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Radiolexikon: Burnout

Viele serviceoriente Arbeitnehmer kennen das, Krankenschwestern beispielsweise: Die anderen brauchen mich - ich muss weitermachen, obwohl ich nicht mehr kann. Andere spüren gar nicht, dass sie längst ausgebrannt sind - bis zum unvermeidlichen Zusammenbruch. Doch es gibt Wege, sich selbst kritisch zu überprüfen - und zu heilen.

Von Justin Westhoff | 02.06.2009
    Der Skispringer Sven Hannawald hat es erlebt und in der Fernsehsendung "Beckmann" erzählt:

    "Man merkt halt einfach nur, dass man kaputt ist, weil einfach das Rad dreht, dreht, dreht – und wenn man dann überhaupt nicht zum Schlafen kommt, das ist so ein Schwung, das kann man nicht anhalten, das geht nicht."

    Oder eine Krankenschwester bei "Maischberger": 23 Jahre lang hatte sie mit Nachtdiensten versucht, Beruf und Privatleben als Mutter unter einen Hut zu bringen, bis schließlich gar nichts mehr ging.

    "Der ganze Lebensmut fehlte, und ja die Angst, den Tag, die Familie, die Arbeit im Krankenhaus nicht mehr bewältigen zu können und morgens schon da zu sitzen und zu weinen und da wir mir also klar: Ich brauche professionelle Hilfe."

    Überfordert, deprimiert – ausgebrannt. Englisch: Burnout.

    "Unter Burnout-Syndrom versteht man einen Erschöpfungszustand, der entstehen kann durch Überforderung, Überforderung aber sowohl von innen als auch von außen,"

    ... erklärt die Kasseler Psychologieprofessorin Heidi Möller.

    "Und das ist eine Erschöpfung, die sich auch auf alle Ebenen bezieht, also auf den Körper, die Seele und auf den Geist, und das Merkmal ist: Ich kann mich nicht wieder erholen. Man legt sich abends ins Bett und wacht morgens genauso erschöpft auf, obwohl man geschlafen hat, das heißt, die Batterie wird nicht mehr voll."

    Das Burnout-Syndrom kommt nicht nur, aber besonders häufig bei helfenden Berufen vor. Eine Erklärung für die Überforderung liefert der Traumatherapeut Dr. David Becker, der sich um Kriegsflüchtlinge und Folteropfer kümmert, am eigenen Beispiel.

    "Das ist ein knochenharter Job, und wenn man ihn lang genug gemacht hat, dann wird man daran selbst ein bisschen krank. Die meisten von uns tun das mit einer gewissen Opferbereitschaft und mit einer gewissen Überidentifikation, und es gibt einen Moment, da werde ich nur noch müde, da kann mir jemand erzählen, was er will, dann kann ich auch nicht mehr darauf reagieren."

    Ebenso sind andere, Lehrer, Ärzte, Pflegekräfte, aber auch Manager und berufstätige Mütter in der Gefahr, auszubrennen:

    "Das sind Menschen, die in sehr verantwortungsvollen Posten sind, die mit einem hohen Engagement ihre Arbeit leisten, und natürlich gibt's dieses Phänomen bei Prominenten, denn das sind auch alles Menschen mit einem hohen Anforderungsprofil, mit einer hohen Dauerbelastung, weil die ja unentwegt Höchstleistungen bringen müssen."

    Zwar existieren noch keine genauen Zahlen über die Verbreitung des Burnout, das Syndrom ist aber mittlerweile als Krankheit anerkannt. Sie verläuft schleichend und in mehreren Phasen. Es beginnt mit einem übergroßen Anspruch an sich selbst, wie beim jungen Sportler Hannawald:

    "Ich habe immer irgendwie gemeint, jetzt gehe ich 'mal locker 'raus und so weiter, aber da ging gar nichts, null."

    Denn dann kommt die Phase der Erschöpfung, schildert Professor Möller:

    "Das Problem ist bei den Leuten, die das Burnout bekommen, die bemerken diese Erschöpfung nicht, das heißt, die arbeiten immer weiter, immer weiter, man muss sich das vorstellen so wie das berühmte Hamsterrad, und das Problem ist, dass die Selbstwahrnehmung für den eigenen Körper, für die eigenen Gefühle, durch dieses hohe Erwartungsprofil, was sie an sich selber anlegen, wie betäubt ist."

    So werden langsam Veränderungen auch nach Außen sichtbar: Betroffene beginnen etwa, soziale Kontakte zu meiden. Im Arbeitsalltag schleichen sich Fehler ein, die Konzentration lässt nach, schließlich funktionieren einfachste Abläufe nicht mehr – im Beruf und privat.

    "Bis hin zu einer wirklichen Verzweiflung, nicht, wo also eine völlig negative Einstellung zum Leben dominiert, wo die Menschen sich hoffnungslos fühlen, wo sie das Gefühl haben, ihre Existenz sei vollständig sinnlos, sie zweifeln an sich, an den anderem, ihrem Leben, bis hin zu Selbstmordgedanken."

    Die Ursachen für das Burnout-Phänomen liegen zum einen tatsächlich in den erhöhten Anforderungen der heutigen Arbeitswelt. Aber man darf auch die innerpsychischen Ursachen nicht übersehen, sagt die Psychologin:

    "Dahinter steckt ja auch ne Fantasie: Das ist ja auch, na ja, wie Opium für die Seele, nicht: 'Ich bin so jemand, der braucht keinen Schlaf und der braucht kein Wochenende und anders als alle anderen Leute kann ich natürlich locker 14 Stunden am Tag arbeiten!'"

    In belastenden Helfer-Berufen zum Beispiel muss man sich also besonders um einen gewissen Abstand bemühen, weiß David Becker.

    "Man kann das natürlich dadurch eingrenzen, dass man nicht zu viele solche Fälle sieht, dass man gute Supervision hat, dass man an einem ordentlichen Ort arbeitet , dass man gut dafür bezahlt wird und dass man sich ordentlich darum kümmert, auch den Rest des Lebens irgendwie zu genießen."

    Bei allem Engagement: Anerkennung zu bekommen kann einen schützenden Effekt haben, Selbstausbeutung bewirkt mit Sicherheit das Gegenteil.
    Doch es gibt kein Patentrezept zur Vorbeugung. Und oft wird ein Burnout lange verdrängt oder ganz verkannt. Deshalb ist hier ausnahmsweise zunächst eine Selbstdiagnose gefragt. Sogar der eine oder andere Test in Zeitschriften oder im Internet könne zumindest zur Krankheitseinsicht beitragen. Ansonsten rät die Psychologin, vielleicht etwas unorthodox erscheinend:

    "Es gibt ein Kriterium, an dem jeder selber messen kann, ob er vom Burnout-Syndrom befallen ist oder nicht: Eine Woche Urlaub machen, vielleicht auch mal ohne Familie, und wenn sie sich dann nicht erholt haben, also wirklich erholt haben, dann wird sich so was abspielen wie ein Burnout-Syndrom."

    Wenn die Krankheit diagnostiziert ist, gibt es mehrere Therapiemöglichkeiten:

    "Wen es ganz schlimm ausgeprägt ist, helfen nur noch stationäre Unterbringungen, da gibt's inzwischen Kliniken, die sich spezialisiert haben, ansonsten kann man die üblichen Sachen empfehlen: Wirklich STOPP. Wirklich eine Auszeit, und dann geht es natürlich darum, auch den Körper sich wieder anzueignen, durch Bewegung, durch Anderes, nämlich mit Menschen zusammen sein, anstatt zu arbeiten, sich das Leben wieder zurückzuerobern und so etwas hinzukriegen dann wie eine Work-Life-Balance, also Arbeit, Familie, Kultur, irgendwie in einem vernünftigen Gleichgewicht."

    Denn an einer Tatsache kommt niemand vorbei, meint Heidi Möller:

    "Ein eindeutiges Setzen all meines Sinnen und Trachtens rein auf die Arbeit und auf den Erfolg, aufs Geld verdienen oder Gutes tun, auf Dauer wird das niemand unbeschadet überstehen können."

    Manchmal ist es ein wenig wie bei Suchterkrankungen: Heilung ist möglich, aber eine Gefährdung bleibt lebenslang. Wer das Burnout-Syndrom erlebt hat, sollte sich dessen bewusst sein – so wie Sven Hannawald:

    "Das ist das, was man wirklich im Nachhinein lernt also: Der Körper ist das Wichtigste, egal ob man jetzt da einen Beruf hat, wo man gut Geld verdienen kann, man hat davon nix, weil man selber das alles gar nicht nutzen kann."