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Radiolexikon: Blitzschlag

Nicht nur direkte Blitzeinschläge können bei Menschen Schäden hinterlassen. Schlägt ein Blitz in einen nahe gelegenen Gegenstand ein, entstehen Stromflüsse, die ebenso zu Langzeitschäden führen können. Die Volksweisheit, unter einem Baum sei man vor dem Stromschlag sicher, ist nicht wahr.

Von Justin Westhoff | 01.10.2013
    "Ein Blitzschlag ist eigentlich ein Stromschlag, wie man ihn auch, wenn man einen Kurzschluss an der Steckdose macht, sehen würde, nur halt viel größer und länger."

    Uwe Ulbrich, Meteorologe.

    "Das eine ist, dass durch den Stromfluss Hitze entsteht, sodass es zu Verbrennungen kommt, und das andere ist, dass es zu physikalischen Veränderungen kommt, die direkt Gewebe schädigen können, typischerweise die Blutgefäße, Nervengewebe, aber auch andere Gewebe."

    Dr. Bernd Leidel von der Charité-Rettungsstelle in Berlin-Steglitz.

    "Es muss nicht immer sein, dass man direkt vom Blitz getroffen wird, sondern wenn ein Blitz in einen nahen Gegenstand einschlägt, dann kann es auch zu Stromflüssen kommen, die dann auch zu Verletzungen führen."

    Der berühmte Neurologe Oliver Sacks zitiert einen sportlichen Mann, Chirurg von Beruf, der vom Münzfernsprecher aus telefoniert hatte:

    "Es regnete ein bisschen, in der Ferne Donner. Meine Mutter legte auf. Das Telefon war dreißig Zentimeter von mir entfernt. Ich erinnere mich, wie ein Blitz aus dem Telefon kam. Er traf mich im Gesicht. Danach weiß ich nur noch, dass ich nach hinten flog."

    Nach vorübergehenden neurologischen Ausfällen schien alles wieder in Ordnung. Viel später aber entdeckte der Patient eine positive Langzeitfolge, seine bislang ungeahnten musikalischen Fähigkeiten, wie Sacks in dem Buch "Der einarmige Pianist" beschreibt.

    "Was wir wissen, ist, dass drei von vier Personen, die vom Blitz getroffen wurden, langfristige Schäden haben, wir wissen aber relativ wenig darüber, inwiefern das jetzt wirklich maßgebliche Einschränkungen des Betroffenen bedeuten, weil wir dafür einfach zu wenig Daten haben, das kann von harmlosen Schäden gehen bis zu schwer reichenden Schäden."

    Vielfältige Schädigungen möglich
    Insgesamt aber, so Dr. Leidel, kann ein Blitzschlag ein breites Spektrum an sofortigen oder späteren Schäden verursachen.

    "Die typischen Verletzungsfolgen sind sehr, sehr unterschiedlich, es gibt vom Blitz getroffene, die überhaupt keine Verletzungsfolgen aufweisen, und es gibt vom Blitz getroffene, die daran sterben, sodass alle Organsysteme betroffen sein können, vom Gehirn über das Rückenmark, das Herz-Kreislauf-System, Blutgefäße, aber auch Magen-Darm, Lunge - im Endeffekt kann alles betroffen sein, sehr häufig, jetzt statistisch gesehen, sind aber Verbrennungen und Verletzungen an Nervengewebe und zum Beispiel auch Blutgefäße und Herzmuskel."

    Wenn es also ein Ereignis gibt, wo Ärzte verschiedener Fachrichtungen zusammenarbeiten müssen - am besten auf einer großen Rettungsstation -, dann ist es der Blitzschlag. Haut, Herz, Nervensystem, Augen, Ohren und vieles mehr muss untersucht und gegebenenfalls speziell behandelt werden. Auch die Frage, wie der Betroffene das Ereignis verkraftet und ob es seelische beziehungsweise psychosomatische Folgen wie Müdigkeit oder Überängstlichkeit gibt, gehört geklärt. Ganz selten kommt Blitzschlag nicht vor:

    "In Deutschland ungefähr 5000 Opfer durch Blitzeinschläge pro Jahr, wobei man davon ausgehen muss, dass nicht alle, die vom Blitz getroffen werden auch erfasst werden, weil viele nicht zum Arzt gehen."

    Das aber, warnt der Berliner Notfallmediziner Dr. Bernd Leidel, ist unter Umständen ein fataler Fehler.

    "… weil es eben Verletzungen auch geben kann, die Sie äußerlich vielleicht jetzt gar nicht sehen, also deswegen sollte man auf alle Fälle zum Arzt gehen, wenn man mit Blitz Kontakt hatte."

    Selbst für die schlimmsten unmittelbaren Folgen, Herz- oder Atemstillstand nämlich, gilt: Die Chancen, ohne schwere Langfristfolgen zu überleben, sind deutlich besser als etwa bei einem "üblichen" Herzinfarkt. Das gilt sogar, wenn der Arzt sich erst etwas später um den Patienten kümmern kann.

    "Das bedeutet, dass Betroffene, die leblos wirken für den Laien, nicht unbedingt schlechte Überlebenschancen haben, also da gibt es durchaus therapeutische Möglichkeiten, die frühzeitig begonnen werden sollten – insbesondere die Laien-Reanimation, und da kann man nur appellieren an die Bevölkerung, dass, wenn man in so eine Situation geraten sollte, dass man Wiederbelebungsmaßnahmen durchführt, die im Endeffekt ja ganz einfach sind, die Beatmung und die Herzdruckmassage so, wie sie immer gelehrt wird, und da kann man auf jeden Fall Zeit überbrücken und dem Betroffenen die Überlebenschancen deutlich erhöhen, bis dann eben Rettungsdienstpersonal, Notarzt und so weiter vor Ort sind."

    Unterstellen hilft nicht immer
    Die beste Vorbeugung aber ist selbstverständlich, einem Gewitter auszuweichen. Da ist es schon hilfreich, wenn man weiß, wie entfernt oder Nahe das ist. Um das abzuschätzen, sollte man nach einem Blitz anfangen zu zählen - es gibt keinen Donner ohne vorhergehenden Blitz.

    "Wir wissen, dass sich Schall viel langsamer als Licht ausbreitet; und wenn wir das in Sekunden zählen - jeweils drei Sekunden gibt einen Kilometer Entfernung - wenn ein Gewitter sehr nahe ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein Blitz auch in der Nähe einschlagen kann, wenn’s weit weg ist, kann man das genießen."

    … erklärt Professor Uwe Ulbrich vom Institut für Meteorologie der Freien Universität Berlin. Und Dr. Leidel weist darauf hin, dass Menschen, die sich bei einem nahen Gewitter im Freien aufhalten, besonders gefährdet sind.

    "Bauerarbeiter, Arbeiter in der Landwirtschaft, aber auch Freizeitsportler, aber es gibt auch Berichte, dass beispielsweise Zuschauer bei Großveranstaltungen betroffen sind, also da kann es praktisch jeden treffen, der sich draußen aufhält."

    Also am besten irgendwo unterstellen? Das kann schiefgehen, berichtet Professor Ulbrich:

    "Es hat auch schon Fälle gegeben, wo sich Fußballmannschaften vor dem Regen in irgendeinen Unterstand, der nicht wirklich abgeschlossen war, geflüchtet haben, und der als besonders erhöhte Stelle dann wiederum den Blitz angezogen hat. In der Tat ist es so, dass erhöhte Positionen von Bäumen, von Gebäuden und so etwas ein erhöhtes Risiko haben, dass der Blitz dort einschlägt."

    Aber da gibt es ja noch die schöne Volksweisheit:

    Eichen sollst Du weichen, Buchen sollst Du suchen.

    "Diese Regel sollte man nicht befolgen. Bäume sind potenziell immer gefährlich, dass da ein Blitz einschlägt, und das passiert bei Eichen, Buchen, Birken, das ist völlig egal."

    Was also tun, wenn man im Freien ist und dem Gewitter nicht mehr rechtzeitig
    ausweichen kann?

    "Dann ist keine gute Idee, dort stehen zu bleiben, weil man dann selbst der erhöhte Punkt ist, es ist aber auch wiederum keine gute Idee, sich flach hinzulegen. Wenn der Blitz einschlägt in unmittelbarer Nähe, dann breitet sich von der Einschlagstelle Strom aus. Und wenn da jetzt dummerweise der eigene Körper an der Erdoberfläche ist, der viel besser leitet, dann fließt der Strom durch den Körper durch."

    Sprich: Blitzschlag. Also hinkauern, Arme und Beine nahe am Körper, möglichst in einer Mulde. Wirklichen Schutz aber bieten nur geschlossene Räume. Dazu gehört auch das Auto - wenn es denn nicht gerade ein Cabrio ist.

    "Der Punkt ist einfach, dass ein sogenannter Faradayscher Käfig sich bildet, wenn man einen geschlossen Metall-Raum um sich hat, und an der Stelle ist man in den meisten Autos sicher."

    Das gilt selbstverständlich auch für Häuser.

    "Selbst, wenn Sie keinen Blitzableiter haben, haben Sie elektrische Leitungen und Wasserleitungen, durch die der Blitz abgeleitet wird, sodass man selbst da nicht direkt oder nur mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit betroffen ist."