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Radiolexikon: Elektroenzephalogramm

Die Nervenzellen des Gehirns verfeuern - scheinbar ohne Unterlass - elektrische Impulse. 1924 entdeckte der deutsche Neurologe Hans Berger jedoch, dass jenes Dauergewitter sich markant ändert, sobald ein Patient die Augen öffnete oder schloss. Es war die Geburtsstunde des Elektroenzephalogramms, besser bekannt unter EEG.

Von Mirko Smiljanic | 08.03.2011
    Universitätsklinik Köln, Zentrums für Neurologie und Psychiatrie. Im EEG-Labor hat es sich halb sitzend, halb liegend ein junger Mann bequem gemacht. Möglicherweise, sagt sein Arzt, leide sein Patient an einer Epilepsie.

    "Das EEG ist eine Untersuchung des Gehirns, ich setze Ihnen dafür eine Haube auf den Kopf, an der ganz viele Elektroden befestigt werden, und diese Elektroden leiten dann ihre Hirnströme ab."

    Constanze von Schnakenburg, Medizinisch-technische Assistentin.

    "Das ist für Sie ganz entspannt, Sie merken von der Untersuchung selbst überhaupt nichts, das ist nur entspanntes Liegen und nichts tun!"

    Zehn Minuten dauern die Vorbereitungen, 20 Minuten die eigentliche Untersuchung. Lange Haare, sagt Dr. Lothar Burghaus, Oberarzt und Leiter des EEG-Labors, beeinträchtigen die Untersuchung übrigens nicht.

    "Nein, das ist eigentlich kein Problem, man kann die Elektroden so platzieren, dass man die Haare vorher ein bisschen zur Seite schiebt und dann die Elektroden ausreichend Kontakt zur Kopfhaut selbst haben, darauf kommt es dann an. Wir benutzen auch Kontaktgele, dass wir dann wirklich gute Messungen machen könne."

    "Also EEG steht erst einmal für zwei verschiedene Begriffe: einmal für Elektroenzephalografie, der Name steht für das Verfahren einer Messung von Hirnaktivität an der Kopfoberfläche; und dann steht EEG auch für das Elektroenzephalogramm, das ist im Prinzip die einzelne Messung, die wir machen. Wir leiten eben an der Kopfoberfläche die Aktivität der Hirnrinde ab, und die Hirnrinde, die außenliegenden Nervenzellen, die, die im Wesentlichen auch für die Funktion unseres Gehirns zuständig sind, die Grauen Zellen, die liegen da und sind dadurch eben dem EEG am nächsten und dadurch eben messbar."

    Nervenzellen beziehungsweise Neuronen kommunizieren auf zwei Wegen miteinander: biochemisch durch Botenstoffe und elektrisch durch elektrische Potenziale, die in rasender Geschwindigkeit von Nervenzelle zu Nervenzelle jagen. Diese elektrischen Impulse horcht ein EEG von der Kopfhaut aus ab. Allerdings kann sich das EEG nur in die Kommunikation der äußeren Hirnschicht einschalten. Was elektrisch in den Tiefen des Kopfes passiert, lässt sich nur indirekt erschließen.

    "Jetzt wird es etwas feucht und kalt am Kopf, weil ich die Elektroden mit Wasser anfeuchte."

    "Wir setzen jetzt 19 Elektroden, die wir dann nachher in verschiedenen Programmen miteinander verschalten, und wir nutzen dann letztlich ein sogenanntes 16-Kanal-EEG für die Auswertung. Man könnte auch mehr nehmen, man kann über 100 Elektroden im Prinzip platzieren. Das, was wir jetzt machen, ist ein Standardprogramm, und man kann dann nach Bedarf andere Elektroden hinzufügen."

    Je mehr Elektroden, desto mehr Informationen, desto präziser der "Blick" in die elektrische Aktivität des Hirns. Wobei aber selbst 100 Elektroden angesichts vieler Milliarden feuernder Neuronen letztlich nur ungenaue Eindrücke liefern. Umso erstaunlicher sind aber die Leistungen des EEG, das mittlerweile zur Diagnose einer ganzen Reihe neurologische Leiden eingesetzt wird.

    "In erster Linie ist das eine Methode, mit der wir Patienten mit Anfallsleiden untersuchen, mit Epilepsien untersuchen, da ist es sicher ganz weit vorne, weil es viele Epilepsien gibt, die man auf Röntgenbildern nicht sieht, sondern tatsächlich nur im EEG sieht, weil es da ein ganz typisches Epilepsiemuster in der Kurve dann zu erkennen gibt; an zweiter Stelle kommen dann bestimmte Funktionsstörungen des Gehirns, zum Beispiel bei Demenzen nutzt man es viel, um zu schauen, wie ist die allgemeine Aktivität des Gehirns, die Leistung des Gehirns."

    "Ich habe den Patienten hingelegt, damit der Patient während der Untersuchung viel besser entspannen kann, schön gemütlich liegt, und jetzt werde ich gleich die Kabel an die Elektroden anbringen."

    Normalerweise funken Neuronen milliardenfach wild durcheinander. Lassen sich aus diesem Chaos trotzdem charakteristische Muster und Rhythmen herauslesen? Dr. Lothar Burghaus:

    "Ja, das kann man und danach suchen wir auch. Es gibt Bereiche im Gehirn, die haben eine gewisse Eigenaktivität, die man nur in diesem Bereich findet, und diese Aktivität ist in einem gewissen Wachheitszustand, nenn ich das Mal, dann eben messbar. Also, was wir jetzt bei dem Patienten machen, ist ein Ruhe-Wach-EEG. Der Patient muss in einem Ruhezustand ganz entspannt sein und dabei aber wach sein, er soll nicht einschlafen, er soll aber auch nicht zu aktiv sein, und in diesem Zustand hat jedes Hirnareal eine gewisse Eigenaktivität, und wenn die nicht da ist, spräche das dann möglicherweise für eine gewisse Funktionsstörung."

    Neben dem Ruhe-Wach-EEG nutzen Neurologen aber auch andere Methoden beim EEG. So setzen sie etwa sogenannte "Provokationsfaktoren" ein.

    "Also wir fordern die Patienten auf, zu hyperventilieren, weil wir wissen, dass eine Hyperventilation Veränderungen der Hirnaktivität hervorrufen kann, die bei bestimmten Erkrankungen besonders stark ausgeprägt ist; wir nutzen Lichtreize, eine sogenannte Fotostimulation, man kennt das von Computerspielen, wo immer eine Epilepsiewarnung draufsteht, Lichtreize sind in der Lage, im Gehirn auch eine gewisse synchrone Aktivität auszulösen, das versuchen wir auch als Provokationsmethode; und wir lassen den Patienten in verschiedenen Schlafstadien, das heißt, es gibt auch Untersuchungen, wo wir den Patienten absichtlich einschlafen lassen und versuchen, ihn in tiefere Schlafstadien zu bringen, und zu sehen, wie das Gehirn in diesen Phasen arbeitet."

    Mittlerweile sind die Elektroden angebracht, der Patient liegt ruhig auf seiner Liege, während Constanze von Schnakenburg gebannt auf den Monitor voller Zackenlinien schaut. Die Linien sind manchmal ruhig mit wenigen Ausschlägen, andere dagegen kriselig und hektisch.

    "Das mit den Ausschlägen liegt jetzt hauptsächlich daran, dass der Patient ein bisschen mit den Augen blinzelt, und das obere sind jetzt Elektroden, die augennah sind, und wenn er mit den Lidern flattert, dann hat man häufig diese Ausschläge drin, da hat es ein bisschen geblinzelt an dieser Stelle, das gibt direkt eine Störung, ... die markiere ich auch, damit man das hinterher sieht, ich meine, man sieht es auch so, aber rein der Ordnung halber."

    Jedes Schlucken und Gähnen, jedes Zusammenbeißen der Zähne, jede Bewegung der Arme und Beine – alles lässt sich als elektrische Störung, als Muskelartefakt nachweisen. Wesentlich genauer wären die Ergebnisse übrigens, würden die elektrischen Impulse statt auf der Kopfhaut, direkt am Hirn abgeleitet.

    "Ja, das wäre die genauere Methode, das wird allerdings nur in den Bereichen gemacht, wenn es darum geht, chirurgisch tätig zu werden. Also, es gibt Epilepsien, die einen Ursprung haben an einer bestimmten Stelle, und wenn man rausfinden will für eine Operation, wie viel Gewebe muss ich entfernen, um diesen epileptischen Herd zu entfernen, dann macht man solche Ableitungen auf der Hirnrinde, aber das ist natürlich eine Operation, da wird die Schädeldecke eröffnet, die Ableitung auf der Hirnrinde platziert und dann kann man sehr genau differenzieren, wo der Herd entsteht und wie groß der Herd ist."

    Das ist – glücklicherweise – bei diesem Patienten nicht nötig!

    "Der Patient ist schön entspannt, man sieht es auch, die Linien sind klar auswertbar, er macht gut mit, also, so muss das sein!"

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