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Radiolexikon: Geheimratsecken

Wenn einem pro Tag mehr als 100 Kopfhaare abhandenkommen, dann ist es Haarausfall. Bei Männern zieht sich dann der Haaransatz immer weiter auf den Kopf und die Glatzenbildung nimmt ihren Lauf. Doch auch bei Frauen können die Haare weniger werden.

Von Mirko Smiljanic | 19.02.2013
    Es ist ein Elend! Da ist Mann in den besten Jahren, sagen wir zwischen 20 und 30, geht am Wochenende raus auf die Piste in Klubs und Kneipen, um Frauen kennenzulernen – und würde sich am liebsten unsichtbar machen. Die Haare fallen aus, langsam und unerbittlich bilden sich rechts und links Geheimratsecken. Beileibe kein seltenes Problem, Geheimratsecken sind bei Männern der häufigste Haarausfall überhaupt. Beginnt er jung, nagt er schon mal am Ego. Also hin in die Hautarztpraxis, vielleicht gibt’s ja dort Hilfe.

    "Es ging darum, dass ich einen beginnenden Haarausfall festgestellt habe, das betraf den hinteren Bereich, wie man so schön sagt, die Platte, und die Geheimratsecken, dass es vorne halt weniger wurde, und dann habe ich mir mal Fotos von meiner Mutter zeigen lassen, wie meinem Vater so aussah, weil, ich kenn ihn nur mit sehr wenig Haaren in meinem Alter und habe da festgestellt, dass er schon mit 40 fast keine Haare mehr hatte, und das wollte ich eigentlich nicht haben, …"

    … erzählt dieser leidende Geheimratseckenträger seiner Kölner Dermatologin Dr. Uta Schlossberger. Die beginnt ihre Untersuchung mit einfachen Fragen.

    "Die erste Frage ist immer: Wie sieht denn der Papa aus oder wie sieht der Opa aus?"

    Wer das weiß, kann hochrechnen, wie seine Haare sich entwickeln werden: Hat der Vater mit 60 noch dichtes Haar, bildet sich die Glatze wahrscheinlich später aus, ist der Haarwuchs mit 40 eher spärlich, na ja… In einem zweiten Schritt ordnet Uta Schlossberger das Problem ein: Geheimratsecken mögen nicht schön sein, wirklich ungewöhnlich sind sie aber nicht.

    "Das ist jetzt schon relativ normal, ja, dass wir sagen, ja, wir haben Geheimratsecken, wir haben hinten die sogenannte Tonsur, das ist jetzt etwas, was nicht ganz ungewöhnlich ist, …"

    … wobei sich zunächst die Geheimratsecken herausbilden, anschließend die Tonsur und daran anschließend die Glatze – ein Prozess, der sich zwar über viele Jahre hinziehen kann, aber doch schon etwas Unerbittliches hat. Er lässt sich kaum stoppen, Hausmittelchen versagen reihenweise.

    "Ja, das ist zunächst mal das Erste, was man als Mann macht, wenn man auch noch in einem Alter ist, wo man denkt, man will attraktiv für Frauen sein, es gibt da ja mannigfaltige Mittelchen, die man nehmen kann, ich habe glaube mal was mit Coffein versucht, was man draufstreicht, aber letztendlich habe ich den Erfolg nicht schnell genug gesehen oder es ist bei mir so dramatisch, dass es nicht hilft."

    Also war ein Besuch beim Uta Schlossberger unumgänglich, die ihm zunächst einmal erklärte, was medizinisch korrekt Haarausfall überhaupt ist.

    "Grundsätzlich verliert jeder Mensch zwischen 80 und 120 Haare pro Tag, das wissen die meisten auch nicht, die meisten denken, wenn sie Haar verlieren, ist das schon schlimm, gerade für uns Frauen ist ja der Verlust von Haaren immer sehr belastend, und wenn das dann wirklich mehr sind oder wenn sie an bestimmten Stellen dann wegfallen, wo es sehr auffällig ist, dann redet man auch schon von einem krankhaften Haarausfall."

    Die Hälfte aller Erkrankungen – dazu zählen auch Geheimratsecken – haben genetische Ursachen. Es besteht eine Überempfindlichkeit der Haarfollikel gegen das Steroidhormon Dihydrotestosteron, kurz DHT. DHT entsteht bei der Umwandlung des männlichen Hormons Testosteron, das wichtige Aufgaben bei der Entwicklung eines Jungen zum Mann übernimmt. Ist in der Kopfhaut viel DHT gespeichert und besteht gleichzeitig eine ererbte Überempfindlichkeit, verkürzt sich das Haarwachstum, die Haarfollikel verkümmern, nach und nach bilden sich Geheimratsecken heraus. Nun möchten Dermatologen aber nicht nur die übergeordneten Gründe für den Haarausfall kennen, sie interessieren sich auch für sein individuelles Stadium. Dazu fertigen sie ein Trichogramm, eine Haarwurzelanalyse, an.

    "Grundsätzlich wird der Patient gebeten, dass er erst einmal eine Weile seine Haare nicht wäscht, um zu sehen, dass wir da seine Haare in Reinform haben, und dann können wir die Haare in verschiedenen Wachstumsphasen unterscheiden, wir können dann sehen, wie viele Haare liegen prozentual vor in verschiedenen Wachstumsstufen und können dann auch sehen, liegen da zum Beispiel krankhafte Veränderungen vor."

    Anschließend steht die wichtigste Frage im Raum: Was tun gegen Geheimratsecken? Die Antwort ist ernüchternd: wenig! Bei fast allen in Apotheken und im Internet frei verkäuflichen Mittelchen gegen Haarausfall weiß niemand genau, ob sie helfen. Eine nachgewiesene Wirkung gebe es nur bei zwei Präparaten, sagt Uta Schlossberger.

    "Das ist das sogenannte Minoxidil, das gibt es inzwischen auch in der Apotheke freizukaufen für den Mann selber, das ist ein Präparat, das ursprünglich mal als Präparat für den Bluthochdruck genutzt wurde, was man jetzt auftragen kann auf den Kopf, da wird einfach die Durchblutung gebessert, da weiß man, dass das etwas hilft, und es gibt das relativ bekannte Finasterid, was man als Tablette nehmen muss."

    Nicht unerwähnt bleiben darf eine noch nicht ganz abgeklärte Nebenwirkung: Finasterid führt bei etwa drei bis fünf Prozent der behandelten Männer zu einer Abnahme der Libido sowie zu einer Verminderung der Samenflüssigkeit. Und noch eine weitere schlechte Nachricht gibt es: Auf raschen Haarwuchs sollte niemand hoffen.

    "Das dauert eine Weile, das ist klar! Die Haarwurzel und das Haar braucht ja eine Weile, ehe es nachwächst und die Zeit müssen sie dem Ganzen auch schon geben. Wenn man so einen Haarausfall hat, muss man dem Patienten auch sagen, dass er Geduld haben muss, auch bei den Tabletten, sodass wir sagen, warten Sie bitte sechs Monate, wenn nicht sogar zwölf, bis sich etwas tut, in der Zeit müssen sie das Präparat auch einnehmen und warten, und dann tut sich bei 90 Prozent der Männer etwas, das heißt, dass der Haarausfall gestoppt ist, und bei etwa 60 Prozent der Männer gibt es dann eine Verdichtung der Haare."

    Bei der Behandlung von Geheimratsecken gibt es keinen Goldstandard. Jeder Fall muss individuell bewertet werden, jeder Fall hat Grenzen des Machbaren. Häufig wachsen einfach keine Haare nach, egal welche Hormone, Tinkturen und Spritzen die- oder derjenige anwendet. Immerhin hat es die Natur bei Frauen gnädig gemeint, auch sie leiden unter Haarausfall, allerdings unauffälliger. Und dann gibt es ja noch die Möglichkeit, Geheimratsecken einfach attraktiv zu finden – George Clooney hat zum Beispiel auch welche.

    "Ehrlich gesagt habe ich mir die Frage schon konkret gestellt und überlegt, will ich jetzt Glatzenträger werden oder will ich Haarträger werden, ich habe ja nun noch Kinder und da habe ich irgendwie gedacht, die sollen mich noch eine Weile lang mit Haartracht sehen, die Zeiten sind ja vorbei, dass man einen Glatzenträger vielleicht als radikalen Menschen ansieht, die sind ja völlig hoffähig mittlerweile, ne, das war dann eine bewusste Entscheidung, dass ich gesagt habe, ich möchte gerne noch eine Weile Haare haben."