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Histaminunverträglichkeit
Häufig eine schwierige Diagnose

Laut einer repräsentativen Umfrage verzichten 23 Prozent der Deutschen auf bestimmte Lebensmittel, weil sie diese nach eigenen Angaben nicht vertragen. Sehr häufig ist dabei auch die Histaminunverträglichkeit.

Von Renate Rutta | 03.03.2015
    Zu sehen sind viele Tomaten.
    Tomaten enthalten viele Histamine und fördern auch deren Produktion im Körper. (picture-alliance / dpa / Patrick Pleul)
    "Bei mir tritt die Histaminunverträglichkeit vor allem auf, indem ich schwitze. Ich habe ein leichtes Hüsteln oft, wenn ich dann auch nervös bin. Das heißt, bei mir tritt das vor allem bei Stresssituationen auf. Und was bei mir ganz extrem ist, ich habe Ödeme an den Augen. Bei mir schwellen die Augen an, ich bekomme Sehstörungen, habe dann damit verbunden Konzentrationsstörungen."
    Beate F. aus Nürnberg, 49 Jahre alt, leidet seit etwa zwei Jahren an starken Beschwerden, die sich erst nach vielen Monaten als Histaminunverträglichkeit herausstellten.
    Andere Menschen reagieren nach einem Glas Rotwein oder einem Stück Käse mit plötzlichen Hautrötungen, Juckreiz, einer laufenden Nase oder Magen-Darm-Beschwerden – mögliche Ursache: eine Histaminunverträglichkeit. Die Beschwerden sind oft breit gefächert, sagt Professorin Dr. Natalja Novak von der Klinik für Dermatologie und Allergologie der Universität Bonn:
    "Die können fast alle Organsysteme betreffen. Angefangen von der Haut, wo man sogenannte Flush-Reaktionen beobachtet. Das sind Rötungen, die sehr schnell und plötzlich auftreten oder auch Quaddeln, die man bei der Nesselsucht zum Beispiel entwickeln kann, Juckreiz am Körper, Kopfschmerzen, Migräne. Auch im Zusammenhang mit zyklischen Beschwerden bei den Frauen bis hin zu Bauchschmerzen, Erbrechen, Diarrhoe. Also die Symptome sind breit gefächert."
    Beate F. kennt inzwischen einige Leidensgenossen, die ganz anders auf histaminhaltige Nahrungsmittel reagieren als sie.
    "Ich kenne einige, die sehr starke Kopfschmerzen bekommen. Die meisten haben die Migräne oder dass ihnen schlecht wird. Diese diffusen Symptome, die ich habe mit den Augen – deswegen ist man so schwer draufgekommen - die sind eher ungewöhnlich."
    Sehr unterschiedliche Symptome
    Deshalb hat es auch lange gedauert, bis bei ihr der Verdacht auf Histaminunverträglichkeit fiel. Die Ärzte führten eine ganze Reihe von Untersuchungen durch. Ihr Hausarzt schickte sie zu mehreren Spezialisten.
    "Erst wurde das große Blutbild genommen, man dachte zunächst an MS, an Borreliose oder auch einen Hirntumor. Das heißt, ich habe dieses ganze Spektrum durchgemacht, war beim Neurologen, war beim Augenarzt. Zwischendurch war ich auch beim Internisten, der von meinem Hausarzt eine Latte von möglichen Erkrankungen zu untersuchen bekommen hat. Das war dann alles negativ."
    Es war ein langer und mühsamer Weg für die Nürnbergerin:
    "Ich bin ein Jahr lang von Arzt zu Arzt gelaufen und bin dann eigentlich durch Zufall selber drauf gekommen und habe dann weiter nachgeforscht."
    Die lange Suche von Beate F. scheint gar nicht so selten zu sein. Die Diagnose ist so schwierig, weil der Arzt erst einmal eine Reihe von Krankheiten ausschließen muss, die ebenfalls solche Symptome aufweisen können. Hinzu kommt, dass die Toleranzschwelle bei jedem Patienten unterschiedlich hoch ist. Professorin Novak:
    "Wir haben hier eine Zeit lang die placebokontrollierten Provokationstestungen durchgeführt und haben tatsächlich auch gesehen, dass es einige Patienten gibt, die bereits bei geringen Dosen objektivierbar, das heißt, für uns auch messbar, Symptome entwickeln, die dafür sprechen, dass sie eine erniedrigte Histamintoleranzschwelle haben."
    Vorkommen in vielen Lebensmitteln
    Histamine kommen natürlicherweise in vielen Lebensmitteln vor, und zwar in unterschiedlichen Konzentrationen. Sie entstehen beim Abbau und Umbau von Eiweiß. Durch Reifungs- und Gärungsprozesse steigert sich der Histamingehalt.
    Der Mensch bildet Histamine aber auch selbst. Sie erfüllen verschiedene Aufgaben im Körper. Oft wirken sie als Botenstoff. Bei Entzündungen sorgen sie beispielsweise dafür, dass das Gewebe anschwillt. Histamin wird vom Körper auch wieder abgebaut. Normalerweise wird der menschliche Organismus auch mit größeren Histamin-Mengen fertig. Zwei Enzyme bauen das Histamin im Dünndarm und anderen Organen ab. Gesunde Menschen reagieren erst, wenn die aufgenommene Histamin-Menge sehr groß ist wie etwa bei verdorbenem Fisch. Empfindliche Menschen reagieren offenbar schon auf kleine Mengen Histamin.
    Deshalb empfiehlt Professor Novak, dass ihre Patienten aufschreiben, nach welchen Lebensmitteln die Beschwerden auftauchen:
    "Dass wir ihnen zum einen anraten, ein Symptomtagebuch zu führen und auf der anderen Seite eine Ernährungsberatung durchzuführen, wo dann darauf hingewiesen wird zum Beispiel im Falle einer Histaminunverträglichkeit, dann ganz gezielt Nahrungsmittel weggelassen werden können, die reich an diesen Substanzen sind."
    Genau das hat auch Beate F. gemacht:
    "Als ich dann den Verdacht hatte, dass eine Histaminunverträglichkeit vorliegen könnte, habe ich ein Ernährungstagebuch geführt, habe dann rückwirkend ein paar Tage zurückgeschaut, als ich schwere Symptome hatte, was ich gegessen habe."
    Ernährungsberatung hilft
    Danach hat sie fünf Tage lang eine strenge Diät nur mit Reis und Kartoffeln ohne Gewürze durchgeführt, also eine histaminarme Diät. Anschließend hat sie ganz langsam wieder histaminreiche Nahrungsmittel gegessen, um ihre individuelle Verträglichkeitsschwelle auszutesten, denn manche vertragen kleine Mengen von histaminreichen Lebensmitteln durchaus und reagieren erst auf größere Mengen.
    Beate F. konnte die Nahrungsmittel eingrenzen, die für sie problematisch sind:
    "Was noch immer schwierig ist, das sind zum Beispiel Tomaten. Also bei Tomaten habe ich ein absolutes Problem, weil die Tomaten sowohl selber Histamin enthalten, aber auch die Freisetzung von Histamin im Körper auslösen. Das heißt, die haben so eine doppelte Dosis."
    Außerdem kann man den Histamin-Gehalt von Lebensmitteln nicht präzise angeben, denn er kann stark schwanken. Professor Novak:
    "Das liegt in etwa von bis, weil man die unterschiedlichen Faktoren, die auch Einfluss nehmen auf den Histamin-Gehalt ja nicht immer kennt, sprich die Lagerungszeit, die Kühlung, ob sie sauber hergestellt wurden oder ob da Bakterien möglicherweise mit enthalten sind. Und für die Betroffenen macht es das extremst schwierig, da Nahrungsmittel auszuwählen, die geeignet sind."
    In welchen Lebensmitteln ist nun besonders viel Histamin enthalten?
    "Es gibt bestimmte Nahrungsmittel, das heißt, hefehaltige Nahrungsmittel, Sauerkraut oder auch Rotwein zum Beispiel, das sind Nahrungsmittel, die sehr viel Histamin enthalten. Oder die auch noch darüber hinaus Substanzen enthalten, die Histamin freisetzende Effekte haben. Oder auch bestimmte Käsesorten, die lange gereift sind."
    Die Kölner Ernährungsberaterin Ute Körner empfiehlt deshalb ihren Patienten:
    "Statt langgereiften Käse Sorten wie Butterkäse oder jungen Gouda zu verwenden: Frischkäse, das sind alles Käsesorten, die kaum Histamin bilden. Beim Fisch eher auf Tiefkühlfisch zurückgreifen, weil der relativ schnell schockgefroren wird und da ein höherer Histamingehalt eher nicht zu befürchten ist. Desweitern bei Rohwurst empfehle ich Patienten, auf die Menge zu achten. Also nicht gerade eine Salamipizza zu essen, wo ja noch der Käse dazu kommt. Sondern vielleicht eine dünne Scheibe Salami aufs Brot, das wird fast immer gut vertragen. Es hängt also ganz stark von der verzehrten Menge ab, die ein Patient aufnimmt und nicht nur von dem Lebensmittel alleine."
    Das ist aber nicht für alle Zeiten im Leben festgelegt, sondern es kann sich im Laufe der Jahre ändern. Diese Erfahrung hat die Ernährungsberaterin Ute Körner gemacht. Selten kommen junge Menschen zu ihr in die Ernährungsberatung:
    "Die Patienten, die zu uns kommen, sind eindeutig dominierend Frauen. Ich habe ganz selten Männer dazwischen. Und oft sind es, wie in der Literatur beschrieben wird, Frauen ab 40 aufwärts. Es wird vermutet, dass gerade in der Prämenopause da Prozesse ablaufen, die die Patientinnen histaminintoleranter machen. Das kann auch mit der Durchlässigkeit der Darmschleimhaut zusammenhängen. Das ist alles noch in der Forschung."