Mittwoch, 17. April 2024

Archiv

Makrobiotik
Ernährung im Gleichgewicht

Die makrobiotische Ernährungslehre wurde nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Japaner Georges Oshawa populär. Entwickelt hat die Grundzüge aber bereits Mitte des 19. Jahrhunderts der deutsche Arzt Christoph Wilhelm Hufeland als Teil seiner Gesundheitslehre. Im Prinzip handelt es sich um eine vegetarische oder vegane Ernährung.

Von Andrea Westhoff | 26.01.2016
    Ein Glas Haferdrink, Reisdrink und Sojadrink, umrundet von Getreidekörnern.
    Getreide soll in der Makrobiotik Grundlage jeder Mahlzeit sein. (imago / Niehoff)
    1970: Ein "Spiegel"-Reporter zu Gast in einer Westberliner Hippie-Kommune:
    "Andachtsvoll blickten sie auf die dampfenden Speisen: Hafer und Hirse, gedünstete Schwarzwurzeln und gesalzene Sesamsamen, gerösteter Reis und in Distelöl frittierte Algen. Statt Tischwein gab es den Absud gebrannter Löwenzahnwurzeln."
    Diese gelegentlich als "Körnerfraß" titulierte "makrobiotische Ernährungslehre" hatte der Japaner Georges Oshawa nach dem Zweiten Weltkrieg auf einige Speisezettel in der westlichen Welt gebracht. Sie basiert auf dem Prinzip der beiden gegensätzlichen Naturkräfte Yin und Yang in der asiatischen Philosophie und weist allen Lebensmitteln die entsprechenden "energiezerstreuenden" oder "energiekonzentrierenden" Wirkungen zu. Dadurch kann man – so Oshawas Lehre – nur mit dem richtigen Essen das gesunde Gleichgewicht im Körper erhalten oder wiederherstellen.
    Im Prinzip eine vegetarische oder vegane Ernährung
    Wie viele andere asiatische Heilslehren verschwand auch diese Protestdiät mit dem Ende der Hippiezeit, doch seit einigen Jahren ist die Makrobiotik wieder da: Immer noch soll Getreide, vor allem Reis, Grundlage jeder Mahlzeit sein. Ansonsten gibt es neben Algen viel gekochtes Gemüse "aus der eigenen Lebensregion", kein Fleisch, keine Milchprodukte und wenig oder gar keine Eier oder Fisch – im Prinzip also eine vegetarische oder vegane Ernährung. Und deshalb gelten für die makrobiotische Kost auch dieselben Warnungen, sagt Professor Andreas Pfeiffer vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam:
    "Gemüse im Ganzen hat wenig Energiegehalt, hat natürlich viele Mikronährstoffe, die in Ordnung sind, was wenig ist, ist Protein vor allen Dingen, höherwertiges Protein, wie unser Körper die verwertet und braucht, und dann gibt es so einige Vitamine, die eben mit meistens tierischen Proteinen aufgenommen werden, wenn das fehlt, dann sind so Sachen wie Vitamin B12 häufig mangelnd, das führt zu Störungen zum Beispiel der Blutbildung, auch der Nervenfunktion, und ist dann tatsächlich ein Problem."
    Keine Idee aus Fernost
    Besonders wenn die makrobiotische Ernährungsweise nicht nur als kurzzeitige Diät, sondern dauerhaft praktiziert wird und entsprechende Nahrungsergänzungsmittel ebenfalls tabu sind. Auch die vielen Algenprodukte fangen den Nährstoffmangel meistens nicht auf:
    "Algen, wenn sie aus dem Meer kommen, enthalten zumindest schon mal eine ganze Menge Jod, sodass da kein Problem ist vonseiten des Schilddrüsenhormons, aber das ist nicht immer der Fall, dass Algen aus dem Meer gegessen werden, sondern aus irgendwelchen Kulturen aus Süßwasser, und die enthalten nicht die Mikronährstoffe, die man braucht."
    Historisch betrachtet ist die Makrobiotik, übersetzt etwa die "Kunst des langen Lebens", übrigens keine Idee aus Fernost. Den Begriff hat Mitte des 19. Jahrhunderts der deutsche Arzt Christoph Wilhelm Hufeland quasi "erfunden" als Titel seiner Gesundheitslehre. Und der hielt sich dabei wiederum ganz an die alten Griechen und ihre "Kunst der gesunden Lebensführung", die "Diätetik". Das war allerdings mehr als ein Ernährungskonzept, erklärt Professor Philipp van der Eijk von der Berliner Humboldt-Universität, der die Antike Medizin erforscht.
    "Diätetik zielt darauf ab, wie man mit seinem Körper umgeht, wie man mit seiner Seele, mit der Umwelt und so, mit Essen und Trinken, also gesund zu bleiben und Krankheit vorzubeugen. Und auch wenn man sich erholt hat von einer Erkrankung wieder zum Gleichgewicht zurückzufinden."
    Eher extreme Grundsätze
    Wie in der japanischen Makrobiotik spielt auch in der altgriechischen Kunst des gesunden, langen Lebens das "Gleichgewicht" die entscheidende Rolle:
    "Dieses Gleichgewicht, es ist kein absoluter Standard, und es galt als eine Herausforderung für Menschen, auch für Ärzte, um für jeden Menschen dieses richtige Maß zu bestimmen."
    Allerdings, fügt Professor van der Eijk hinzu: "Die griechische Medizin versuchte immer, die Extreme zu vermeiden."
    Das aber gilt für die moderne Makrobiotik nicht. Die Schüler Oshawas haben zwar in den 1970er Jahren die strengsten Ernährungsregeln etwas abgemildert, nachdem in den USA eine junge Frau zu Tode gekommen war, weil sie nur Körner gegessen hatte. Aber immer noch gibt es Grundsätze in der makrobiotischen Ernährung, die eher extrem sind: Zum Beispiel sollen alle Speisen reichlich gesalzen werden, während man andererseits erst bei heftigem Durstgefühl und dann auch nur wenig trinken soll. Dazu der Ernährungswissenschaftler Professor Andreas Pfeiffer:
    "Kochsalz ist in den Mengen, die wir in unserer Kultur aufnehmen, schon eigentlich viel zu viel, und wenn wir große Mengen Kochsalz zu uns nehmen, dann reagieren manche Leute darauf mit einem Hochdruck, aber wenn man viel salzt, dann muss man auch mehr Flüssigkeit ausscheiden, also eine Einschränkung der Trinkmenge ist nicht wirklich sinnvoll, sondern man sollte schon genug trinken, dass man die harnpflichtigen Substanzen, also das ist das, was unser Körper ausscheiden muss, vernünftig ausscheiden kann."
    Kalziumzufuhr sicherstellen
    Auch Milchprodukte sind bei strengen Makrobiotikern tabu. Und das kann für Schwangere und vor allem für kleine Kinder durchaus gefährlich sein. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung weist auf Studien hin, nach denen es bei Kindern unter streng makrobiotischer Kost zu einem verlangsamtem Wachstum sowie motorischen und neurologischen Störungen kommen kann.
    "Milchprodukte sind ziemlich gesund, Milch hat eine ganze Menge Eiweiß, das ist die eine Komponente, und das andere ist: Milchprodukte sind für uns die Haupt-Kalziumquelle. Kalzium ist in einigen Pflanzen zwar drin, ist aber meistens nicht sehr bioverfügbar, da wird es im Darm gar nicht erst aufgenommen. Also so, dass Kalziummangel ein Problem ist, man braucht Kalzium in ausreichender Menge für die Knochen, und gerade Kinder brauchen das natürlich, und eine ausreichende Kalziumzufuhr sicherzustellen, ist geradezu essenziell."
    Außerdem können die makrobiotischen Ersatzmilchsorten aus Getreide-, Nuss- oder Reissäften bei Säuglingen und Kleinkindern Allergien auslösen.
    Inzwischen nur noch eine von zahllosen Ernährungslehren
    Die Makrobiotik, in den 1970er-Jahren ein Aushängeschild der Hippie-Bewegung, ist inzwischen nur noch eine von zahllosen Ernährungslehren, die ein gesünderes Leben versprechen. Zweifellos werden viele Zivilisationskrankheiten zumindest mitverursacht durch falsche Essgewohnheiten und ungesunde Lebensmittel. Aber wie viele andere wirbt auch die moderne Makrobiotik damit, man könne durch die richtige Ernährungsweise Krankheiten nicht nur verhindern, sondern heilen. Selbst schwere Erkrankungen wie Krebs.
    "Bei richtigen Krankheiten sind Diäten selten in der Lage, die wirklich zu heilen, sondern da braucht man eine gezielte Therapie, es gibt bei allen Krebsarten so etwa zwei bis drei Prozent Heilung spontan, sodass es immer so ein paar Wunderheilungen gibt, die man dann da gerne vorführt, aber zum Beispiel einen Krebs, den kann man nicht aushungern."
    Im Gegenteil, meint der Ernährungswissenschaftler Professor Andreas Pfeiffer: Gerade Tumorkranke brauchen keine Diät, sondern ein möglichst breites Nahrungsangebot.
    "Bei Tumoren sterben die meisten Leute durch einen Nährstoffmangel zum Schluss, weil sie eben keinen Appetit mehr haben, und da sind alle einseitigen Ernährungsformen schlecht. Die Menschen brauchen eben dann vor allen Dingen auch Proteine und Baustoffe, die dem Körper fehlen. Und wenn man die nicht ausreichend zuführt, ist auch die Abwehr gegen den Tumor schlechter."