verbesserung der Sehkraft wird er häufig genannt.
    "Nicht zuletzt gegen Ohrenschmerzen. Da hat man einfach eine Abkochung vom Andorn in die Ohren geträufelt. Die Bitterstoffe und die Gerbstoffe haben ja tatsächlich eine keimhemmende Wirkung, sodass hier leichte Entzündungen im Ohr gemildert werden können."
    Wie wirken die Bitterstoffe als einer der Hauptinhaltsstoffe des Andorns nun im Einzelnen auch heute noch?
    "Die Bitterstoffe wirken schleimlösend auf die Atemwege insbesondere bei Bronchitis. Wenn die Bronchien verschleimt sind, dann lösen die sich besser und man kann besser abhusten. Bitterstoffe wirken immer anregend auf den gesamten Verdauungstrakt, also wir haben einen erhöhten Speichelfluss, wir haben einen erhöhten Fluss des Magensaftes und insbesondere auch des Gallensaftes."
    Deshalb ist der Andorn hilfreich bei Gallenbeschwerden, Blähungen, Völlegefühl und auch Appetitlosigkeit. Außerdem enthält die Heilpflanze Andorn viele Gerbstoffe. Diese Gerbstoffe entfalten ihre Wirkung auch zur Vorbeugung in der Erkältungszeit.
    "Diese Gerbstoffe stabilisieren die Schleimhäute in der Mundhöhle, sodass sie nicht so leicht von Keimen angegriffen werden können."
    Mit Süßholz mischen
    Der Andorn stammt ursprünglich aus dem Mittelmeerraum und hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der Ackerminze und der Melisse. Er blüht weiß, seine Blätter haben ein tief eingesenktes Nervennetz, die Unterseite der Blätter ist filzartig behaart. Medizinisch verwendet werden die Blätter mit den Blüten und die oberen Teile des Stängels, beispielsweise für Pflanzenpresssaft, Fertigarzneimittel oder Tee. Der Tee allein aus Andorn schmeckt aber relativ bitter wegen der enthaltenen Bitterstoffe. Eine Mischung ist besser verträglich.

    "Er wird gut trinkbar, wenn man 10 bis 20 Prozent Süßholz dazu tut, was auch noch eine Wirkung gegen Husten hätte und ein klein bisschen Honig, aber man darf die Bitterstoffe nicht geschmacklich übertönen, denn der Geschmack an unseren Geschmacksnerven, der löst genau diesen Effekt der schleimlösenden Wirkung aus. Ohne Bittergeschmack hat er nicht die Wirkung, die wir sonst erwarten."
    Tee aus Andorn (Marrubium vulgare) ,
    Bekömmlicher wird der Tee aus Andorn, wenn man ihn mit anderen Heilkräutern mischt (imago / Imagebroker)
    Auch Dr. Erwin Häringer hat gute Erfahrungen mit der Anwendung von Andorn gemacht, und zwar vor allem mit den Bitterstoffen. Er ist Facharzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren in München und Dozent für Pflanzenheilkunde.
    "Die Bitterstoffe wirken nicht nur an der Zunge, sondern diese Bitterrezeptoren sind beispielsweise in der Lunge und in verschiedenen Gefäßen, sodass sich dort die Bronchien erweitern, der Schleim kann leichter abgehustet werden. Wir haben eine anti-entzündliche Wirkung, die ist sehr wichtig bei asthmatischen Erkrankungen, aber auch bei normalen Erkältungskrankheiten. Und wir haben eine Wirkung am Darm, an der Galle auf die Fettverdauung und damit auch auf die Senkung der Blutfettspiegel."
    In USA und Südamerika weit verbreitet
    Bei uns in Deutschland ist der Andorn fast nur Fachleuten bekannt. In den USA und in Südamerika ist das anders. Da ist der Andorn eine häufig genutzte Arzneipflanze.
    "Gerbstoffe werden häufig eingesetzt bei Durchfallerkrankungen. Deshalb ist es in Brasilien und in anderen Ländern eine Standarddroge bei starken Durchfällen. Da wird dieser Tee auch in größeren Mengen getrunken und hat eine wirklich gute Wirkung."
    Den Tee kann man ganz leicht selbst herstellen.
    "Man nimmt den Tee, eine Messerspitze voll, pro Tasse, brüht das auf, lässt es eine halbe Stunde stehen, kann es abseihen und trinkt dann zwei Tassen am Tag."
    Empfohlen ist der Andorn auch für Kinder ab 12 Jahren. In der Schwangerschaft sollte man generell eher vorsichtig sein mit Heilpflanzen, die Bitterstoffe enthalten. Doch ansonsten steht einem Erkältungstee mit Andorn nichts im Wege.
    "Also es ist zu Unrecht in Vergessenheit geraten und es ist ein wichtiger Pfeiler in der Klostermedizin."