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Radiolexikon Gesundheit: Alpträume

"Ich träume häufig von Tieren, die mich beißen, verletzen, verfolgen wollen, ich träum auch häufig, dass jemand, der mir nahe steht, stirbt, dass ich verlassen werde, verraten werde, und das sind dann auch oft Träume, wo ich wirklich nass geweint aufwache."

Von Andrea Westhoff | 02.01.2007
    Der "Alb" – eine furchterregende Halb-Mensch-Halb-Tier-Gestalt aus der germanischen Mythologie, die sich auf die Brust des Schlafenden hockt und ein drückendes Gefühl auslöst: "Enge" – Angst.

    "und ich träum auch manchmal klassische Alpträume mit Monstern, die irgendwo auf mich lauern oder solche Dinge."

    Alpträume – ein faszinierendes Thema für Psychologen und Künstler. Und seit ein paar Jahren versucht nun auch die Wissenschaft im Rahmen der Schlaflaborforschung, Licht ins Düstere zu bringen.

    " Und das ist ein Raum, der wird komplett schwarz gemacht, da sieht man da vorne den Verstärker, wo die ganzen Kabel dann reingesteckt werden."

    Jeder Mensch träumt jede Nacht mehrmals während der so genannten REM-Schlaf-Phasen, in denen der Körper völlig entspannt, das Gehirn aber sehr aktiv ist – erkennbar an den schnellen Augenbewegungen. Die meisten unserer Träume verschlafen wir, nur gelegentlich bleiben Erinnerungsfetzen im Bewusstsein. Ganz anders, wenn "der Alb drückt"... Dr. Michael Schredl, Psychologe und Traumforscher am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim:

    "Alpträume werden definiert als Träume mit stark negativen Emotionen, die so stark sind, dass sie zum Erwachen führen und nach dem Erwachen auch gut erinnert werden. Dagegen lässt sich abgrenzen der sog. Pavor nocturnus oder Nachtangst, das ist ein Aufschrecken aus dem Tiefschlaf, wobei die Person selbst nicht richtig wach wird und sich dem Ereignis häufig nicht daran erinnern kann. "

    Medizinisch gesehen sind Alpträume also eine psychische Schlafstörung, die jeder mal bekommen kann. Besonders häufig Kinder und Jugendliche. Das hat mit der Gehirnreifung zu tun, erklärt Dr. Dieter Kunz, Leiter des psychiatrischen Schlaflabors an der Charité, Berlin-Mitte:

    "Da ist der eine Teil des Gehirns manchmal ein bisschen schneller als der andere, dann ist das nicht so hundertprozentig koordiniert - das ist also ein sehr häufiges Phänomen bei Kindern und wächst sich in aller Regel völlig folgenlos bis zum 20, 25. Lebensjahr aus. "

    Darüber hinaus können Medikamente Auslöser für Alpträume sein, ebenso Alkohol oder Drogen, aber auch psychiatrische Erkrankungen. Ursächlich verantwortlich scheint die genetische oder psychologische Konstitution:

    "Es gibt aktuelle Zwillingsstudien, die zeigen, dass es einfach Menschen gibt, die sone Veranlagung für sone Art dünne Haut haben, also empfindlich sind, und wir selber konnten in Studien zeigen, dass das aktuelle Stresslevel die Alptraumhäufigkeit deutlich in die Höhe treibt und auch Traumata, also besonders schreckliche Erlebnisse, führen zu ner vermehrten Häufigkeit von Alpträumen."

    "Ich träum auch häufig komische Phänomene an meinem eigenen Körper, z.B. dass ich meine Hände gebrauche für irgendwas, und dann verändern sich meine Finger. Die werden länger, werden dicker, werden nicht mehr zu gebrauchen, oder sie werden ganz dünn und ganz weich und hängen nur noch an meinen Händen und können gar nicht mehr eingesetzt werden für das, was ich jetzt zwingend machen muss. "

    Alpträume sind meistens sehr plastisch und geheimnisvoll. Ob sie als konkrete "Botschaften der Seele" betrachtet werden können, ist bis heute umstritten. Michael Schredl ist erwartungsgemäß offen für psychologische Traumdeutungen, wobei es ihm aber nicht um die Analyse der einzelnen Traumbilder geht.

    "Meine Vorstellung ist, dass der Traum Bilder wählt, die besonders deutlich Angst darstellen. Also ein Falltraum ist ja son klassisches Beispiel. Aber auch Verfolgung ist ein Angstthema, und grade bei der Verfolgung ist natürlich die Idee, dieses Weglaufen vor etwas Bedrohlichem, dass das möglicherweise auch einen Bezug zur Wachrealität hat. "

    Skepsis dagegen beim Psychiater. Dieter Kunz:

    "Bisher hat es keine konsistenten Befunde gegeben, die irgendeinen der Trauminhalte zusammen haben bringen können sowohl mit dem vorher Erlebten, als auch nur mit der Stimmungslage, die die Person gehabt hat, als sie z.B. abends ins Bett gegangen ist."

    Einig ist man sich allerdings, dass Alpträume ein behandlungsbedürftiges Phänomen sind, wenn sie häufiger auftreten und ein Mensch nachhaltig darunter leidet. Bei Dieter Kunz wird man dann zunächst zwei Tage ins Schlaflabor geschickt...

    "Das ist’n Einzelableiteplatz. Das ist ein ganz normales Krankenhausbett, und dann werden die Patienten komplett verkabelt, da sieht man da vorne ne Infrarotkamera, die auf den Patienten gerichtet wird, und die läuft synchron und die Daten sowohl der Kamera als auch der Biosignale, die werden die ganze Nacht aufgezeichnet."

    Anhand von Hirnstrommessungen und andere elektrophysiologischen Daten wird ein allgemeines Schlafprofil erstellt. So lässt sich erkennen, wie der Schlaf in den Traumphasen gestört ist. Häufig kann man den Alpträumen dann schon mit gezielten Entspannungsübungen beikommen oder in dem man die Schlafgewohnheiten ändert.

    "Interessant wird es eher, wenn solche Alpträume im zunehmenden Lebensalter auftreten, weil sie dann doch häufig erstes Frühsymptom von ganz anderen Erkrankungen sein können, und da scheint es so zu sein, dass man vielleicht sogar das Auftreten von Parkinson aber auch von verschiedenen Formen von Demenzen vielleicht sogar verzögern kann, wenn man diese Alpträume frühzeitig erkennt als solche und auch behandelt."

    Im Schlaflabor des Mannheimer Instituts für Seelische Gesundheit kümmert man sich vor allem um alptraumgeplagte Kinder und Jugendliche. Faustregel: Behandlungsbedürftig ist ein Kind, das einmal die Woche oder häufiger schlecht träumt. Bei vielen verschwinden die Alpträume zwar von allein, aber einigen Kindern geht es wie Anna, der inzwischen erwachsenen junge Frau:

    "Ich hatte Ängste, hab die Träume dann schon erwartet, hatte deshalb Angst vorm Einschlafen, das ist ja sone Art Teufelskreis, der ziemlich schwierig zu durchbrechen ist. Und auch für meine Eltern war das sicher nicht einfach, weil ich eben son Kind war, was jede zweite Nacht auf der Matte stand, weil ich wieder schlecht geträumt hatte, und da hat mir das auch sehr geholfen, das mit jemandem, der das professionell versteht, besprechen zu können."

    Die Therapie bei Alpträumen ist vergleichbar mit der schrittweisen Behandlung von Angststörungen. Michael Schredl:

    "Das ist die Konfrontation, die Bewältigung und das Trainieren der neuen Bewältigungsstrategie. Das sieht so aus, dass die Peson im 1. Schritt gebeten werden, den Traum aufzuschreiben oder bei Kindern den Traum zu malen, und im zweiten Schritt wird dann die Person gefragt, was kann sie verändern aktiv , um besser mit der Alptraumsituation fertig zu werden. ..."

    Gerade bei kleinen Kindern wird nicht tiefenpsycholgisch analytisch behandelt. Die erschreckenden Bilder werden nicht auf die konkrete Lebenssituation hin gedeutet. Man bleibt vielmehr ganz nah am Traum selbst:

    "Wir hatten jetzt einen Fall in unserer Pilotstudie, das Kind, war ein 5-jähriger Junge, hat geträumt, dass er von zwei Gespenstern bedroht wird im Traum, hat dann ein schönes Bild gemalt, man hat zwei riesige Gespenster auf dem Bild gesehen und ihn relativ klein, und er hat dann ein beschützendes Tier zwischen sich und die Gespenster gezeichnet, d.h. also aktiv etwas sich ausgedacht, um mit der Bedrohung besser fertig zu werden. "

    Auch wenn man dem Schrecken lieber ausweichen, bloß nicht dran denken, einen Alptraum möglichst schnell vergessen will – besser scheint tatsächlich die Konfrontation:

    "Das ist ja auch meistens die Situation, wo man dann wach wird im Traum. Sobald das schreckliche Ereignis sozusagen eine Sekunde bevorsteht, also der Mörder das Messer in die Luft erhebt , dann wacht man auf, dann ist der Traum entweder so furchtbar, dass man eben wach wird tatsächlich, oder er ist vielleicht auch einfach vorbei. Also es geht glaub ich meistens darum, dieser Angst entgegen zu treten und dann ist der Traum auch zu Ende. "