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Mit EMDR Traumas verarbeiten

Das weite Feld der Psychotherapien umfasst zahlreiche unterschiedliche Behandlungsansätze. Eine recht neue Methode heißt EMDR. Erfolge werden damit besonders bei der Therapie von Traumapatienten verzeichnet. Wesentliches Element dieser Behandlung: Augenbewegungen.

Von Thomas Liesen | 29.07.2014
    Ein menschliches Auge in einer Nahaufnahme.
    Bei der EMDR-Methode sollen Augenbewegungen Traumapatienten helfen, schlimme innere Bilder zu verarbeiten. (dpa/picture alliance - John Stillwell)
    Hilde Rupp hat etwas Furchtbares erlebt. Was es genau war, möchte sie nicht sagen. Doch dieses Ereignis drohte, ihr Leben aus der Bahn zu werfen. Denn immer wieder drängte sich alles ins Bewusstsein zurück. Und sie konnte nichts dagegen tun.
    "Man bekommt plötzlich in Alltagssituationen Bilder, also diese Bilder laufen auch wie ein Film und man ist irgendwann nicht mehr in der Lage, seinen Alltag richtig zu bewältigen, weil das halt völlig unerwartet kommt. Es kann manchmal ein Geruch sein, manchmal ein Bild, was einen eben irgendwie an diese Situation erinnert."
    Es sind die typischen Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung, die Hilde Rupp heimsuchen. Flashbacks heißen diese Traumabilder in der Fachsprache. Ein Autounfall, eine Vergewaltigung, eine lebensbedrohliche Erkrankung – all das kann Menschen so traumatisieren, dass Flashbacks immer wieder hoch kommen und die Patienten es ohne ärztliche Hilfe nicht mehr schaffen, diese auf Dauer los zu werden. Bis vor einigen Jahren standen selbst Psychotherapeuten fast hilflos davor.
    "Es gab so keine sehr wirksamen therapeutischen Zugänge bisher, um diese starke Stressbelastung zu reduzieren. Also Stressbelastung in Form von sich aufdrängenden Erinnerungen an die traumatischen Erfahrungen, die nicht normale Erinnerungen sind, sondern wo es ein subjektives Gefühl gibt, als geschehe das Trauma noch mal, in einer solchen Lebendigkeit in der negativen, ängstigenden Weise, dafür hatten wir so ganz richtige therapeutische Möglichkeiten nicht."
    Das traumatische Geschehen aufarbeiten
    Wolfgang Wöller, Psychotherapeut und ärztlicher Direktor der Rhein-Klinik Bad Honnef. Doch vor rund 20 Jahren wurden Traumatherapeuten hierzulande erstmals auf eine Methode aufmerksam, die in den USA entwickelt worden war: EMDR. Das Kürzel steht für einen englische Bezeichnung, die wörtlich übersetzt heißt: "Augenbewegungs-Desensibilisierung und Wiederaufarbeitung". Patienten sollen mit EMDR also das traumatische Geschehen aufarbeiten. Und sie sollen unempfindlich, desensibilisiert werden gegen die Erinnerung daran. Das Entscheidende aber: Dies geschieht mithilfe von Augenbewegungen.Auch Ärzte geben zu: Das klingt zunächst ein wenig obskur.
    "Es gibt Kollegen, die sagen: Das ist Hokuspukus und: Das ist mir nicht plausibel, warum das wirken soll."
    Als Hilde Rupp diese Therapiemethode vorgeschlagen wurde, war sie allerdings sofort offen dafür. Und bald hatte sie ihre erste Therapiesitzung.
    "Das Besondere ist eigentlich, dass ich am Anfang erst mal in das schlimmste Bild der Traumasituation reingehen musste, das musste ich aber gottseidank nur zwei, drei Sekunden am Anfang aushalten, da habe ich gedacht, das schaffe ich."
    "Häufig sehe ich an der Art, wie der Patient das schildert, dass er in dem Moment, wo er mit der Erinnerung in Kontakt geht, belastet ist. Die kommen unter Stress. Die erzählen nicht neutral durch, sondern die kommen unter Stress, das sehe ich."
    Der Psychotherapeut Dr. Arne Hofmann ist einer der Pioniere dieser Methode hierzulande. Diese Erinnerung an das Ereignis steht immer am Anfang jeder Sitzung. Dann kommt die Frage:
    "Welches ist das schlimmste Bild dieser Erinnerung, dieses Unfalls? Wenn Sie jetzt dieses Bild vor sich sehen, was ist der schlimmste Gedanke über sie selbst, der ihnen durch den Kopf geht, wenn sie dieses Bild anschauen. Und da gibt es viele Leute, die sagen: 'Ich sterbe jetzt, das war´s.' Und das ist der kurze Satz, den wir brauchen, das ist eine Bildzeitungs-Überschrift."
    Dann fragt Arne Hofmann nach dem Gefühl, das im Körper dabei aufkommt.
    "Das ganze Nervensystem ist voll präsent in diesem Moment. Und dann will ich wissen: Wo spüren die das? Und das ist manchmal auf der Brust, manchmal im Bauch, egal wo auch immer. Dann weiß ich: Das ist aktiviert."
    Genau zu diesem Zeitpunkt kommt das besondere Element der EMDR-Methode zum Einsatz: die Augenbewegung. Der Arzt hebt den Finger, bewegt ihn hin und her und bittet den Patienten, dem Finger zu folgen. Die Wirkung ist verblüffend, beschreibt Hilde Rupp:
    "Irgendwann haben diese Bilder laufen gelernt, also irgendwann ist ein Film entstanden und da sind dann Bilder abgelaufen von der Situation, die real nicht so stattgefunden haben, aber die mir geholfen haben, die Sache besser zu verarbeiten."
    "Wenn sie das eine Reihe von Malen gemacht haben, merken sie, wie der Dampf aus der Sache raus geht. Wie die vegetative Spannung abfällt. Und es ist ganz, ganz deutlich, dass das sehr zügig passiert. Und das machen wir so lange, bis die Erinnerung keine Belastung mehr enthält."
    Schlimme Bilder werden emotional umgedeutet
    Offenbar gelingt es den Patienten mithilfe der Augenbewegung, die Bilder des schlimmen Ereignisses von den überwältigenden Emotionen zu entkoppeln. Die Bilder werden nicht vergessen, aber sie belasten nicht mehr, werden emotional umgedeutet. Wie allerdings das Ganze funktioniert, ist bis heute ein Rätsel. Immerhin, es gibt Indizien. So sind bei Patienten mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung nachweislich bestimmte frontale Hirnbereiche wie gelähmt. Neuere Untersuchungen zeigen nun, dass durch die Rechts-links-Augenbewegungen genau diese Hirnbereiche aktiviert werden. EMDR kann also möglicherweise eine Art Traumalähmung des Gehirns aufheben. Aber ob das nun der Wirkmechanismus ist oder nicht: die Therapieerfolge mit EMDR sind vielfach gut. Aktuell steht daher auch eine Anerkennung der Methode als Krankenkassenleistung zur Entscheidung an. Psychotherapeut Wolfgang Wöller warnt jedoch vor Euphorie. Nicht für alle Patienten mit traumatischen Erfahrung ist EMDR die passende Therapie. Wichtigstes Kriterium: Sie dürfen nicht zu labil sein.
    "Wenn man dann EMDR macht, dann könnte man die Patienten völlig überfordern, sie würden überflutet durch die traumatischen Erinnerungen, die dann mobilisiert werden, aber es nicht genügend Möglichkeiten gibt, dann auch den Stress, der auch ein Stück entsteht durch die Therapie, dann wieder gut abzuarbeiten."
    Hilde Rupp allerdings ist froh, dass sie die Chance hatte, EMDR zu machen. Rund ein Jahr nach ihrem traumatischen Erlebnis ist sie fast in ihr normales Leben zurück gekehrt.
    "Diese Flashbacks haben aufgehört über diese Sache und ja, mir ist es einfach besser gegangen, ich bin ruhiger geworden damit."