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Radiolexikon Gesundheit: Heilstollen

Menschen mit Asthma, allergischen Erkrankungen der Bronchien und der Lunge fühlen sich in sauberer und feuchter Luft wohl - wie im Hochgebirge oder am Meer. Inzwischen etablieren sich auch Höhlen als Orte, die das Leiden lindern. Einige von ihnen haben so saubere Luft, dass sie sich "Heilstollen" nennen dürfen.

Von Mirko Smiljanic | 12.06.2012
    Bad Fredeburg im Abela Heilstollen. Blaue Schatten wandern über bizarre Felswände eines ehemaligen Schieferbergwerks im Hochsauerland. Es ist kühl und feucht, leise plätschert ein Brunnen, kaum hörbar die Entspannungsmusik. Hinten, vom Eingang des Stollens nicht mehr einsehbar, haben es sich 15 Patienten auf Liegen bequem gemacht.

    "Ich habe in der letzten Woche eine schlimme fiebrige Erkältung gehabt und eine Nebenhöhlenentzündung,"

    erzählt diese 55-Jährige,

    "... und ich bin jetzt hier, um die komplette Ausheilung durch den Kuraufenthalt zu unterstützen. Ich bin zum dritten Mal hier heute, ich werde jetzt die ganze Woche kommen und wenn das nicht reicht, auch die nächste."

    Drei Liegen weiter, ebenfalls eingewickelt in warme Decken, träumt ein ehemaliger Mitarbeiter der Post sich in das meditative Plätschern des Wassers hinein.

    "Ja, ich leide unter Heuschnupfen, ich habe eine Allergie. Ich habe mich vor Jahren typisieren lassen, dann auch eine Desensibilisierung durchgeführt, habe dabei aber auch festgestellt, dass ich eine Antibiotika bzw. Cortisonunverträglichkeit habe und nehme das Angebot des Stollens jetzt war, um jetzt von den Medikamenten wegzukommen."

    In jedem Frühjahr besuche er für ein bis zwei Wochen Heilstollen als vorbeugende Maßnahme, um den Rest des Jahres möglichst frei von Allergien zu durchstehen – genauer: ohne Cortisonpräparate auszukommen, die bei ihm äußerst unangenehme Nebenwirkungen auslösen. Funktioniert das? Lassen sich schwere Atemwegleiden ausschließlich mit kühler und feuchter Luft lindern, ja sogar heilen? Es funktioniert, sagt Georg Guntermann, Geschäftsführer des Abela-Heilstollen, und zeigt auf die feuchten Schieferformationen.

    "Das ist das normale Wasser, das sich von den Niederschlägen aus den Weg sucht durch den Berg rein in den Heilstollen und mit diesem Wasser wird dann auch die Luft hier reingeleitet und durch das Deckgebirge komplett gereinigt."

    Wer in einem Heilstollen liegt, atmet absolut reine Luft! Sie enthält bis auf Salze und Mineralien aus dem Deckgebirge weder Staub, Pollen, Pilze, Erreger noch andere Umweltgifte. Gefiltert durch das Schiefer, gelangt die Luft in den Stollen und strömt von dort sehr langsam ohne Turbulenzen über den Eingang wieder nach draußen. Ein ideales Klima für Patienten mit Atemwegserkrankungen, sagt Professor Ulrich Hüttemann, Facharzt für Allergologie und Pneumologie in Göttingen und Ärztlicher Direktor des Deutschen Heilstollen-Verbandes.

    "Wenn Patienten von ihren Verordnungen in höheren Dosierungen nicht herunter kommen, dann ergäbe sich eine besondere Heilanwendung im Stollenklima. Diese Heilstollen haben eine Temperatur von acht bis zwölf Grad, sind absolut staub- und allergenfrei, die Luftfeuchtigkeit ist relativ hoch, 96 Prozent, und das sind Umgebungsbedingungen, die für die Atemwege, die entzündet sind, sehr heilsam sein können."

    Wobei Kurzbesuche allerdings nur kurzfristige Effekte zeigen. Je nach Intensität der Erkrankung sollten die Patienten den Heilstollen zwei Wochen lang täglich bis zu vier Stunden besuchen. Dass die Behandlung wirkt, belegen wissenschaftliche Studien mit Kindern, die an Asthma leiden, sagt Professor Hüttemann. Die Betonung liegt auf "wissenschaftlich", denn der Lungenspezialist möchte die Heilstollen-Therapie aus dem Dunstkreis des Wellness herausführen. Aus diesem Grund hat der Deutsche Heilstollenverband Qualitätsstandards definiert, die externe Institute, der Deutschen Wetterdienst etwa, regelmäßig überwachen.

    "Es muss absolute Staubfreiheit sein, es muss absolute Freiheit von allergisch wirksamen Einwirkungen, sprich Pollen oder Milben oder Schimmelpilzen sein, es dürfen keine Erreger im Stollen sein, die Luftfeuchtigkeit muss bei 96 Prozent liegen, die Bewetterung muss so sein, dass es nicht zugig ist und dass die Außenluft, die ja in der Regel belastet ist, dass diese Außenluft nicht in den Stollen eingesaugt wird."

    Bedingungen, die von den vielen Stollen des Landes nur erstaunlich wenige erfüllen. In Deutschland

    "...sind es nur zwölf Standort, die diese Qualitätsstandards durch Nachweis eines wissenschaftlich begründeten Emissionsgutachtens nachweisen können."

    Und auf einen weitern Punkt verweist der Göttinger Lungenfacharzt: Heilstollen ersetzen keine konventionelle Therapie, sie unterstützen sie! Vor jedem Besuch im Heilstollen sollte deshalb ein Arzt konsultiert werden. Patienten mit chronischen Atemwegleiden können bei regelmäßigen Besuchen in der Regel aber den Einsatz von Medikamenten reduzieren. Klar sei,...

    "… dass jeder chronische Asthmatiker Cortison bekommen muss. Wenn er cortisonhaltige Tabletten bekommt, ist das oberste Behandlungsziel jeder ärztlichen Therapie, die Cortisondosis möglichst so gering zu halten, dass sie nicht gefährlich wird oder sie gar ganz abzusetzen, und das ist auch der Messparameter, an dem sich die Wirksamkeit der Heilstollenanwendung prüfen lassen muss, dazu laufen auch wissenschaftliche Untersuchungen."

    Oder anders ausgedrückt: Nur wenn der Besuch in Heilstollen die Menge der eingesetzten Medikamente – Cortisonpräparate etwa – reduziert, ist die Therapie erfolgreich!

    Seit knapp zwei Stunden liegen 15 Patienten warm eingewickelt auf den Liegen. Ralf Rauschen, Physiotherapeut in Bad Fredeburg, begleitet sie gleich aus dem Stollen heraus und macht mit einigen von ihnen Entspannungsübungen. Das sei kein Wellness, betont Rauschen, sondern Teil des Therapieplans.
    "Jeder Patient, der Atemwegprobleme hat oder Atemwegs erkrankt ist, hat sehr starke Verspannungen, vor allem im Schulter-Nacken-Bereich, und diese Verspannungen zu lösen, loszulassen, das ist im Prinzip auch ein wichtiger Schritt, um den Patienten mit Atemwegserkrankungen zu helfen. Dies gelingt wiederum über diese Entspannungstechniken, wo wir die Muskulatur auch wirklich loslassen können."

    Das meditative Plätschern des Wassers und die zwischen Rot, Grün und Blau changierenden Lichtspiele an den Stollenwänden verfolgen die gleichen Ziele: Die Patienten sollen sich entspannen, erst dann können sie wieder frei atmen.

    "Genau so ist es, genau so ist es auch geplant, dass die Menschen, die hier liegen, entspannen können, und im Prinzip, es ist eine Form der Meditation."

    Ein wenig schläfrig blinzeln die Patienten aus ihren Decken. Viele würden gerne liegen bleiben, doch nach zwei Stunden endet der Aufenthalt an diesem Vormittag, die meisten kommen nachmittags aber wieder.

    "Wenn ich hier liege, merke ich, wie sich der Schleim löst, der Zugang zum Ohr, das ist ja das, was sich immer so leicht taub anfühlt nach so einer Nebenhöhlenentzündung, es geht auf, ich kann wieder alles hören, wunderbar! Die Beschwerden sind für mich zu 90 Prozent zurückgegangen, was ich noch habe, hin und wieder das Niesen, aber damit kann man gut leben, während die anderen Beschwerden, die schon massiv waren, die einen doch beeinträchtigen, doch deutlich nachgelassen haben."

    Das Budget der Krankenkassen wird dabei übrigens nicht belastet: Heilstollennutzer sind Selbstzahler!

    "Also, wenn es mir gut tut, ist es mir lieber, ich gebe das Geld für diese Therapie aus, als dass ich dann noch mal so eine Woche wie die letzte dann habe."

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