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Radiolexikon Gesundheit: Kneipp-Therapie

Wassertreten, heiß und kalt, das ist die gängige Anwendung, die man mit Kneipp-Therapien verbindet. Aber die Therapie geht über die Wasseranwendungen hinaus und verbindet mehrere Naturheilverfahren zu einer umfassenden Gesundheitslehre.

Von Andrea Westhoff | 15.01.2013
    Kneipp-Patientin:
    "Bei mir ist das so: Ich kriege kalte Güsse, da kann man sich aber überwinden, es ist hinterher sehr angenehm. Na ja, die kalten, die sind ja nun wirklich, da kriecht man ja fast Herzstillstand, das geht richtig so bis zum Herzen hoch, so "hach", muss man ja och die Luft anhalten. Aber beim zweiten Mal ist das wirklich wunderbar."

    "Hydrotherapie nach Kneipp", jenem schwäbischen Pfarrer, der schon Mitte des 19. Jahrhunderts als "Kaltwasserdoktor" berühmt wurde.

    Dr. Rainer Stange:
    "Dieser drucklose Schlauchguss ist eine der typischsten Kneippanwendungen überhaupt."

    Sagt Dr. Rainer Stange, leitender Arzt am Zentrum für Naturheilkunde der Berliner Charité.

    Dr. Rainer Stange:
    "Die häufigsten Bilder von Kneipp zeigen ihn ja mit der Gießkanne, das ist eine einfache Gießkanne mit ungeköpftem Ausgusskopf, da kann man einen ganz einfachen Guss mitmachen - heute geht das natürlich mit einem Schlauch - das finden die meisten Leute also ganz toll."

    Die Heilkraft des Wassers wird schon seit Urzeiten genutzt. Sebastian Kneipp hat sie zuerst am eigenen Leib erfahren: Der Sohn einer armen Weberfamilie litt an einer schweren Lungentuberkulose, die er mit Tauchbädern in der eiskalten Donau kurierte.

    Aber die Kneipp-Therapie besteht nicht nur aus Wasseranwendungen, sondern verbindet mehrere Naturheilverfahren zu einer umfassenden Gesundheitslehre, erklärt Professor Andreas Michalsen, der den Lehrstuhl für Naturheilkunde an der Charité innehat.

    Professor Andreas Michalsen:
    "Die Kneipp-Therapie als Kombination verschiedener Verfahren hat fünf Säulen: Die bekannteste ist natürlich die Wasserheilkunde, die Hydrotherapie, dann ist die Ernährungstherapie, die Bewegungstherapie, die Therapie mit Heilpflanzen und Heilkräutern und schließlich die etwas schwierig zu beschreibende Ordnungstherapie."

    Sie umfasst vieles, was man heute aus der Psychosomatik kennt, geht aber noch darüber hinaus:

    Professor Andreas Michalsen:
    "Kneipp war ja ein Pfarrer, das heißt, er hatte natürlich auch das seelsorgerische Element in seinem Handeln und in seinen Gedanken, aber bei der naturheilkundlichen Ordnungstherapie geht es schon auch um das Verständnis eines naturgemäßen Lebens: Wie schlafen wir, wann stehen wir auf, die Regelmäßigkeit der Biorhythmen, der Lebensrhythmen, ja, solche Dinge, wie man neudeutsch sagt "Mind-Body-Medizin"."

    Während Kneipp als wichtigste "ordnungstherapeutische Maßnahme" vor allem das Beten empfahl, nutzt man heute eher Meditation, Thai Chi und andere Entspannungsverfahren.

    Am häufigsten aber werden immer noch die kneippschen Hydrotherapien in der Naturheilkunde angewendet, vor allem das berühmte "Wassertreten":

    Dr. Rainer Stange:
    "Das Wassertreten ist eine Spezialform des Tretens. Das Tautreten ist zum Beispiel für den Eigenheimbesitzer mit Gras hinterm Haus das einfachste, im Morgentau, und im Winter gibt's dann das Schneetreten. Dann gibt es das Bachtreten bei Kneipp, durch einen Bach waten, und es gibt natürlich auch diese Kneippbecken, in denen man in etwa bis 15 bis 20 Zentimeter tiefem, kaltem Wasser im sogenannten Storchengang dadurch stelzt. Das soll je nach Länge der Runde drei bis viermal erfolgen, also nehmen sie mal als Anhaltwert drei bis vier Minuten kaltes Wassertreten und dann warmlaufen. Das entspannt, also das ist auch sehr angenehm dann."

    "Kneipp-Patientin:
    "Ich krieg noch Wickel, kalte Wickel. Da wird man eingewickelt (lacht), um den ganzen Körper und hinterher gleich also warm eingepackt, der Körper erzeugt dann selbst Wärme.""

    Von der Verwendung ausschließlich kalten Wassers ist Kneipp selbst schon abgerückt und hat später eher Wechselbäder und -güsse favorisiert:

    Dr. Rainer Stange:
    "Tendenziell hat das kneippsche Erleben natürlich das warme und das kalte Erleben in sich. Zum Beispiel auf den Unterschenkel bis Kniehöhe nach einem bestimmten Ritual gegeben, warm-kalt abwechselnd, zwei bis dreimal wiederholt, das ist der Knieguss, er führt zu einer Belebung im Kopf, weil wir natürlich auch da unten über Nervenleitungen unser Wachheitssystem aktivieren können, er verbessert die Durchblutung der Beine, es schafft einfach eine gewisse Lockerung in den Beinen."

    Natürliche Wechsel - kalt/warm, Spannung/Entspannung - Ausdauer und Maßhalten sind die Prinzipien der Kneipp-Therapie. Damit ergibt sich ein breites Anwendungsgebiet. Andreas Michalsen:

    "Wenn wir den großen Bereich der Kneipp-Therapie angehen, würde ich ganz selbstbewusst sagen, da gibt's eigentlich keine Erkrankung, für die das nicht gut ist, das zu machen. Wenn wir so ein einzelnes Verfahren betrachten wie diese Hydrotherapie, die ist besonders wirksam bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Herzschwäche, Bluthochdruck, bei Krampfadern, die kalten Güsse beispielsweise, und zur Abhärtung, wie wir sagen, das heißt also wenn wir unter Infekten, rezidivierenden Infekten leiden, dann ist das eine schöne Sache."

    Auch Menstruations- oder Wechseljahrbeschwerden, chronische Kopfschmerzen sowie Rücken- und Gelenkschmerzen lassen sich mit kneippschen Mitteln behandeln,

    Professor Andreas Michalsen:
    "Bei der großen Gruppe von Schmerzerkrankungen im Bewegungsapparat, Rheuma, usw. ist natürlich vor allen auch die Bewegungstherapie und die Ernährungstherapie und auch die Heilpflanzentherapie sehr wirkungsvoll."

    Die Wirksamkeit, mindestens der Wasseranwendungen, ist inzwischen auch gut untersucht und lässt sich auf eine einfache Formel bringen, meint der Facharzt für Naturheilkunde:

    Professor Andreas Michalsen:
    "Das ist eigentlich ein Training für die Gefäße. Gefäße haben die Eigenschaft, sich zusammenzuziehen und erweitern zu können. Und da wir heute überwiegend in gleichmäßig beheizten oder klimatisierten Räumen leben, wir haben da fast keine Veränderlichkeit mehr, das heißt, der Körper wird da überhaupt nicht mehr gefordert, überhaupt nicht mehr trainiert, und das macht die Kneipp-Therapie. Und wenn man jetzt sich wieder klar macht, wie viele Erkrankungen durch schlecht reagierende oder kranke Gefäße entstehen, ist es naheliegend, warum es so gut hilft. Bluthochdruck zum Beispiel entsteht durch zusammengezogene Gefäße, verkrampfte Gefäße, Herzinsuffizienz, Herzschwäche auch."

    Einzelne Kneipp-Anwendungen werden heute vor allem bei der Rehabilitation genutzt. Eine spezielle Kneipp-Kur dauert drei bis vier Wochen und wird bei entsprechenden Indikationen auf Antrag oft auch von den Krankenkassen übernommen. Aber irgendwie haftet dem Ganzen doch das Image "alter Zopf" an und viele greifen offenbar lieber zu fernöstlichen Entspannungstechniken und exotischeren Naturheilverfahren,

    "Die Kneipp-Therapie hat was Altbackenes, leider, muss man sagen."

    Sagt auch Professor Andreas Michalsen von der Charité.

    "Das ist nicht so, dass man sagt, das ist Scharlatanerie oder Unfug, ich glaube, kaum ein Arzt würde leugnen, dass sie hilfreich und medizinisch wirksam ist. Aber die Kneipp-Therapie ist leider ein Aschenputtel der Medizin oder ein Sorgenkind."

    Trotzdem blickt der Naturheilkundler recht hoffnungsfroh in die Kneipp-Therapie-Zukunft:

    Professor Andreas Michalsen:
    "Die Deutschen werden dicker, werden kränker, dieser ganze Bereich Lebensstil ist ein ganz großes Thema, und ich glaube schon, dass die Kneipp-Therapie dort eine Renaissance erfahren wird, weil: Sie macht eigentlich Spaß, und man braucht nicht mal viel Zeit dafür. Also Sie müssen nicht mal 40 Minuten durch den Park joggen, Sie haben so einen kalten Wechselguss in fünf Minuten hinter sich."

    Kneipp-Patientin:
    " Die Güsse mach ich zuhause auch, weil ich ja so kribbelnde Beine hab, die mach ich sogar in der Nacht."

    Wer nicht jeden Tag etwas Zeit für seine Gesundheit aufbringt, muss eines Tages sehr viel Zeit für seine Krankheit opfern.

    Sagte einst Sebastian Kneipp. Er wurde übrigens 78 Jahre alt - ein erstaunliches Alter für einen, der mit 23 todkrank war.