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Botox

Im Kampf gegen Falten liegt ungebrochen der Einsatz von Botulinumtoxin, kurz Botox, im Trend. Das Nervengift wird allerdings nicht nur in der ästhetischen Medizin verwendet, sondern ist auch in anderen Bereichen ein hochwirksames Medikament.

Von Mirko Smiljanic | 19.06.2018
    Auf einem blauen Tuch liegen auf weißen Tüchern eine Botox-Ampulle und eine Spritze parat.
    Noch im 19. Jahrhundert war das Bakterium Clostridium botulinum Auslöser des Botulismus, einer gefürchteten Lebensmittelvergiftung, an der viele Menschen starben (AFP)
    Beethoven-Klink Köln, ein kleiner unscheinbarer Behandlungsraum: Tische und Regale mit medizinischen Utensilien, ein Hocker für die Ärztin, ein bequemer Sessel für die Patientin. Darin sitzt an diesem Freitagvormittag eine Mittvierzigerin - oder auch etwas älter, so genau lässt sich das auf den ersten Blick nicht sagen. Zwei bis drei Mal im Jahr nimmt sie hier Platz, um sich mit dem Nervengift Botulin von Gesichtsfalten befreien zu lassen - eine Prozedur, die sie mittlerweile seit acht Jahren über sich ergehen lässt.
    "Ich muss zugeben, ich hab es aus der Presse, einschlägige Frauenzeitschriften, die darüber berichten, der Blick selber in den Spiegel, wo man denkt, meine Güte, Du guckst wieder so grimmig, kann man da vielleicht nicht was gegen machen?"
    Kann man, und zwar mit einer hochgiftigen Substanz, dem Botulinumtoxin - weltweit bekannt unter dem Handelsnamen Botox. Genau genommen ist es der Sammelbegriff sich ähnelnder neurotoxischer Proteine, produziert von vier Bakterienarten: Clostridium botulinum, Clostridium butyricum, Clostridium baratii und Clostridium argentinense.
    "Grimmig gucken heißt bezogen auf die Zornesfalte, die mein Problem war hier an der Stirn, da wurde ich auch von Zeitgenossen angesprochen, Mensch guck doch nicht immer so grimmig, besorgt kann man vielleicht auch sagen oder skeptisch, es beeinträchtigt - finde ich - schon die Ausstrahlung."
    Wirkung auf die Nerven
    Nur gut, dass Botulinumtoxin die Falten wegbügelt; nur gut aber auch, dass nur wenige seine todbringende Geschichte kennen. Noch im 19. Jahrhundert war das Bakterium Clostridium botulinum Auslöser des Botulismus, einer gefürchteten Lebensmittelvergiftung, an der viele Menschen starben. Erstmals beschrieben übrigens von Justinus Kerner, einem schwäbischen Arzt, der schon 1822 weitsichtig vorschlug, das Nervengift in extremer Verdünnung zur Behandlung "nervöser Störungen" einzusetzen. Er hatte beobachtet, dass das Gift irgendwie auf Nerven einwirkt. Heute kennt man den Mechanismus natürlich bis ins Detail. Das Botulinumtoxin ...
    "... hemmt einen Botenstoff, das Acetylcholin, das heißt, es koppelt praktisch den Muskel vom Nerven ab."
    Erklärt Dr. Tanja Fischer, Leiterin des Haut- und Laserzentrums Potsdam. Und weil Nerven den Muskeln signalisieren, was sie tun sollen - sich entspannen oder sich verkrampfen - lassen sich Muskeln über diesen Weg in einen Ruhezustand versetzen. Falten verschwinden zum Beispiel.
    Unterschiedliche Einsätze des Toxins
    "Ein anderes Gebiet ist noch, wo man Acetylcholin hat, ist beim Schwitzen, das heißt, wenn man das oberflächlich in die Haut spritzt, kann man Patienten, die übermäßig stark schwitzen, helfen, indem sie einfach trocken gelegt sind und nicht mehr stark schwitzen."
    Außerdem wird Botulinumtoxin in der Neurologie eingesetzt.
    "Wenn zum Beispiel Krämpfe auftreten, man hat entdeckt, wenn man bei Augenkrämpfen das spritzt um die Augen herum, dass die nicht mehr so verkrampfen; oder bei Kindern, wenn die mit einem krampfenden schiefen Hals geboren werden, mussten die früher operiert werden und heute kann man die wirklich damit behandeln und so eine Operation vermeiden."
    Bewegungsstörungen, Mund- Zungen- und Schlundkrämpfe, Schreib- und Stimmbandkrämpfe, Spastiken nach Schlaganfällen, Migräne, die Therapie von Schiefhälsen und so weiter und so fort - Botulinumtoxin ist ein hochwirksames Medikament für unterschiedliche Leiden. Weltweit bekannt – und als lukratives Geschäft entdeckt - wurde das Nervengift aber durch den Einsatz in der ästhetischen Medizin, auf die sich auch die Kölner Dermatologin Dr. Christina von der Chevallerie spezialisiert hat. Zunächst bereitet sie eine Spritze mit einer sehr dünnen Nadel vor:
    "Eine ganz, ganz feine Nadel, eine kleine Menge von Botulinumtoxin, nicht wie in der Neurologie, wo Sie wesentlich höhere Dosen für Muskelspasmen verwenden. Erstmal werde ich die Stirn der Dame gründlich desinfizieren, dann werde ich sie bitten, die Augenbrauen zusammenzuziehen, sodass ich die Zornesfalten gut sehen kann, dann werde ich die Bereiche anmarkieren, das werde ich jetzt sofort machen."
    Gefährlich nur in hohen Dosen
    Während die Hautärztin die Stirn ihrer Patientin für die Faltenbehandlung vorbereitet, ein Abstecher in eine häufig gestellte Frage: Wie gefährlich ist Botulinumtoxin? Antwort: Sehr gefährlich - allerdings nur in hohen Konzentrationen. Den aktuellen Marktpreis des Toxins zugrunde gelegt, kommt die Potsdamer Dermatologin Tanja Fischer zu folgender Rechnung.
    "Um einen Menschen umzubringen, müsste man etwa 50.000 Euro investieren, das heißt, die Grenze, dass man Leuten schadet, ist unglaublich hoch, im Gegensatz zum Beispiel zum Fingerhut Digitalis, wo zwei Tabletten zu viel schon jemanden in eine schlimme Situation bringen kann. Der Spielraum, den man bei diesem starken Gift hat, ist doch erheblich groß. Was ein Problem ist, dass die Mengen so unglaublich klein sind, die man verabreicht, wenn man das herstellt aus den Bakterien, entstehen aber auch immer nur winzige Mengen."
    Vorsichtig spritzt Christina von der Chevallerie das Botulinumtoxin in die Zornesfalte.
    "In der Medizin spritzt man es dahin, wo man es braucht, das heißt, in der Regel in den Muskel oder in die Haut, wo Muskelfasern enden, um eben Falten zu glätten, aber in der Neurologie, in der Nervenheilkunde spritzt man es direkt in den Muskel rein. Dann bekommt die Dame noch eine kühle Kompresse, nochmal mit Desinfektionsmittel getränkt, und sie drückt hart auf die Stirn für neun Minuten Maximum, und dann darf sie ihren Weg gehen, und in ungefähr zwei Tagen wird sie merken, dass die Information, die sie im Kopf losschickt, nämlich böse zu gucken, hier nicht mehr wirkt."
    Nachlassende Wirkung
    Zumindest für einige Monate, dann schwindet die Wirkung des Toxins.
    "Für die Ästhetik macht es Sinn, dass man keine bleibenden Schäden setzen kann, dass man schauen kann, ob es den Leuten hilft, ob es ihnen gefällt, ob sie sich schöner fühlen."
    Beim medizinischen Einsatz ist das manchmal ein Nachteil. Alle vier bis acht Monate muss die Therapie erneuert werden. Bleibt die Frage, ob der Einsatz in der ästhetischen Medizin wirklich sinnvoll ist. Das muss letztlich jede Frau und jeder Mann selbst entscheiden. Aber selbst in diesem vergleichsweise harmlosen Bereich der Schönheitsmedizin beobachtet Tanja Fischer Auswüchse. Immer mal wieder hat sie Patienten, ...
    "... die denken, in dem sie viel Geld ausgeben und als 60-Jährige wie eine 30-Jährige wirken wollen, dass sie dann wieder auf dem Markt beliebt sind, das ist natürlich Quatsch. Da muss man auch einen Riegel vorsetzen, um solche Leute, die alle zwei Wochen auf der Matte stehen, da muss man auch gucken, dass man ein bisschen gegensteuert, da sind wir Ärzte auch in einer moralischen Pflicht, um da als Regulativ zu dienen."